Eberhard brack

"Ware vernichten ist für uns keine wünschenswerte Option"

Eberhard Brack zur Lage: Der Chef des Ulmer Textilverwerters GLAESER Group übers Textilrecycling, den Green Deal der EU und die dramatische Krise der Altkleidersammlung.

Sie sind als Glae­ser Group auf diver­sen Fel­dern unter­wegs, belie­fern Berei­che wie Betriebs­hy­gie­ne und die Agrar­wirt­schaft. Sie ver­wer­ten Alt­tex­ti­li­en und pro­du­zie­ren mit der Mär­ki­schen Faser Poly­es­ter­fa­sern. Dane­ben ver­trei­ben Sie Stof­fe, Kurz­wa­ren und Heim­tex­ti­li­en in eige­nen Läden und bei stoffe24.com sogar Näh­ma­schi­nen. Wel­che Rol­le spielt die Alt­klei­der­samm­lung und die Restan­ten­ver­wer­tung für Ihr Geschäfts­mo­dell?

Recy­cling ist die DNA unse­res Unter­neh­mens, aus der her­aus alles ent­stan­den ist. Als unser Unter­neh­men 1888 gegrün­det wur­de, haben wir uns nur um Abfäl­le aus der Kon­fek­ti­ons­in­dus­trie geküm­mert. Die haben wir von den Pro­du­zen­ten auf der Schwä­bi­schen Alb gesam­melt und alles Mög­li­che dar­aus gemacht. Mein Vater hat dann irgend­wann ange­fan­gen, Zwei­te-Wahl-Strick­wa­ren und Web­wa­ren zusätz­lich von den Tex­til­her­stel­lern zu über­neh­men. Aus den Strick­wa­ren wur­de ein Bereich, der sich heu­te um Hygie­ne­ar­ti­kel küm­mert und mit einem Toch­ter­un­ter­neh­men in Bre­men zum Bei­spiel Des­in­fek­ti­ons­tex­ti­li­en für Kli­ni­ken macht. Bei Web­wa­ren haben wir einen Ein­zel­han­dels-Approach ent­wi­ckelt. Und aus einer kari­ta­ti­ven Akti­vi­tät mei­nes Vaters hat sich die Alt­klei­der­samm­lung erge­ben. Heu­te haben wir rund 2000 unse­rer Alt­klei­der- und Alt­schuh­sam­mel­be­häl­ter auf­ge­stellt, wor­un­ter auch unter ande­rem unser neu ent­wi­ckel­tes Modell, die green­box, das sind Sam­mel­be­häl­ter mit Insek­ten-Nist­hil­fe sowie Dach­be­grü­nung, zählt. Schließ­lich haben wir vor 20 Jah­ren einen gro­ßen Che­mie­be­trieb in Bran­den­burg über­nom­men, die Mär­ki­sche Faser.

Aus der Insol­venz.

Ja. Da hat uns jeder für ver­rückt erklärt, von wegen, es sei Quatsch in Deutsch­land zu pro­du­zie­ren und so wei­ter. Aber dass ich spin­ne, das weiß ich sel­ber, das braucht man mir jetzt nicht zu erzäh­len. Unse­re Visi­on war, ein­fach bes­ser zu sein als die Chi­ne­sen. Und die „Roh­stof­fe“ zu nut­zen, die wir hier in Deutsch­land haben: Abfäl­le. So sind wir in das Recy­cling rein­ge­gan­gen und haben bei­spiels­wei­se PET-Fla­schen zu Fasern ver­ar­bei­tet.

So viel Ware wie zur­zeit im Markt ist, soll­te Ihnen der Nach­schub nicht aus­ge­hen. Stich­wort Shein und Temu. Es steht zu befürch­ten, dass die Chi­ne­sen jetzt wegen der US-Zöl­le sogar noch viel mehr Ware zu Dum­ping­prei­sen auf den euro­päi­schen Markt schleu­sen wer­den. Der Markt wird über­schwemmt. Wir sind ja inzwi­schen so weit, dass die Alt­klei­der­samm­lung kol­la­biert, Sam­mel­con­tai­ner abge­baut wer­den. Die Bran­che ist in der Kri­se. Ein füh­ren­der Anbie­ter wie Soex muss­te sogar Insol­venz anmel­den. Wie kann das sein?

Das erhöh­te Ange­bot führt zu sin­ken­den Prei­sen für Alt­wa­re. Das Recy­cling lohnt viel­fach nicht. Das Pro­blem liegt dar­in, dass Tex­ti­li­en aus so vie­len ver­schie­de­nen Stof­fen her­ge­stellt wer­den. Her­kömm­li­ches tex­ti­les Recy­cling ist letzt­lich immer nur Down­cy­cling. Ich kann aus vie­len Sachen nur noch Dämm­ma­te­ria­li­en oder Putz­lap­pen machen.

