"Die Stimmung ist schlechter als die Lage", verkündete Katag-Chef Daniel Terberger vorgestern auf der Cheftagung der Verbundgruppe in Bielefeld. Für viele der anwesenden Einzelhändler trifft das wahrscheinlich zu. Zweifelsohne werden die Platzhirsche von vielen Seiten angegriffen. Aber wo alle von „Customer Centricity“ reden, sind lokal verankerte Player in keiner schlechten Ausgangssituation gegenüber zentralistisch aufgestellten Filialsystemen und anonymen Webshops. Gut geführte Multilabel-Häuser können auch in Zeiten von Vertikalisierung und Digitalisierung zu den Gewinnern gehören.
Dass die Stimmung schlechter ist, heißt indes nicht, dass die Lage gut ist. Den meisten steckt das zähe Minus-Jahr 2018 noch immer in den Knochen, zumal das erste Halbjahr 2019 wenig Hinweise auf eine grundlegende Trendwende beim Modekonsum gab. In den vergangenen Wochen zeigte die Umsatzkurve dann vielerorts nach oben, leider Gottes meist durch Rabatte befeuert, aber Plus ist Plus und tut erstmal gut.
Das Geschäft springt aus Sicht der Industrie zur rechten Zeit an, denn in den kommenden Wochen wird ein Gutteil der Orderbudgets fürs nächste Frühjahr platziert. Einzelhändler haben bekanntlich ein kurzes Gedächtnis – je voller die Tageskassen, desto optimistischer fällt die Saisonplanung gerne mal aus. Kommende Woche in Berlin wird die Stimmung aber auch so stimmen. Messen sind stets auch Motivationsveranstaltungen. Der positive Schwung wird der Fashion Week zusätzlich gut tun.
Es ist im übrigen nicht allein die Konjunktur, die den Modehäusern Sorgen bereitet. Mit der anhaltenden Konsumklimakrise haben die Unternehmen umzugehen gelernt. Auch mit der vertikalen Konkurrenz hat man sich arrangiert, zumal sich etliche Filialketten und auch die Monolabelstores der Industrie in den vergangenen Jahren vielfach selbst entzaubert haben.
Wirklich Angst macht die Erkenntnis, dass das bisherige Geschäftsmodell künftig womöglich nicht mehr trägt. Abzulesen an den rückläufigen Frequenzen. Der Vormarsch der Digitalen verändert nicht nur massiv das Kundenverhalten und die Konsumansprüche, sondern setzt neue Spielregeln im Markt, die man selbst nicht mehr versteht, geschweige denn mit dem erlernten Instrumentarium zu beherrschen in der Lage ist. Da greifen Typen an, mit denen man schon allein deswegen wenig anfangen kann, weil sie sich in erster Linie als Techies und allenfalls nebenbei als Textilhändler verstehen. Gründer, die eine Wachstumsstory und nicht Ware verkaufen wollen und die buchstäblich ohne Rücksicht auf Verluste auf Marktanteile aus sind. Es ist ein von Fremdkapital in der Hoffnung grandioser künftiger Gewinne genährter Verdrängungswettbewerb.
Gleichzeitig tun sich die Mittelständler schwer, die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen. Es fehlt Kapital, und es fehlt Know-how. B2B-Lösungen wie Fashion Cloud oder Initiativen wie Modehaus.de können hier wertvolle Hilfestellung leisten. Auch in der vertikalen Kooperation gibt es Potenziale. Die neuen Technologien können dazu beitragen, Planung, Produktentwicklung, Beschaffung und Allokation in der sogenannten textilen Pipeline schneller und treffsicherer auszurichten. „Unser Haupt-Problem ist ja nicht die Digitalisierung“, so ein Gesprächspartner in Bielefeld, „sondern dass zu viel falsche Ware im Markt ist.“
Nimmt man übrigens die Stimmung am Mittwochabend auf der Katag-Party als Gradmesser, dann muss die Lage zurzeit grandios sein. Moet sei Dank.
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