Die Modebranche schielt derzeit fast ein bisschen neidisch auf Beauty. Ihr Markt entwickelt sich deutlich dynamischer. Oder täuscht der Eindruck?
Beauty hat tatsächlich die Nase vorn. Corona hat uns da sicher nochmal einen Boost gegeben. Die Leute hatten eher das Bedürfnis, sich mit einer Gesichtsmaske zu verwöhnen als ein High Fashion-Teil zu kaufen.
Was lief in den letzten eineinhalb Jahren besonders gut?
Alles, was mit Selfcare zu tun hat. Das gilt für Gesicht und Körper gleichermaßen. Ebenso auf dem Vormarsch war alles rund um Living. Jeder wollte es sich im Homeoffice so hübsch wie möglich machen. Duftkerzen zum Beispiel sind ein Thema, das normalerweise erst im Herbst losgeht, das lief ab März quasi durch. Und auch alles rund um Hygieneprodukte war ein Selbstläufer.
Sie führen als Pure Player herkömmliche und nachhaltige Beautyprodukte. Hat sich die Nachfrage nach Organic Beauty in der Pandemie verstärkt?
Die steigt eigentlich seit Jahren kontinuierlich. Im gesamten Markt findet ein großes Umdenken statt. Auch große Firmen denken immer mehr um und überlegen, ob sie den einen oder anderen Inhaltsstoff ersetzen oder wie sie die Verpackung noch nachhaltiger gestalten können. Ich denke, dass die KundInnen bei Ernährung und Kosmetik diesem Thema noch mehr Gewicht einräumen als bei Mode, weil die Produkte eben direkt auf bzw. in der Haut landen.
Wie hoch ist der Anteil bei Niche Beauty an Clean Beauty-Produkten?
Ungefähr die Hälfte. Wir wollen kein reiner Clean Shop werden, weil wir unseren KundInnen nicht suggerieren möchten, dass nur das der richtige Weg ist. Es wollen auch nicht alle ausschließlich Clean-Produkte benutzen.
Dennoch haben Sie einen eigenen Zertifizierungsbutton entwickelt. Warum?
Weil wir mit unserer eigenen Zertifizierung, dem Clean Stamp, eine bessere Übersicht in einem sehr komplexen Markt geben möchten. Man kann niemanden zumuten, sich durch sämtliche Inhaltsstoffe zu kämpfen. Organic hat zunächst etwas mit dem Sourcing der Inhaltsstoffe zu tun. Bei nachhaltigen Produkten sprechen wir nicht nur über Inhaltsstoffe, sondern auch über das Verpackungsmaterial. Unsere KundInnen sollen nicht zum Wissenschaftler werden müssen.
Diese Komplexität hat auch etwas mit den vielen Nischen-Brands zu tun, die den Beautymarkt aufmischen. Werden diese kleinen, individuellen Marken großen Konzernen den Rang ablaufen?
Dieser Eindruck täuscht nicht. Die Indie-Marken sind tatsächlich auf dem Vormarsch. Das hängt damit zusammen, dass sie eine direkte Kundenbeziehung aufgebaut und genau hingehört haben, was Kundinnen und Kunden sich wünschen. Hier muss man leider sagen, dass Mass Market-Brands Marktentwicklungen und Kundenbedürfnisse lange komplett ignoriert haben. Das funktioniert so nicht mehr. Rihanna mit ihrer Beauty-Linie war im Color Cosmetics-Bereich eine Pionierin. Ihre Idee, für jede Haut den passenden Shade zu bieten, war ein wichtiger und richtiger Step.
Wie viele Marken nehmen Sie durchschnittlich neu auf im Sortiment?
Das kann man pauschal schwer sagen. Im Schnitt vielleicht fünf Brands pro Monat. Wir haben über 200 Marken im Angebot. Natürlich schauen wir, in welchen Produktbereichen wir Handlungsbedarf haben. Aber wir müssen nicht aufnehmen, weil wir aufnehmen müssen. Wir glauben an unser kuratiertes Sortiment, das unseren Kunden die beste Auswahl bieten soll, die der Markt zu bieten hat.
Testen Sie im Team alles selbst?
Sagen wir mal so: Wir schauen uns jedes Produkt ganz genau an, bevor es in den Shop geht. Uns geht es darum, die Message der Marke rüberzubringen, aber in unserer Sprache transportiert. Deswegen machen wir eigene Bilder und schaffen unseren eigenen Content. Niche Beauty steht für einen gewissen Look and Feel, und am Ende sind im Idealfall alle happy – unsere Marken, unsere Kunden und wir.
Würden Mode-Artikel nicht als Sortimentsergänzung gut zu Ihnen passen?
Wir haben tatsächlich bereits Yoga Pants, Bademäntel und Sweaties im Sortiment. Das gehört im Sinne von 360 Grad dazu, aber natürlich kommen wir aus der Beauty. Das ist und bleibt unser Schwerpunkt.
