„Should we slow down or speed up?”, fragt Prada in seiner Kampagne. Und diese Frage trifft den Nerv der Zeit.
Denn es gibt sehr viele Menschen, die finden, dass die Entschleunigung, die die Pandemie mit sich gebracht hat, auch etwas Gutes hatte. Das erzwungene Innehalten und Abstandnehmen führte bei vielen zu dem Vorsatz, nach der Pandemie nicht wieder in das Hamsterrad zurückkehren zu wollen, als das ihnen ihr früheres Leben jetzt erscheint. Sie wollen kürzertreten und wünschen sich eine bessere Work-Life-Balance. Und diesen Wunsch zeigen sie mit Kleidung, die ganz ruhig und sanft und kuschelig ist.
Andererseits gibt es aber auch viele Leute, die es satthaben, von der Pandemie immer und immer wieder in ihrem Tatendrang ausgebremst zu werden. Sie wollen endlich wieder durchstarten, Gas geben und ihre PS auf die Straße bringen. Und auch dieser Wunsch kommt jetzt in der Mode und ihren Inszenierungen zum Ausdruck. Überall sehen wir z.B. Motorräder und die passenden Rennfahrer-Outfits.
Ein ähnliches gespaltenes Bild zeigt sich bei den Modemachern. Viele waren durch die immer schnellere Taktung der Lieferrhythmen schon lange am Rande des Burnouts und empfanden die von der Pandemie erzwungene Entschleunigung der Mode ebenfalls als erholsam. Auch sie wünschten sich, dieses langsamere Tempo auch jenseits der Pandemie beizubehalten. Ein von Dries van Noten initiierter Zusammenschluss von Modemarken erklärte nach der Schauenrunde für den Winter 2021: "Es ist Zeit, langsamer zu werden, und das Geschichtenerzählen und die Magie der Mode wieder zu entdecken." Doch bereits in der darauffolgenden Schauenrunde zeigte sich, wie schwer es ist, eine Branche zu entschleunigen, die sich ja nicht ohne Grund immer weiter beschleunigt hat.
Genauso widersprüchlich waren die Signale, die wir in den letzten zwei Jahren in Bezug auf die Beschleunigung und Entschleunigung des Konsums von Mode bekommen haben: Einerseits haben die Leute im Lockdown 2020 alle ihre Schränke ausgemistet und beschlossen, in Zukunft weniger zu kaufen. Andererseits lagen die Einzelhandelsumsätze im selben Jahr trotz der zwischenzeitlich geschlossenen Läden ganze 5 Prozent über dem Vorjahr. Das heißt: Die Menschen haben zwar viel über Konsumverzicht gesprochen, jedoch unterm Strich deutlich mehr gekauft.
Die Bekleidungsindustrie hat an diesem zusätzlichen Konsum leider nicht teilgehabt. Sowohl das Interesse an Mode als auch die Kleidungskäufe lagen 2020 30 Prozent unter dem Vorjahr. Für eine kurze Zeit schien es fast so, als hätten die Menschen sich grundsätzlich von der Mode abgewandt. Doch sobald irgendwo auf der Welt Lockerungen spürbar wurden, kam es zu Exzessen von Nachholkäufen und Revenge Shopping.
So widersprüchlich und verwirrend diese Phänomene auch sein mögen, so machen sie doch eines unmissverständlich klar: Die Debatte um eine nachhaltigere Mode ist während der Pandemie – und wahrscheinlich sogar durch die Pandemie – in eine neue Phase eingetreten, die sich grundsätzlich von der vorangegangenen unterscheidet. Bisher lag der Fokus auf einer nachhaltigeren Qualität der Produkte: Die Unternehmen ersetzten Baumwolle durch Bio-Baumwolle, Virgin Polyester durch Kunstfasern aus recycelten PET-Flaschen und Leder durch vegane Alternativen. Und die Konsumenten kauften einfach dasselbe in Grün. Unternehmen wie Armedangels, Ecoalf und Veja haben enorm von dieser boomenden Greensumption profitiert.