"Vernichten ist für uns als Wertstofferhalter keine wünschenswerte Option. Sowas muss meiner Meinung nach verboten oder wenigstens moralisch geächtet sein. Lieber Re-use sinnvoll organisieren."

Wie gehen Sie als Unter­neh­men damit um?

Wir for­cie­ren neben dem Recy­cling den Re-use. Ver­nich­ten ist für uns als Wert­stoff­er­hal­ter kei­ne wün­schens­wer­te Opti­on. Es kann doch nicht sein, dass man Ware, die mit Wert­schöp­fung her­ge­stellt wur­de und die einen öko­lo­gi­schen Fuß­ab­druck hat, aus Mar­ke­ting­grün­den oder Bequem­lich­keit ver­brennt. Sowas muss mei­ner Mei­nung nach ver­bo­ten oder wenigs­tens mora­lisch geäch­tet sein. Lie­ber Re-use sinn­voll orga­ni­sie­ren!

Wis­sen sie, in wel­chem Umfang Ware ver­nich­tet wird?

Nein. Aber es fin­det lei­der statt. Hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand berich­ten sogar Kom­mu­nen, dass sie Ware aus Alt­klei­der­samm­lun­gen ver­bren­nen, weil der Wei­ter­ver­kauf gera­de sehr schwie­rig ist.

Ich stand vor Jah­ren mal auf einer Büh­ne mit dem dama­li­gen Chef von Lou­is Vuit­ton und frag­te ihn, was er denn mit unver­käuf­li­chen Pro­duk­ten mache, die es ja bei allen Pro­du­zen­ten gibt. Sei­ne Ant­wort war: „Die ver­nich­ten wir.“ Um den Absatz­ka­nal sau­ber zu hal­ten.

Ja. Das ist doch ver­rückt. Eine wahn­sin­ni­ge Ver­mö­gens­ver­nich­tung, Roh­stoff­ver­nich­tung, Res­sour­cen­ver­schwen­dung. Des­halb plä­die­ren wir Re-use.

Was ver­ste­hen Sie dar­un­ter?

Wir ver­kau­fen die Ware – gesam­mel­te Alt­klei­der und auch unver­käuf­li­che Neu­wa­re von Pro­du­zen­ten und Ein­zel­händ­lern – wei­ter. Bei­spiels­wei­se nach Afri­ka.

Die­se Pra­xis wird aber auch von man­chen kri­tisch gese­hen, weil man damit die dor­ti­gen Märk­te über­schwemmt und die loka­len Pro­du­zen­ten ver­drängt.

In Afri­ka sind heu­te weit mehr Leu­te rund um das Umnä­hen und Kon­fek­tio­nie­ren von gebrauch­ter Klei­dung tätig, als jemals in der Tex­til­in­dus­trie gear­bei­tet haben. Die Leu­te ste­hen nicht am Web­rah­men, aber die sind in der Logis­tik, beim Umnä­hen und Ver­edeln von Alt­klei­der und Neu­kon­fek­ti­on tätig.

Naja.

Ich mei­ne, wenn Unter­neh­men die Ent­schei­dung getrof­fen haben, Ware zu pro­du­zie­ren, dann haben sie auch eine Ver­ant­wor­tung für die­se Ware. Und war­um dann nicht die­ser Ware ein zwei­tes Leben ermög­li­chen. Das ist doch bes­ser als ver­bren­nen.

Es geht nicht nur um Second Hand-Ware. Sie ver­wer­ten auch Neu­wa­re?

Das Geschäft mit Neu­wa­re ist für uns zuneh­mend wich­tig. Das sind Restan­ten von der Indus­trie, Über­lä­ger aus dem Ein­zel­han­del, Ware aus Geschäfts­auf­lö­sun­gen, die wir auf­kau­fen. Natür­lich nicht zu den Prei­sen, die man sich ursprüng­lich vor­ge­stellt hat. Aber bevor die Sachen irgend­wo ver­kappt wer­den, haben wir Kanä­le, wo die Ware noch sinn­voll ver­wen­det wer­den kann.

Wel­che für Kilo­prei­se sind denn da zu erzie­len?

Das kommt dar­auf an. Das reicht von 50 Cent bis 10 Euro das Kilo – und für bes­te Pre­mi­um­wa­re von sehr, sehr guten Mar­ken auch mehr! Am Ende erge­ben sich durch einen Wei­ter­ver­kauf auch steu­er­lich inter­es­san­te Abschrei­bungs­vor­tei­le für die Ver­käu­fer.

Und sie ver­frach­ten das nach Afri­ka, und die Mar­ken­wa­re kommt dann über den Grau­markt zurück zu Kik & Co?

Ich bin mir sehr sicher, dass die Ware nicht mehr zurück­kommt. Die Stück­gut­fracht kos­tet ja auch wie­der Geld. Wir ver­kau­fen in ver­gleichs­wei­se klei­nen Men­gen, das lohnt sich für die gro­ßen Reimpor­teu­re nicht.

