Mancher Stationäre wird womöglich Schadenfreude empfinden, und tatsächlich ist es ja so, dass die Digitalen sich zurzeit in ungewohnter Erklärungsnot befinden. Dabei war völlig klar, dass die Wachstumsdynamik im Online Retail nach den Corona-Boom-Jahren nachlassen würde – wegen der exorbitanten Vorlagen, weil die Läden wieder aufhaben, vielleicht auch weil Online sein Potenzial vorläufig ausgeschöpft hat.
So müssen sich die erfolgsverwöhnten großen Player für zu hohe Kosten, steigende Verluste und Kurseinbrüche rechtfertigen. Allen voran Amazon: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wieder den richtigen Weg finden werden“, versprach CEO Andy Jassy seinen Aktionären dieser Tage auf der Hauptversammlung. Das klingt gerade so, als sei der Konzern auf dem Holzweg. Wovon ja keine Rede sein kann. Der eigene Handelsumsatz mag im vergangenen Quartal um 1% rückläufig gewesen sein. Das heißt umgekehrt aber auch, dass der Online-Gigant das hohe Covid-Niveau nahezu hält. Die Marktanteile gibt Amazon also nicht mehr her. Der Börsenkurs ist in den vergangenen drei Monaten dennoch um 20% abgesackt. So wie der von Ebay (minus 10%), Mytheresa (minus 22%) oder Asos (minus 17%). Vielleicht hilft der geplante Aktiensplit dem Amazon-Kurs wieder etwas auf die Sprünge.
Fast zwei Drittel seines Wertes hat About You seit dem Börsengang verloren. Und das nach einem 48%-Umsatzplus im abgeschlossenen Geschäftsjahr und prognostizierten 25 bis 35 Prozent Wachstum für 2022/23. „Der Kurs wird nicht nur getrieben durch die Dinge, die wir tun“, hat Tarek Müller im Interview mit der Welt erkannt. Aber nichts tun geht halt auch nicht. Womöglich haben sich die Börsianer durch die About You-Awards beeindrucken lassen, wenigstens ein bisschen: seit vergangenen Donnerstag hat sich der Kurs wieder leicht erholt.
Anders als About You hat Zalando im ersten Quartal dagegen sogar erstmals ein Umsatzminus in den Büchern, garniert von hohen zweistelligen Millionenverlusten, dazu kommt ein skeptischer Ausblick für das laufende Geschäftsjahr. Was Robert Gentz und David Schneider heftigen medialen Gegenwind eingebracht hat. „Kopflos in Berlin“ titelt das Manager-Magazin in seiner aktuellen Ausgabe in Anspielung auf den Abgang von Co-CEO Rubin Ritter. In dem Beitrag ist von extrem negativer Stimmung im Unternehmen die Rede, die Firma sei aus dem Tritt und gefährlich ins Strudeln geraten, die Fluktuation in den Führungsebenen hoch, insbesondere IT-Vorstand Jim Freeman vergraule reihenweise Leistungsträger. Die Negativpresse hätte es nicht gebraucht. Der Zalando-Aktienkurs hat sich auch so binnen Jahresfrist mehr als halbiert. In Börsenkreisen handeln manche Zalando bereits als Übernahmekandidat. Was bei einem Streubesitz von unter 35% unwahrscheinlich ist, so lange große Investoren wie Baillie Gifford und Anders Holch Povlsen sich nicht abwenden. Wonach es nach den jüngsten Zukäufen des Bestseller-Inhabers nicht aussieht.
Retourengebühren wären sinnvoll, um die sinnlose und umweltschädliche Verschickerei einzudämmen. Wenn Otto & Co ihre eigenen Nachhaltigkeitsbeteuerungen ernst nähmen, würden sie das eher heute als morgen einführen.
Man kann sich bei diesem Marktumfeld vorstellen, dass in der Chefetage von Best Secret und bei Finanzinvestor Permira die Köpfe rauchen, ob man den Börsengang tatsächlich durchziehen soll. Die Weichen sind gestellt, mehrere Führungspositionen wurden mit international geländegängigen Heavyweights besetzt, im Juli kommt mit Axel Salzmann ein IPO-Profi an Bord. Mit einem Umsatzplus von 59% im abgelaufenen Geschäftsjahr kann man eine schöne Wachstumsstory vorweisen. Die sich freilich etwas relativiert, wenn man dagegenstellt, dass im Vorjahr – und wir reden von dem historischen Online-Boom-Jahr 2020! – gerade mal ein Plus von 8% in den Büchern stand. Was man für den Börsenprospekt nicht so alles tut.
Während man bei Best Secret in München den Exit plant, ist man bei Otto in Hamburg vermutlich froh, dass man nicht dem rauen Börsenklima ausgesetzt ist. So konnte CEO Alexander Birken diese Woche die Jahresprognose einfach mal kassieren. Angesichts der globalen Unsicherheiten und des gesamtwirtschaftlichen Gegenwinds traue man sich aktuell keinen konkreten Ausblick zu.
Als hätten die Versender sonst keine Probleme kommt dieser Tage nun auch noch die Diskussion über Retourengebühren auf. Uniqlo hat vor über einem Jahr bereits damit angefangen, jetzt hat Zara nachgezogen – nicht von ungefähr handelt es sich um vertikale D2C-Brands, die ihre Filialsysteme fürs Retourenmanagement einsetzen können. Otto & Co beeilten sich zu versichern, dass Retourengebühren für sie nicht in Frage kommen. „Wir werden unsere Kundinnen in einer Zeit, in der sie durch die Teuerung von Energie und diverser Waren zusätzlich belastet sind, ganz bestimmt nicht über kostenpflichtige Retouren extra zur Kasse bitten“, zitiert der Spiegel einen Otto-Sprecher. „Harakiri überlassen wir den Japanern.“ Nein, letzteres hat der Otto-Sprecher natürlich nicht gesagt.
Durchaus bemerkenswert ist, dass der Branchenverband BEVH – anders als die großen Player in diesem Markt – von einem baldigen Ende der kostenlosen Retouren ausgeht. Dass Verbände ihren Mitgliedern voraus sind, kommt nicht allzu häufig vor. Abgesehen davon wären Retourengebühren natürlich sinnvoll, um die sinnlose und umweltschädliche Verschickerei einzudämmen. Wenn Otto & Co ihre eigenen Nachhaltigkeitsbeteuerungen ernst nähmen, würden sie das eher heute als morgen einführen.