Was machen wir nur, wenn Deutschland Weltmeister werden sollte? Nicht dass die Aussichten nach dem Fehlstart gegen Japan und dem "Endspiel" gegen Spanien allzu gut wären. Aber würde Hansi Flick bei der Feier am Frankfurter Römer dann eine flammende Rede zur Menschenrechtssituation in Katar halten, bevor sich die Bierdusche über ihn ergießt? Oder begnügt sich die Mannschaft erneut damit, die Hand vor den Mund zu nehmen?
So oder so, es wäre der Höhepunkt einer Veranstaltung, die an Bigotterie kaum zu übertreffen ist. Statt als Mannschaft der WM fern zu bleiben, was die einzig konsequente Haltung gewesen wäre, setzt man auf Symbolhandlungen, die nichts kosten und nichts ändern. Selbst den winzigen Preis einer Gelben Karte für die One Love-Binde war der DFB nicht bereit zu zahlen. Stattdessen knickte man vor der FIFA ein, wie die anderen Mannschaften. „Infantino und die 7 Zwerge“, lästerte der Spiegel.
Die Medien berichten aus Katar, natürlich nicht ohne pflichtschuldig darauf hinzuweisen, dass man die Menschenrechtssituation natürlich thematisieren werde. Die Penetranz dieser Beteuerungen ist fast ein Grund, den Fernseher auszuschalten. Den Zuschauern nahezulegen, eine TV-Übertragung aus Protest zu boykottieren, die sie über ihre Gebührengelder selbst und ungefragt mitbezahlt haben, geht dagegen zu weit. Bei der „regenbogenbunten Rechtfertigungsweltmeisterschaft“, so Nele Pollatschek in der SZ, werde eine Moral zelebriert, die einem erlaube, das zu tun, worauf man sowieso Lust hatte. Ins selbe Horn blies Isolde Charim neulich im Spiegel. Wenn Moralfragen in Konsumentscheidungen hineinspielen, so die Philosophin, bleibe nur die Wahl zwischen lustvollem Verzicht oder schamvollem Genuss. Mit diesem Konsumverhalten sind wir auch im Modebusiness zunehmend konfrontiert.
Die Sponsoren werben mit der WM so zurückhaltend wie nie zuvor, als sei ihnen das Engagement peinlich. Die Rewe hat mit ihrem publikumswirksamen Rückzug vom DFB wahrscheinlich noch das Beste draus gemacht. Symptomatisch Louis Vuittons Schachduell, das mit Katar nur insofern zu tun hat, als dass Lionel Messi und Cristiano Ronaldo zurzeit dort auf dem Platz stehen. Das Leibovitz-Foto ging prompt viral, was kein Wunder ist, da die beiden zusammen weit über 800 Millionen Follower nur auf Instagram haben. Die Figurenaufstellung auf dem Schachbrett soll dem legendären Showdown zwischen Magnus Carlsen und Hikaru Nakamura von 2017 entsprechen – aber das haben die beiden Weltfußballer bestimmt gleich erkannt.
Unternehmen sind gut beraten, Geschäfte im Einklang mit moralischen Vorstellungen zu machen. Problematisch wird es immer dann, wenn man Moral für mehr Geschäft einzuspannen versucht.
Besonders heikel ist die Situation für die großen Sportartikler – für Nike und Adidas sind Events wie Olympia oder die WM als Marken-Schaulauf so wichtig wie die Catwalks für Chanel und Gucci. Nur dass Letztere die volle Kontrolle über Bühnenbild und Hauptdarsteller haben. Besonders bitter, wenn dann auch noch ein Investigativ-Team von Flip und ZEIT enthüllt, dass das Adidas-Trikot, das die deutschen Kicker in Katar tragen, zu einem geringeren Anteil als behauptet aus „Ozean-Plastik“ besteht, dass Zulieferer auf den Philippinen den Plastikmüll von Kindern einsammeln lassen und die Leibchen nach Laboruntersuchungen auch noch jede Menge Mikroplastik abgeben, das dann am Ende wiederum die Meere verschmutzt. So ist der Fußball am Ende auch noch für das Artensterben verantwortlich.
Jenseits des gutgemeinten Protests gegen Menschenrechtsverletzungen geht es in Katar auch um Markenpositionierung. Und die Nationalmannschaft ist aus DFB-Sicht ja nichts anderes als eine Marke. Diese muss sich von der bösen FIFA und den autokratischen Scheichs distanzieren, wenn sie nicht beschädigt werden soll. „An dieser Stelle muss auch der unzynischste Beobachter zugeben“, schreibt Pollatschek in der SZ, „dass es (…) natürlich nicht um Moral, Solidarität und Menschenrechte geht – sonst wäre man ja nicht, lange geplant, in Katar -, sondern um Werbedeals. Darum, in einem Milliardengeschäft noch den letzten Cent mitzunehmen. (…) Man möchte sowohl am homophoben Katar wie auch am Homophobie stigmatisierenden Westen verdienen.“
Unternehmen sind sicher gut beraten, Geschäfte im Einklang mit moralischen Vorstellungen zu machen. Das Problem ist nur, dass sich diese Vorstellungen je nach Kulturkreis unterscheiden. Schwierig wird es immer dann, wenn man Moral für mehr Geschäft einzuspannen versucht. Die Öffentlichkeit ist da inzwischen sehr sensibel. Im Modebusiness können wir ein Lied davon singen. Man ahnt die Zielkonflikte, wenn Fast Fashion-Konzerne sich nachhaltig geben, wo sie doch davon leben, möglichst viel zu verkaufen.
+++++
Und sonst?
Ist Alessandro Micheles Abgang bei Gucci natürlich das andere große Thema der Woche. Die Instagram-Feeds der Mode-Blase laufen über vor Trauerbekundungen. Als sei der Mann gestorben. Dabei feiert er heute seinen 50. Geburtstag! Wir gratulieren!
Wir werden noch viel von Alessandro Michele hören. Der Gucci-Style ist freilich derart mit seiner Person verbunden, dass kaum vorstellbar ist, dass er etwas anderes machen kann als bunten, instagramablen Camp. Den Traumtänzer zu engagieren, wird sich jede andere Luxury Brand gut überlegen. Aus demselben Grund wird spannend sein, wer Michele bei Gucci nachfolgt. Eine radikale Rückkehr zum Stil seiner Vorgänger wäre ein Bruch, den die Kundschaft der Marke womöglich nicht abnimmt.