Passiert large

Kautschukjeans und Holzhoodies

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Jürgen Müller

Vor lauter Spektakel in Dubai und inmitten der anhaltenden Interview-Offensive seines CEOs ist die Nachricht am Montag fast untergegangen: Hugo Boss steigt bei HeiQ AeoniQ LLC ein. Die Metzinger investieren zunächst 5 Millionen Euro und später weitere 4 Millionen in eine High Tech-Firma im Fasermarkt – und nicht etwa in eine andere Marke, woran man bei Daniel Grieders mehrfach angekündigten Übernahmeplänen eher gedacht hätte. Insofern ist die Überraschung gelungen.

Es ist aber auch sonst ein interessanter Vorgang. HeiQ AeoniQ, ein Tochterunternehmen des Schweizer Textiltechnologieanbieters HeiQ, bietet ein neuartiges Zellulose-Garn an, das als umweltverträgliche Polyester-Alternative taugt, und damit das Potenzial hat, einen Multi-Milliarden-Markt mit zu revolutionieren. Das scheint man auch bei Lycra so zu sehen; der US-Synthetikfasern-Konzern ist kurz vor Hugo Boss als Vertriebspartner bei HeiQ AeoniQ eingestiegen. Mit dem Invest sichert sich Hugo Boss den Zugriff auf Ressourcen, die die CO²-Bilanz des Unternehmens verbessern können. Und auch wenn der Stoff so schnell nicht verfügbar sein wird, zahlt das Engagement schon jetzt auf das Imagekonto ein. Langfristig ist es eine Wette auf einen Zukunftsmarkt. Über die Hälfte der globalen Faserproduktion entfällt derzeit auf Polyester, bis Ende des Jahrzehnts sollen es zwei Drittel sein. Angesichts von Klimawandel und Ressourcenknappheit wird es über kurz oder lang Alternativen zu diesem Erdöl-Produkt geben müssen. Wir sprechen von einem Markt, der auf 135 Milliarden Dollar geschätzt wird.

HeiQ, ein Spin-off der ETH Zürich, ist denn auch nicht der einzige Player, der sich dazu Gedanken macht. Hunderte Start-ups arbeiten an neuen Materialien und Produktionsverfahren für Textilien an pflanzenbasiertem Leder, an Fasern aus Holz und aus künstlichen Spinnweben-Proteinen, an regenerativen Anbaumethoden und innovativen Recyclingtechnologien. Einen Eindruck von dieser Szene gibt der State of the Industry-Report der Material Innovation Initiative.

Viele dieser jungen Unternehmen, die häufig aus der Grundlagenforschung an Universitäten hervorgegangen sind, haben ihre Produkte und Technologien mittlerweile zur Marktreife entwickelt und zugleich ein Problem: Sie haben nicht das Kapital, um eine Produktion für eine rentable Skalierung aufzubauen. Das ist aber die Voraussetzung, um Industriekunden zu gewinnen. Die braucht es wiederum, um Kapital zu mobilisieren. Ein klassisches Start-up-Dilemma: Ohne Kapital keine Produktion, ohne Produktion keine Kunden, ohne Kunden kein Kapital. Wobei es in diesem Fall einiges mehr braucht als ein paar Programmierer für eine App.

Materialinnovationen sind ein wichtiger Teil der großen Sustainability-Revolution in der Modebranche. Noch dürften viele Aktivitäten der Brands marketinggetrieben sein. Zugleich eröffnet sich hier aber ein neuer Markt, der First Mover belohnt.

Deshalb beschränken sich kommerzielle Anwendungen bislang auf kleine Capsules oder einzelne Produkte. So hat zum Beispiel Adidas vor Jahren bereits den Futurecraft Biofabric vorgestellt, ein Schuh, der aus biologisch abbaubaren Seiden-Biopolymeren des Münchner Biotech-Start-ups AmSilk hergestellt wurde. Gerade haben die Herzogenauracher mit dem finnischen Anbieter Spinnova einen Hoodie gelauncht, in den u.a. Fasern auf Holzbasis verarbeitet wurden. Diese Woche hat Marc Cain sein „Rethink together“-Programm vorgestellt: Sweat-Ware aus recycletem Polyester und Tencel Modalfasern aus nachhaltigem Buchenholz. Und Hessnatur setzt Coreva-Denim von Candiani ein, in dem statt Elasthan Stretch auf Basis von Naturkautschuk mit Bio-Baumwolle verwoben ist – „der weltweit erste kompostierbare Stretch-Denim“, wie die Butzbacher ebenfalls diese Woche stolz verkünden.

Solche Materialinnovationen sind ein wichtiger Teil der großen Sustainability-Revolution, in der die Modebranche steckt. Noch dürften viele Aktivitäten der Brands auf diesem Feld marketinggetrieben sein. Zugleich eröffnet sich hier ein neuer Markt, der First Mover belohnt. Das hat man nicht nur in Metzingen erkannt. So hat H&M Millionen in das Recyclingtechnologie-Unternehmen Renewcell investiert. Ralph Lauren hat sich bei Natural Fiber Welding eingekauft. Stella McCartney, Adidas, Lululemon und Kering haben bei Mylo einen Fuß in der Tür, ein Lederimitat auf Pilzbasis der kalifornischen Firma Bolt Threads. Chanel hat bereits 2019 Anteile an der Biotech Company Evolved by Nature erworben, die Seidenproteine für etliche Anwendungen entwickelt. Von daher befindet sich Hugo Boss mit HeiQ in bester Gesellschaft.

Die Schweizer werden das frische Kapital nutzen, um ihre Pilotanlage für die Faserproduktion auszubauen. Bis Ende 2024 soll die erste Fabrik errichtet werden, die die kommerzielle Faserproduktion im großen Stil ermöglicht.

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Und sonst?

..gibt es mal wieder vernichtende Kritik an den Outfits der deutschen Olympioniken. Z.B. von Tanja Rest in der SZ: „Die Designer von Adidas müssen bemerkt haben, dass mit Schwarz-Rot-Gold kein Fashion-Pokal zu gewinnen ist, weshalb sie das Rot gedimmt und das Gold zu einem sorbethaft-säuerlichen Gelbgrünbraun verwässert haben. Mit dem Ergebnis, dass die deutschen Athleten im Stadion von Peking einliefen wie farblich zu heiß gewaschene Clowns.“

…tragen die Sportler bei TV-Interviews zudem stets Maske. Wie so vieles in Peking ist das wahrscheinlich Vorschrift und soll wohl dem guten Vorbild dienen. Angesichts der paranoiden Corona Policy der Chinesen braucht es in der „Blase“ aber bestimmt kein FFP2. Vor allem ist die Gesichtsbedeckung für den Marktwert der Olympiasieger Gift – wird man Francesco Friedrich jemals auf der Straße wiedererkennen?

…sind Masken ab sofort das Einzige, was die Deutschen noch beim Einkaufen stört. Die 2G-Kontrollen werden abgeschafft. Gut so. Es kann jetzt nur noch besser werden.

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