"Bei Modehäusern macht es sicher Sinn, mehr in den Lifestyle-Bereich zu gehen, mit allem, was keine intensive Beratung erfordert. Aber um eine echte Kundenbeziehung aufzubauen, dafür braucht es schon bisschen mehr. Bei Beauty geht es sehr stark um Glaubwürdigkeit und Vertrauen."
Aktuell gibt es Brands, die mit einem oder zwei Produkten Riesenerfolge feiern. Wie kann es sein, dass ein einziges Produkt so durch die Decke gehen kann?
Nehmen Sie das Gesichtsöl von Vintner’s Daughter. Da merkt man, dass die Gründerin April Gargiulo ein Produkt perfektioniert hat. Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun. Bei Marken, die wöchentlich neue Produkte launchen, fragt man sich hingegen, wieviel Entwicklungszeit da drinsteckt und ob das wirklich richtig ist. Produkte müssen überzeugen, man kann den Kunden nichts mehr vorgaukeln. Die sind so informiert durchs Internet, Beautyblogs, Tutorials.
Das heißt, ohne Social Media geht nichts?
Über Social Media kommt Emotionalität. Man sieht noch tiefer in eine Marke rein, man sieht, wer dahintersteckt, man kriegt ein Gefühl für die Community, was gerade heiß ist und worüber diskutiert wird. Instagram hat sich für uns als wichtiger Kanal herauskristallisiert.
Welche Rolle spielen Kooperationen mit InfluencerInnen für Sie?
Sie sind wichtig, aber sie müssen einen inhaltlichen Anspruch erfüllen. Dass jemand irgendein Produkt von uns mit Kaffeetasse in der Hand und dann #sundaymorning darunter postet, versuchen wir zu vermeiden. Uns ist es wichtig, dass jemand auf Texturen eingeht, zeigt, wie man was aufträgt, damit unsere KundInnen einen Mehrwert haben.
Wie wichtig ist Storytelling?
Content ist Key. Bei uns gehen verschiedene Säulen Hand in Hand. Zum einen machen wir Videos, in denen zum Beispiel erklärt wird, wie sich eine Creme anfühlt, wie sich die Konsistenz verhält, damit wir das Feeling entsprechend transportieren. Social Media ist superwichtig, Newsletter waren und sind immer noch ein wichtiges Tool für uns. Unser Magazin ist eher ein Add-on, wo wir einfach mehr erzählen und noch tiefer in die Geschichten eintauchen können.
Gerade hat Engelhorn angekündigt, eine Beauty-Abteilung aufzuziehen, Lodenfrey will ebenfalls mehr Beauty verkaufen. Sehen Sie da eine neue Konkurrenz auf Sie zukommen?
Bei Modehäusern macht es sicher Sinn, mehr in den Lifestyle-Bereich zu gehen, mit Duftkerzen, Raumdüften, also mit allem, was keine intensive Beratung erfordert. Oder bei Replenishment-Produkten, also Selbstläufern, die man immer wieder kauft. Aber um eine echte Kundenbeziehung aufzubauen, dafür braucht es schon bisschen mehr. Bei Beauty geht es sehr stark um Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Wie viele Erstkäufe finden online statt? Ist das nicht ein Knackpunkt, dass hier doch viele lieber in ein Geschäft gehen, wenn sie eine neue Gesichtscreme kaufen möchten?
Diese Erfahrung haben wir nicht gemacht. Unsere DurchschnittskundIn ist in den Dreißigern und da nicht mehr scheu. Wir tun aber auch alles, damit sie so viel wie möglich ausprobieren können. So gibt es bei jedem Check-out Samples, die man sich selbst aussuchen kann, wir haben im ganzen Shop Beauty Deals, und wir haben unsere Beauty-Boxen, wo man ab einem gewissen Einkaufswert attraktive Testproben bekommt. Von manchen Brands würden wir uns allerdings noch mehr Samples und Testgrößen wünschen.
Jetzt haben wir viel über kleine, individuelle Brands gesprochen. Wie wichtig sind große Marken?
Es ist wichtig, Ankermarken zu haben. Brands wie Aesop, Molton Brown, Byredo oder Diptyque sind für den Wohlfühlfaktor entscheidend, damit die KundInnen, die sich nicht so gut auskennen oder das erste Mal auf unsere Seite kommen, sich nicht komplett verloren fühlen.
Lässt sich das auf die Mode übertragen?
Ich glaube an ein kuratiertes Business und dass man seine Kunden und deren Wünsche genau kennen muss – somit senkt man Retourenquoten und vermeidet überfüllte Lager. Im Gegenzug bedienen Platform Retailer mit einem more-is-more Anspruch natürlich genauso ihre Zielgruppe. Beide Strategien finden sich sowohl in der Mode als auch im Beauty Bereich.
Das Gespräch führte Sabine Spieler.