Die Eröffnung eines weiteren Ladens wäre bei den meisten Filialketten nicht weiter erwähnenswert. Wenn es sich nicht um Karstadt handelte. So sorgen die Warenhaus-Pläne in Berlin-Tegel diese Woche für Schlagzeilen. Es wird für die Essener der erste neue Standort seit über 30 Jahren. Nach dem beispiellosen Niedergang des einstigen deutschen Warenhausprimus inklusive überstandener Insolvenz und Inhaberwechseln soll die Neueröffnung die Wende markieren. Stephan Fanderl spart denn auch nicht mit Pathos: "Mit der Neueröffnung eines Warenhauses betreten wir einen neuen Abschnitt in der Karstadt- und Einzelhandelsgeschichte in Deutschland", lässt sich der Karstadt-CEO zitieren. Für Karstadt mag das zutreffen. Ob die Einzelhandelsgeschichte ab 2018 ein neues Kapitel aufschlägt, bleibt abzuwarten.
Das Warenhaus wird seit vielen Jahren totgeschrieben. Tatsächlich war die Misere der Warenhäuser in erster Linie eine Karstadt-Krise. Widerstreitende Interessen von Inhabern und Aktionären, von Management und Betriebsräten, von Gewerkschaft und Politik haben verhindert, dass das Unternehmen sich dem Strukturwandel im Einzelhandel anpassen konnte. Kaufhof hat diesen Prozess unter dem Dach des Metro-Konzerns weitaus besser managen können. Natürlich war das Warenhaus als dominante Betriebsform der Wirtschaftswunderjahre den Konsum- und Wettbewerbs-Veränderungen in besonderem Maße ausgesetzt. Es wurde links überholt von den billigeren Discountern und rechts von den kompetenteren Spezialisten. Die Shopping Center verschafften der vertikalen Konkurrenz Raum und entwerteten zugleich die traditionelle Fußgängerzone. Das Warenhaus war in seinen vielen kleinen und mittleren Standorten in die Nahversorgerfunktion gezwungen und musste sich auf Bedarfsdeckung ausrichten, wo Bedarfsweckung angesagt gewesen wäre. Spätestens mit dem Siegeszug des Internet-Handels hat sich „Alles unter einem Dach“ endgültig erledigt. Da ist Amazon nicht zu toppen. Der Online-Gigant ist in Deutschland inzwischen sechsmal so groß wie Karstadt.
Und doch waren die Meldungen vom Tod des Warenhauses stets übertrieben. In den internationalen Metropolen gehören Häuser wie Galeries Lafayette, Harrods oder Selfridges zu den Touristenattraktionen. Die vielen hundert Millionen, die in den nächsten Jahren in die Häuser der KadeWe-Group investiert werden, sind ebenso gut angelegt. Galeria Kaufhof schlägt unter HBC-Regie ein aufregendes neues Kapitel auf. Breuninger hat über viele Jahren ein Premium-Format entwickelt, das den internationalen Vergleich nicht scheuen muss. Zugleich konsolidiert sich die europäische Warenhauszene: Das sind auf der einen Seite die Insolvenz der britischen BHS Group und das Aus für V&D in den Niederlanden. Auf der anderen Seite übernimmt Selfridges De Bijenkorf, steigt die thailändische Central Group bei La Rinascente, Illum und der KadeWe Group ein und engagiert sich HBC nach Kaufhof auch in den Niederlanden.
Dabei geht es nicht nur um Immobilieninteressen. Sondern auch um die Besetzung einer Schleusenwärterfunktion für die Markenindustrie. Heute schon sind die Warenhäuser vielerorts die wichtigsten Plattformen für Multilabel-Anbieter. Nicht jeder kann sich eigene Läden leisten und die machen auch nicht an jedem Standort Sinn. Und auch der Direktvertrieb im Internet ist zunächst nur für die wirklich großen und bekannten Marken eine Option. Auch wenn das Multilabel-Business insgesamt eher kleiner wird – strategisch werden die Warenhäuser für die Brands an Bedeutung gewinnen, und da ist Größe ein relevanter Faktor. Am extremsten ist diese Entwicklung im Inditex-Land Spanien zu sehen, wo der Marktzugang für Wholesale-Brands praktisch nur über Corte Ingles möglich ist.
Nicht zuletzt erlebt das Warenhaus ein Comeback, wo man es nicht erwartet hätte. Lokale Platzhirsche wie beispielsweise Engelhorn oder Garhammer bauen ihre Sortimente seit geraumer Zeit über Bekleidung hinaus aus – mit Accessoires und Schuhen, Kosmetik und Schmuck, nicht zuletzt integrieren sie zunehmend Gastronomie. Dahinter steht die Absicht, mit neuen Angeboten mehr Anlässe zum Einkaufen zu bieten, für Frequenz zu sorgen und die Aufenthaltsdauer und ‑qualität zu steigern. Gegen die zunehmende Online-Konkurrenz setzen sie das Einkaufserlebnis. Nicht zuletzt geht es darum, das Modeangebot durch stilistisch arrondierende Angebote zu profilieren. Es ist die XXL-Version von Concept Stores wie Apropos. Und die moderne Version von „Alles unter einem Dach“. Nur nicht für alle.
******
Wenn Sie keine Profashionals-Beiträge verpassen wollen, empfehle ich Ihnen, ein Update einzurichten. Einfach rechts oben E‑Mail-Adresse eingeben, „Jetzt abonnieren“ anklicken und kurz bestätigen. Auch freue ich mich über eine Weiterempfehlung an Kollegen und Freunde.