Dass OVS mit der Übernahme von Charles Vögele einen Bogen um Deutschland macht, hängt allenfalls zum Teil mit der Marktmisere hierzulande zusammen. Allein diese Woche sind mit Kiki (der Kindermodefilialist, nicht zu verwechseln mit Kik) und Strauss Innovation zwei weitere Filialisten mit 65 bzw. 55 Stores in die Knie gegangen. Möglicherweise haben die Italiener auch noch ihren Deutschland-Ausflug von 2001 in schlechter Erinnerung; damals hatten sie sich bei der Übernahme von 98 Kaufhalle-Standorten eine blutige Nase geholt und sich nach nur drei Jahren mit Oviesse wieder vom Hof geschlichen. Das hat die Muttergesellschaft Coin in eine Schieflage gebracht, was 2005 letztlich zur Übernahme durch Finanzinvestoren geführt hat. Vielleicht hat den Italienern aber auch nur Heinz Krogner abgeraten, der im Board of Directors von OVS in Mestre sitzt…
Doch im Ernst: Der Hauptgrund, weshalb die 283 deutschen Vögele-Läden abgespalten werden, ist natürlich, dass die Standorte für ein City-Format wie OVS nicht attraktiv sind, handelt es sich doch überwiegend um Out-of-town-Lagen. Das war ja schon ein Kernproblem von Charles Vögele, dass die Marke in ihren Märkten sehr unterschiedlich positioniert war; im Stammland Schweiz als klassisches Innenstadt-Modehaus und in Deutschland eher als Takko- und Adler-Konkurrent auf der Grünen Wiese. Der Ankündigung von OVS-CEO Stefano Beraldo, dass die deutschen Stores nun in zwei Tranchen verkauft würden, könnte noch ein Schließkonzert folgen. Der noch nicht genannte Übernehmer der erste Tranche wird sich kaum die schlechteren Standorte gesichert haben.
Sofern die Aktionäre das Kaufangebot von Sempione Retail annehmen, wofür vieles spricht, wird im kommenden Jahr OVS an den Filialen stehen. Mit „Charles Vögele“ verschwindet demnächst also wohl ein ehemals großer Name von der Landkarte des europäischen Einzelhandels. Charles, der eigentlich Karl Leo Vögele hieß, war ein so illustrer Charakter, wie die Vögele-Läden unglamourös waren. In den 50er und 60er Jahren war er ein erfolgreicher Autorennfahrer und unterhielt zeitweise einen eigenen Rennstall, später wandte er sich der Kunst zu und gründete u.a. das Seedamm-Kulturzentrum Pfäffikon. In 40 Jahren machte Vögele mit seiner Frau Agnes aus einem kleinen Laden am Züricher Hirschgraben eine internationale Filialkette mit 360 Läden in der Schweiz, Deutschland und Österreich und einem Jahresumsatz von 950 Millionen DM. 1997 – fünf Jahre bevor er 79jährig starb – verkaufte der Gründer seine Firma für nicht ganz eine Milliarde DM an Finanzinvestoren.
Die heutigen Probleme waren damals bereits angelegt. Vögele hatte eine ehrgeizige Expansion betrieben, die nach dem Börsengang im Jahr 2000 noch einmal forciert wurde. Durch diverse Übernahmen und eine ehrgeizige Auslandsexpansion entstand ein heterogener Konzern mit in der Spitze 850 Filialen und auf dem Höhepunkt im Jahr 2007 fast 1,4 Milliarden Euro Umsatz. Seither hat das Unternehmen fast 600 Millionen Umsatz verloren, seit fünf Jahren schreibt es rote Zahlen. Die überraschende Franken-Aufwertung Anfang 2015 machte den Sanierungsversuchen dann endgültig einen Strich durch die Rechnung. Es bleibt nun offenbar keine andere Möglichkeit als Verkaufen und Umflaggen.
OVS ist kurioserweise selbst ein Unternehmen, das durch Mergers und Akquisitions groß wurde. Der Börsengang 2015 hat Geld in die Kasse gespült, das jetzt in die Internationalisierung investiert wird. Insofern wiederholt sich hier ein Schema. Allzu viel Geld müssen die Italiener für Charles Vögele freilich nicht aufbieten, und sie haben eine clevere Konstruktion gewählt, die ihnen 100% operativen Einfluss sichert, aber als Minderheitsgesellschafter am Sempione-Konsortium lediglich 35% des Risikos aufbürdet. Vögele-Großaktionär Aspen Trust bleibt mit 22,5% an Bord, wahrscheinlich hat der Investor den Deal auch eingefädelt. OVS-CEO Beraldo hat zudem offenbar genau hingeschaut, was er da kauft und was sich weiterzubetreiben lohnt. Auch in der Schweiz sollen Standorte aufgegeben werden. Und Beraldo gibt sich umsichtig: „Das wird nicht einfach.“
Oviesse-Chef Paolo Ricotti hatte 2001 ganz anders geklungen: „Oviesse ist ein tödlicher Cocktail.“ Am Ende hat er sich selbst daran verschluckt.