Passiert large

Digitale aus dem Tritt

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Jür­gen Mül­ler

Man­cher Sta­tio­nä­re wird womög­lich Scha­den­freu­de emp­fin­den, und tat­säch­lich ist es ja so, dass die Digi­ta­len sich zur­zeit in unge­wohn­ter Erklä­rungs­not befin­den. Dabei war völ­lig klar, dass die Wachs­tums­dy­na­mik im Online Retail nach den Coro­na-Boom-Jah­ren nach­las­sen wür­de – wegen der exor­bi­tan­ten Vor­la­gen, weil die Läden wie­der auf­ha­ben, viel­leicht auch weil Online sein Poten­zi­al vor­läu­fig aus­ge­schöpft hat.

So müs­sen sich die erfolgs­ver­wöhn­ten gro­ßen Play­er für zu hohe Kos­ten, stei­gen­de Ver­lus­te und Kurs­ein­brü­che recht­fer­ti­gen. Allen vor­an Ama­zon: „Ich bin sehr zuver­sicht­lich, dass wie­der den rich­ti­gen Weg fin­den wer­den“, ver­sprach CEO Andy Jas­sy sei­nen Aktio­nä­ren die­ser Tage auf der Haupt­ver­samm­lung. Das klingt gera­de so, als sei der Kon­zern auf dem Holz­weg. Wovon ja kei­ne Rede sein kann. Der eige­ne Han­dels­um­satz mag im ver­gan­ge­nen Quar­tal um 1% rück­läu­fig gewe­sen sein. Das heißt umge­kehrt aber auch, dass der Online-Gigant das hohe Covid-Niveau nahe­zu hält. Die Markt­an­tei­le gibt Ama­zon also nicht mehr her. Der Bör­sen­kurs ist in den ver­gan­ge­nen drei Mona­ten den­noch um 20% abge­sackt. So wie der von Ebay (minus 10%), Mythe­re­sa (minus 22%) oder Asos (minus 17%). Viel­leicht hilft der geplan­te Akti­en­split dem Ama­zon-Kurs wie­der etwas auf die Sprün­ge.

Fast zwei Drit­tel sei­nes Wer­tes hat About You seit dem Bör­sen­gang ver­lo­ren. Und das nach einem 48%-Umsatzplus im abge­schlos­se­nen Geschäfts­jahr und pro­gnos­ti­zier­ten 25 bis 35 Pro­zent Wachs­tum für 2022/23. „Der Kurs wird nicht nur getrie­ben durch die Din­ge, die wir tun“, hat Tarek Mül­ler im Inter­view mit der Welt erkannt. Aber nichts tun geht halt auch nicht. Womög­lich haben sich die Bör­sia­ner durch die About You-Awards beein­dru­cken las­sen, wenigs­tens ein biss­chen: seit ver­gan­ge­nen Don­ners­tag hat sich der Kurs wie­der leicht erholt.

Anders als About You hat Zalan­do im ers­ten Quar­tal dage­gen sogar erst­mals ein Umsatz­mi­nus in den Büchern, gar­niert von hohen zwei­stel­li­gen Mil­lio­nen­ver­lus­ten, dazu kommt ein skep­ti­scher Aus­blick für das lau­fen­de Geschäfts­jahr. Was Robert Gentz und David Schnei­der hef­ti­gen media­len Gegen­wind ein­ge­bracht hat. „Kopf­los in Ber­lin“ titelt das Mana­ger-Maga­zin in sei­ner aktu­el­len Aus­ga­be in Anspie­lung auf den Abgang von Co-CEO Rubin Rit­ter. In dem Bei­trag ist von extrem nega­ti­ver Stim­mung im Unter­neh­men die Rede, die Fir­ma sei aus dem Tritt und gefähr­lich ins Stru­deln gera­ten, die Fluk­tua­ti­on in den Füh­rungs­ebe­nen hoch, ins­be­son­de­re IT-Vor­stand Jim Free­man ver­grau­le rei­hen­wei­se Leis­tungs­trä­ger. Die Nega­tiv­pres­se hät­te es nicht gebraucht. Der Zalan­do-Akti­en­kurs hat sich auch so bin­nen Jah­res­frist mehr als hal­biert. In Bör­sen­krei­sen han­deln man­che Zalan­do bereits als Über­nah­me­kan­di­dat. Was bei einem Streu­be­sitz von unter 35% unwahr­schein­lich ist, so lan­ge gro­ße Inves­to­ren wie Bail­lie Gif­ford und Anders Holch Povlsen sich nicht abwen­den. Wonach es nach den jüngs­ten Zukäu­fen des Best­sel­ler-Inha­bers nicht aus­sieht.