Das ungebremste Wachstum der Quantität an Kleidung wird die Ökobilanz der Modeindustrie auch weiterhin kontinuierlich verschlechtern – egal wie sehr wir uns bemühen, Kleidung ökologischer herzustellen
Doch solche Strategien, die ausschließlich die Qualität der Dinge im Blick haben, werden Modehersteller nicht durch die zweite Welle der Nachhaltigkeitsdebatte tragen. Denn die zweite Welle der Nachhaltigkeitsdebatte hinterfragt nicht mehr nur die Qualität unseres Konsums, sondern auch seine Quantität. Es geht immer weniger darum, was wir kaufen, sondern vielmehr darum, wie viel wir kaufen.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie setzt die Entwicklung der Menge an global produzierter Kleidung von 1970 bis heute ins Verhältnis zur Entwicklung der Weltbevölkerung im selben Zeitraum. Dabei sieht man, dass sich die weltweite Produktion von Kleidung früher stets im Gleichschritt mit der Weltbevölkerung entwickelt hat. Doch ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre geht die Kleidungsproduktion steil nach oben und wächst deutlich überproportional zur Weltbevölkerung. Das ist kein Zufall, denn das war genau die Zeit, in der Modefirmen ihre Produktion in Billiglohnländer verlegten, um ihre Herstellungskosten zu senken. Dadurch wurde Kleidung plötzlich sehr günstig. Wenn wir von Slow Down und Speed Up sprechen, dann war das der ursprüngliche Beschleunigungsmoment in der Mode, es war die Geburtsstunde von Fast Fashion. Seitdem hat sich der Pro-Kopf-Verbrauch an Mode mehr als verdoppelt. Entsprechend hat sich der Verbrauch an Kleidung in einem Zeitraum vervierfacht, in dem sich die Anzahl der Menschen „nur“ verdoppelt hat. Und der Pro-Kopf-Verbrauch steigt weiter. Wir befinden uns also immer noch in einer Phase der Beschleunigung.
Die unabhängige akademische Studie kommt zu dem Schluss, dass sich durch dieses nach wie vor ungebremste Wachstum der Quantität an Kleidung die Ökobilanz der Modeindustrie auch weiterhin kontinuierlich verschlechtern wird – egal wie sehr wir uns bemühen, Kleidung ökologischer herzustellen: „Trotz aller Maßnahmen der Modeindustrie zur Reduzierung der Umweltbelastung werden die aktuellen Bemühungen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit oft durch den wachsenden Konsum überholt. […] Am Ende beruht die langfristige Stabilität der Modeindustrie auf der vollständigen Abkehr vom Fast-Fashion-Modell […] Slow Fashion ist die Zukunft.“
Zu demselben Schluss sind inzwischen auch die Konsumenten gekommen. Slogans wie das Westwood-Zitat „Buy less. Choose well. Make it last.“ oder „Reduce. Reuse. Recycle.“ haben sich innerhalb der letzten zwei Jahre viral verbreitet. Bereits nach wenigen Wochen Pandemie hatten in einer Umfrage über ein Viertel der Leute angegeben, mehr Kleidung zu recyceln und wiederzuverwenden als vorher. Und über ein Drittel aller Frauen hatten beschlossen, in Zukunft weniger Kleidung zu kaufen. Damals waren sie noch eine Minderheit. Inzwischen sind sie die Mehrheit, wie die aktuellen Umfrageergebnisse zeigen, die uns bei DMI vorliegen: Auf die Frage, was sie tun, um ihren Konsum nachhaltiger zu gestalten, kreuzten im Oktober letzten Jahres erstmalig weniger Leute „Wähle nachhaltige Produkte“ an als „Versuche nur das zu kaufen, was ich brauche“. In einer noch aktuelleren Umfrage zeigte sich, dass die überwältigende Mehrheit der Verbraucher beim Kleidungskauf weder auf die Nachhaltigkeitsversprechen der Hersteller vertraut noch auf Siegel wie GOTS oder OEKOTEX achtet. Denn sie ist – so das klare Ergebnis der Befragung – zu der Überzeugung gelangt: Was in Bezug auf Nachhaltigkeit wirklich hilft, ist, weniger zu kaufen. Deshalb kauft sie hochwertige Artikel, die man lange tragen kann.
Für die Modebranche kann die Antwort – sowohl aus ökonomischer als auch aus ökologischer Sicht – nur lauten: „We should speed up to slow down“
Einzelne Modeunternehmen haben bereits reagiert und versuchen Kleidung anzubieten, die man länger tragen kann. Und dazu gehört selbstverständlich nicht nur eine solide Qualität, sondern auch ein zeitloses Design. Das deutlichste Signal in diese Richtung kam in der letzten Schauenrunde vom neuen Bottega-Veneta-Designer. Während alle gespannt waren, wie er die Traditionsmarke neugestalten würde, eröffnete er seine Debut-Show mit einem weißen Tanktop und einer klassischen Blue Jeans. Selbst die beiden größten Fast-Fashion-Anbieter Zara und H&M bemühen sich neuerdings, ein bisschen weniger fast zu sein. Wie eine aktuelle Studie zeigt, gelingt ihnen das vor allem über Premium-Kollektionen, die deutlich teurer sind als die regulären Kollektionen, einen höheren Anteil an hochwertigen Naturmaterialien haben und nicht nur von der Qualität, sondern auch vom Design langlebiger sind.
„Should we slow down or speed up?” Für die Modebranche kann die Antwort auf diese Frage – sowohl aus ökonomischer als auch aus ökologischer Sicht – nur lauten: „We should speed up to slow down.“ Was das für Unternehmen und ihre Strategien bedeutet, erfährt man auf dem DMI Fashion Day online.