Es geht bergab mit den Klamotten. Nicht nur in diesem September, wo der Textileinzelhandel ein zweistelliges Umsatzminus eingefahren hat (auf hoher Vorlage freilich und natürlich wetterbedingt, es sei denn man verkaufte Lederhosen und Dirndl in München). Sondern auch ganz grundsätzlich: Man protzt nicht mehr mit teuren Outfits.
Bekleidung ist auf der Werteskala der Konsumenten abgerutscht. Wer es dem Nachbarn heute zeigen will, parkt das Lastenrad vor der Tür, lebt bewusst und hat eine Solaranlage auf dem Dach, schreiben Jannis Brühl und Paulina Würminghausen in der SZ. Heutzutage sei es die Moral, die einen aufsteigen lässt in der Gesellschaft. "Die Menschen wollen nicht mehr nur zeigen: Ich habe mehr Macht und Geld als du. Sondern auch: Ich bin ein besserer Mensch", zitieren die Autoren den Konsumpsychologen Hans-Georg Häusel. Bei manchen werde gerade das Nicht-zur-Schau-Stellen von Statussymbolen zum Statussymbol, ergänzt die Wirtschaftswissenschaftlerin Fabiola Gerpott. „Also Understatement als Selbstdarstellungsstrategie."
Für diese Leute hat die Industrie jetzt Quiet Luxury im Angebot. Die Mode ist halt nicht so leicht totzukriegen.
Definitiv auf dem Rückzug ist Formalwear. Das zeigt sich sogar beim Hochamt der Krawattenträger, den TV-Nachrichtensendungen. Im Nachtprogramm zeigen sich die Nachwuchsmoderatoren seit geraumer Zeit mit offenem Hemd. Neuerdings scheint es auch Anchorman Christian Sievers im Heute Journal nicht mehr darauf anzulegen, zum ‚Krawattenmann des Jahres‘ gewählt zu werden, so wie seine Vorgänger Claus Kleber (2010), Ulrich Wickert (2005) oder Caus Seibel (1988). Dass die Ehrung des Deutschen Krawatteninstituts 2019 das letzte Mal vergeben wurde, ist letztlich bezeichnend. Und im Fall von Sievers ist es vielleicht auch besser, wenn er die Schrecklichkeiten aus aller Welt nicht in geschmacksbefreiten Hemd/Binder-Kombinationen verkündet.
„Die Mode als Industrie hat kein Interesse daran, dass wir gut aussehen. Sie will nur, dass wir kaufen.“
Die Casualisierung macht indes nicht einmal mehr vor den altehrwürdigen Institutionen halt. So hat der US-Senat diese Woche seinen Dresscode abgeschafft. Statt Anzug und Kostüm heißt es jetzt: anything goes. Eine Missachtung, gar Entwürdigung der Institution sei das, empören sich die Republikaner. Als sei das die gröbste Entwürdigung, die sich die US-Politik zurzeit leistet.
Aber ist das alles wirklich so schlimm? Aus Business-Sicht nicht unbedingt. Die Abkehr von formalen Dresscodes und die Hinwendung zur modischen Beliebigkeit sei im Interesse der Bekleidungsindustrie, erklärt Imageberaterin Katharina Starlay, ebenfalls in der SZ. Je orientierungsloser die Menschen seien, desto mehr kaufen sie. Fast Fashion funktioniere nur in Abwesenheit eines Kleidungskodex, dessen Gültigkeit ein Quartal überdauert. „Die Mode als Industrie hat kein Interesse daran, dass wir gut aussehen. Sie will nur, dass wir kaufen.“ Und damit wir uns dabei wenigstens als bessere Menschen fühlen – so könnte man mit Hans-Georg Häusel ergänzen – hängt sich die Modeindustrie ein grünes Mäntelchen um.
Aber man darf nicht ungerecht sein. Viele in der Modeindustrie bemühen sich ernsthaft, nicht mehr Teil des Problems zu sein, sondern Teil der Lösung zu werden. Der Moral-Konsum eröffnet nämlich demjenigen Chancen, der die neuen Werte glaubwürdig zu bedienen weiß.
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Und sonst?
…nimmt Rene Benko Signa Sports United von der Börse, das Unternehmen erklärt sich zum Sanierungsfall. Letzteres verwundert kaum. Signa hatte sein Konglomerat aus meist unprofitablen E‑Shops ab 2017 günstig zusammengekauft. Es ging auch darum, die wenig sexy Handelsaktivitäten um Karstadt & Co mit vermeintlich zukunftsfähigen Geschäftsfeldern zu pimpen, immer mit Blick auf die Omnichannel-Fantasien der Signa-Geldgeber. Dabei war klar, dass ein Haufen Online-Shops zusammen mit altehrwürdigen Warenhäusern noch keine Plattform ergeben würden. 2021 wurde das Online-Business schnell und billig über einen SPAC an der New York Stock Exchange versilbert. Da war bereits absehbar, dass der Corona-Boom enden würde. Seit dem IPO ist der Kurs um 99% gefallen. Die Zeiten scheinen vorbei, dass die Anleger jede Luftnummer kaufen.
…soll Mike Jeffries laut einem BBC-Bericht junge Männer für Sex ausgebeutet haben. Bei Abercrombie & Fitch zeigt man sich „entsetzt und angewidert“. Nach Bekanntwerden der Gerüchte um den Ex-CEO knickte prompt der Kurs ein. Mit einem Plus von über 30% seit Jahresanfang gehört Abercrombie immer noch zu den großen Börsengewinnern im Modebusiness.
…startet Prada ein moonshot project. Aber in echt! Die Luxusmarke stattet die Astronauten der nächsten NASA-Mission aus, die 2025 auf dem Mond landen sollen.