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Die WM und wir

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Jür­gen Mül­ler

Was machen wir nur, wenn Deutsch­land Welt­meis­ter wer­den soll­te? Nicht dass die Aus­sich­ten nach dem Fehl­start gegen Japan und dem "End­spiel" gegen Spa­ni­en all­zu gut wären. Aber wür­de Han­si Flick bei der Fei­er am Frank­fur­ter Römer dann eine flam­men­de Rede zur Men­schen­rechts­si­tua­ti­on in Katar hal­ten, bevor sich die Bier­du­sche über ihn ergießt? Oder begnügt sich die Mann­schaft erneut damit, die Hand vor den Mund zu neh­men?

So oder so, es wäre der Höhe­punkt einer Ver­an­stal­tung, die an Bigot­te­rie kaum zu über­tref­fen ist. Statt als Mann­schaft der WM fern zu blei­ben, was die ein­zig kon­se­quen­te Hal­tung gewe­sen wäre, setzt man auf Sym­bol­hand­lun­gen, die nichts kos­ten und nichts ändern. Selbst den win­zi­gen Preis einer Gel­ben Kar­te für die One Love-Bin­de war der DFB nicht bereit zu zah­len. Statt­des­sen knick­te man vor der FIFA ein, wie die ande­ren Mann­schaf­ten. „Infan­ti­no und die 7 Zwer­ge“, läs­ter­te der Spie­gel.

Die Medi­en berich­ten aus Katar, natür­lich nicht ohne pflicht­schul­dig dar­auf hin­zu­wei­sen, dass man die Men­schen­rechts­si­tua­ti­on natür­lich the­ma­ti­sie­ren wer­de. Die Pene­tranz die­ser Beteue­run­gen ist fast ein Grund, den Fern­se­her aus­zu­schal­ten. Den Zuschau­ern nahe­zu­le­gen, eine TV-Über­tra­gung aus Pro­test zu boy­kot­tie­ren, die sie über ihre Gebüh­ren­gel­der selbst und unge­fragt mit­be­zahlt haben, geht dage­gen zu weit. Bei der „regen­bo­gen­bun­ten Recht­fer­ti­gungs­welt­meis­ter­schaft“, so Nele Pol­lat­schek in der SZ, wer­de eine Moral zele­briert, die einem erlau­be, das zu tun, wor­auf man sowie­so Lust hat­te. Ins sel­be Horn blies Isol­de Cha­rim neu­lich im Spie­gel. Wenn Moral­fra­gen in Kon­sum­entschei­dun­gen hin­ein­spie­len, so die Phi­lo­so­phin, blei­be nur die Wahl zwi­schen lust­vol­lem Ver­zicht oder scham­vol­lem Genuss. Mit die­sem Kon­sum­ver­hal­ten sind wir auch im Mode­busi­ness zuneh­mend kon­fron­tiert.

Die Spon­so­ren wer­ben mit der WM so zurück­hal­tend wie nie zuvor, als sei ihnen das Enga­ge­ment pein­lich. Die Rewe hat mit ihrem publi­kums­wirk­sa­men Rück­zug vom DFB wahr­schein­lich noch das Bes­te draus gemacht. Sym­pto­ma­tisch Lou­is Vuit­tons Schach­du­ell, das mit Katar nur inso­fern zu tun hat, als dass Lio­nel Mes­si und Cris­tia­no Ronal­do zur­zeit dort auf dem Platz ste­hen. Das Lei­bo­vitz-Foto ging prompt viral, was kein Wun­der ist, da die bei­den zusam­men weit über 800 Mil­lio­nen Fol­lower nur auf Insta­gram haben. Die Figu­ren­auf­stel­lung auf dem Schach­brett soll dem legen­dä­ren Show­down zwi­schen Magnus Carlsen und Hika­ru Naka­mu­ra von 2017 ent­spre­chen – aber das haben die bei­den Welt­fuß­bal­ler bestimmt gleich erkannt.

Unternehmen sind gut beraten, Geschäfte im Einklang mit moralischen Vorstellungen zu machen. Problematisch wird es immer dann, wenn man Moral für mehr Geschäft einzuspannen versucht.