Retourengebühren wären sinnvoll, um die sinnlose und umweltschädliche Verschickerei einzudämmen. Wenn Otto & Co ihre eigenen Nachhaltigkeitsbeteuerungen ernst nähmen,  würden sie das eher heute als morgen einführen.

Man kann sich bei die­sem Markt­um­feld vor­stel­len, dass in der Chef­eta­ge von Best Secret und bei Finanz­in­ves­tor Perm­i­ra die Köp­fe rau­chen, ob man den Bör­sen­gang tat­säch­lich durch­zie­hen soll. Die Wei­chen sind gestellt, meh­re­re Füh­rungs­po­si­tio­nen wur­den mit inter­na­tio­nal gelän­de­gän­gi­gen Hea­vy­weights besetzt, im Juli kommt mit Axel Salz­mann ein IPO-Pro­fi an Bord. Mit einem Umsatz­plus von 59% im abge­lau­fe­nen Geschäfts­jahr kann man eine schö­ne Wachs­tums­sto­ry vor­wei­sen. Die sich frei­lich etwas rela­ti­viert, wenn man dage­gen­stellt, dass im Vor­jahr – und wir reden von dem his­to­ri­schen Online-Boom-Jahr 2020! – gera­de mal ein Plus von 8% in den Büchern stand. Was man für den Bör­sen­pro­spekt nicht so alles tut.

Wäh­rend man bei Best Secret in Mün­chen den Exit plant, ist man bei Otto in Ham­burg ver­mut­lich froh, dass man nicht dem rau­en Bör­sen­kli­ma aus­ge­setzt ist. So konn­te CEO Alex­an­der Bir­ken die­se Woche die Jah­res­pro­gno­se ein­fach mal kas­sie­ren. Ange­sichts der glo­ba­len Unsi­cher­hei­ten und des gesamt­wirt­schaft­li­chen Gegen­winds traue man sich aktu­ell kei­nen kon­kre­ten Aus­blick zu.

Als hät­ten die Ver­sen­der sonst kei­ne Pro­ble­me kommt die­ser Tage nun auch noch die Dis­kus­si­on über Retou­ren­ge­büh­ren auf. Uni­q­lo hat vor über einem Jahr bereits damit ange­fan­gen, jetzt hat Zara nach­ge­zo­gen – nicht von unge­fähr han­delt es sich um ver­ti­ka­le D2C-Brands, die ihre Fili­al­sys­te­me fürs Retou­ren­ma­nage­ment ein­set­zen kön­nen. Otto & Co beeil­ten sich zu ver­si­chern, dass Retou­ren­ge­büh­ren für sie nicht in Fra­ge kom­men. „Wir wer­den unse­re Kun­din­nen in einer Zeit, in der sie durch die Teue­rung von Ener­gie und diver­ser Waren zusätz­lich belas­tet sind, ganz bestimmt nicht über kos­ten­pflich­ti­ge Retou­ren extra zur Kas­se bit­ten“, zitiert der Spie­gel einen Otto-Spre­cher. „Hara­ki­ri über­las­sen wir den Japa­nern.“ Nein, letz­te­res hat der Otto-Spre­cher natür­lich nicht gesagt.

Durch­aus bemer­kens­wert ist, dass der Bran­chen­ver­band BEVH – anders als die gro­ßen Play­er in die­sem Markt – von einem bal­di­gen Ende der kos­ten­lo­sen Retou­ren aus­geht. Dass Ver­bän­de ihren Mit­glie­dern vor­aus sind, kommt nicht all­zu häu­fig vor. Abge­se­hen davon wären Retou­ren­ge­büh­ren natür­lich sinn­voll, um die sinn­lo­se und umwelt­schäd­li­che Ver­schi­cke­rei ein­zu­däm­men. Wenn Otto & Co ihre eige­nen Nach­hal­tig­keits­be­teue­run­gen ernst näh­men,  wür­den sie das eher heu­te als mor­gen ein­füh­ren.