"Der Green Deal ist für mich zum großen Teil Greenwashing und absolut industriefeindlich. Da ist vieles schlichtweg nicht realisierbar."

Man­che sehen die Lösung des Recy­cling-Pro­blems in neu­en Tech­no­lo­gien.

Des­halb hal­ten wir als Unter­neh­mens­grup­pe auch an der Alt­klei­der­samm­lung und der Neu­wa­ren­ver­wer­tung fest. Das ist unser Roh­stoff­zu­gang. Ich kann mir vor­stel­len, dass in fünf Jah­ren, in zehn Jah­ren auch die indus­tri­el­le Ver­wer­tung von Misch­ge­we­ben mög­lich ist.

Gibt es da nicht schon ers­te Ansät­ze? Die nur noch zu teu­er sind?

Genau das ist das Pro­blem. Aber ich gehe davon aus, dass sich das ent­wi­ckeln wird.

Was hal­ten sie denn von den gesetz­li­chen Rege­lun­gen, die von der EU schon beschlos­sen sind?

Der Green Deal ist für mich zum gro­ßen Teil Green­wa­shing und abso­lut indus­trie­feind­lich. Das muss ich lei­der sagen. Da ist vie­les schlicht­weg nicht rea­li­sier­bar. Sie ken­nen viel­leicht den Witz, der vor zwei, drei Jah­ren über die Ampel kur­sier­te?

Erzäh­len Sie.

Was pas­siert, wenn der Strom aus­fällt? Dann funk­tio­niert die Ampel nicht mehr und es gilt rechts vor links… Ich bin jetzt nicht unbe­dingt ein Freund davon, dass poli­tisch rechts vor links gilt. Aber wir dür­fen es mit der grü­nen Regu­lie­rung auch nicht über­trei­ben. Wir müs­sen ein­fach eine kla­re Linie haben, die auch rea­lis­tisch ist. War­um müs­sen man­che Beklei­dungs­pro­duk­te aus so einem Mate­ri­al­misch­masch bestehen? Baum­wol­le, Vis­ko­se, irgend­wel­che Schaum­pro­duk­te, Metall, Hart­ver­schlüs­se, Reiß­ver­schlüs­se.

Weil die Mate­ria­li­en eine Funk­ti­on haben?

Ich als Poly­es­ter­mann sage, du könn­test ganz viel aus Poly­es­ter machen. Und dann schmei­ße ich das in eine Maschi­ne und schmel­ze ein und fer­tig. Wenn Her­stel­ler die Ver­pflich­tung hät­ten, dass sie ein Recy­cling­kon­zept für jedes Teil vor­zei­gen müs­sen, kämen wir womög­lich wei­ter.

Wie zuver­sicht­lich sind Sie denn, dass wir in den nächs­ten fünf bis 10 Jah­ren zu bes­se­ren Lösun­gen kom­men?

Ich bin von Natur aus krank­haf­ter Opti­mist.

Eber­hard Brack ist geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter der Hein­rich GLAESER Nach­fol­ger GmbH. Das Fami­li­en­un­ter­neh­men ist seit 1888 auf die Ver­wer­tung von Tex­ti­li­en spe­zia­li­siert und ent­wi­ckelt Pro­duk­te in den Berei­chen Stoffe/Heimtextilien und Betriebs-/Wa­sch­raum­hy­gie­ne sowie tex­ti­le Roh­stof­fe (Fasern und Gar­ne). GLAESER kauft Indus­trie und Ein­zel­han­del Über­hän­ge und Restan­ten ab. Man sam­melt Alt­klei­der in über 2000 green boxes, die das Unter­neh­men vor allem im süd­deut­schen Raum auf­ge­stellt hat. In der haus­ei­ge­nen Reis­se­rei in Ulm wird Reiss­wol­le, Reiss­baum­wol­le, Reiss­vis­ko­se, Reiss­po­ly­es­ter, Reis­s­acryl und Reiss­po­ly­amid her­ge­stellt. Außer­dem pro­du­ziert das Unter­neh­men im Zuschnei­de­be­trieb in Blau­stein Putz­lap­pen für indus­tri­el­le Anwen­dun­gen. Ein Toch­ter­un­ter­neh­men betreibt eine Ket­te von Ein­zel­han­dels­ge­schäf­ten, in denen vor allem Stof­fe und Heim­tex­ti­li­en ange­bo­ten wer­den. Zum Unter­neh­men gehört zudem der Poly­es­ter­garn­pro­du­zent Mär­ki­sche Faser nahe Ber­lin. Die Grup­pe mit Haupt­sitz in Ulm beschäf­tigt 550 Mit­ar­bei­ten­de an 14 Stand­or­ten und setzt rund 100 Mil­lio­nen Euro um.

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