Beson­ders hei­kel ist die Situa­ti­on für die gro­ßen Sport­ar­tik­ler – für Nike und Adi­das sind Events wie Olym­pia oder die WM als Mar­ken-Schau­lauf so wich­tig wie die Cat­walks für Cha­nel und Guc­ci. Nur dass Letz­te­re die vol­le Kon­trol­le über Büh­nen­bild und Haupt­dar­stel­ler haben. Beson­ders bit­ter, wenn dann auch noch ein Inves­ti­ga­tiv-Team von Flip und ZEIT ent­hüllt, dass das Adi­das-Tri­kot, das die deut­schen Kicker in Katar tra­gen, zu einem gerin­ge­ren Anteil als behaup­tet aus „Oze­an-Plas­tik“ besteht, dass Zulie­fe­rer auf den Phil­ip­pi­nen den Plas­tik­müll von Kin­dern ein­sam­meln las­sen und die Leib­chen nach Labor­un­ter­su­chun­gen auch noch jede Men­ge Mikro­plas­tik abge­ben, das dann am Ende wie­der­um die Mee­re ver­schmutzt. So ist der Fuß­ball am Ende auch noch für das Arten­ster­ben ver­ant­wort­lich.

Jen­seits des gut­ge­mein­ten Pro­tests gegen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen geht es in Katar auch um Mar­ken­po­si­tio­nie­rung. Und die Natio­nal­mann­schaft ist aus DFB-Sicht ja nichts ande­res als eine Mar­ke. Die­se muss sich von der bösen FIFA und den auto­kra­ti­schen Scheichs distan­zie­ren, wenn sie nicht beschä­digt wer­den soll. „An die­ser Stel­le muss auch der unzy­nischs­te Beob­ach­ter zuge­ben“, schreibt Pol­lat­schek in der SZ, „dass es (…) natür­lich nicht um Moral, Soli­da­ri­tät und Men­schen­rech­te geht – sonst wäre man ja nicht, lan­ge geplant, in Katar -, son­dern um Wer­be­deals. Dar­um, in einem Mil­li­ar­den­ge­schäft noch den letz­ten Cent mit­zu­neh­men. (…) Man möch­te sowohl am homo­pho­ben Katar wie auch am Homo­pho­bie stig­ma­ti­sie­ren­den Wes­ten ver­die­nen.“

Unter­neh­men sind sicher gut bera­ten, Geschäf­te im Ein­klang mit mora­li­schen Vor­stel­lun­gen zu machen. Das Pro­blem ist nur, dass sich die­se Vor­stel­lun­gen je nach Kul­tur­kreis unter­schei­den. Schwie­rig wird es immer dann, wenn man Moral für mehr Geschäft ein­zu­span­nen ver­sucht. Die Öffent­lich­keit ist da inzwi­schen sehr sen­si­bel. Im Mode­busi­ness kön­nen wir ein Lied davon sin­gen. Man ahnt die Ziel­kon­flik­te, wenn Fast Fashion-Kon­zer­ne sich nach­hal­tig geben, wo sie doch davon leben, mög­lichst viel zu ver­kau­fen.

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Und sonst?

Ist Ales­san­dro Miche­les Abgang bei Guc­ci natür­lich das ande­re gro­ße The­ma der Woche. Die Insta­gram-Feeds der Mode-Bla­se lau­fen über vor Trau­er­be­kun­dun­gen. Als sei der Mann gestor­ben. Dabei fei­ert er heu­te sei­nen 50. Geburts­tag! Wir gra­tu­lie­ren!

Wir wer­den noch viel von Ales­san­dro Miche­le hören. Der Guc­ci-Style ist frei­lich der­art mit sei­ner Per­son ver­bun­den, dass kaum vor­stell­bar ist, dass er etwas ande­res machen kann als bun­ten, insta­gra­ma­blen Camp. Den Traum­tän­zer zu enga­gie­ren, wird sich jede ande­re Luxu­ry Brand gut über­le­gen. Aus dem­sel­ben Grund wird span­nend sein, wer Miche­le bei Guc­ci nach­folgt. Eine radi­ka­le Rück­kehr zum Stil sei­ner Vor­gän­ger wäre ein Bruch, den die Kund­schaft der Mar­ke womög­lich nicht abnimmt.