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Gender Fluidity ist Big Business

Alles Quatsch mit dem Genderwahn? Nein, sagt Carl Tillessen. Als Modemarke kann man das Thema nicht aussitzen, wenn man den Anschluss an die nächste Generation nicht verlieren möchte.
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Carl Til­les­sen

Wir woll­ten immer moder­ne Eltern sein. Wir wol­len die coo­len Eltern sein, mit denen die Kids ger­ne abhän­gen. Wir wol­len unse­ren Töch­tern und Söh­nen nicht nur eine gute Mut­ter und ein guter Vater, son­dern die bes­te Freun­din, bezie­hungs­wei­se der bes­te Freund, sein. Wir wol­len die Gang unse­rer Kin­der ken­nen­ler­nen und von ihr gemocht wer­den. Wir gehen mit ihnen auf das Bil­lie-Eilish-Kon­zert. Wir kom­men mit auf die Fri­days4­Fu­ture-Demo. Wir lei­hen uns auch einen E‑Scooter. Wir zie­hen auch an dem Joint, der rum­geht …

Die Zeit seit den 1990er Jah­ren scheint die ers­te Pha­se in der moder­nen Kul­tur­ge­schich­te zu sein, die ohne genui­ne Jugend­be­we­gun­gen aus­kommt“, schrieb Andre­as Reck­witz in sei­nem vor fünf Jah­ren erschie­ne­nen Best­sel­ler. „Gene­ra­ti­ons­kon­flik­te haben […] ihre Rele­vanz ver­lo­ren, viel­mehr erschei­nen hier Eltern und Kin­der wie Bünd­nis­part­ner eines gemein­sa­men Lebens­stils […]“

Tat­säch­lich war die Har­mo­nie zwi­schen Eltern und Kin­dern in den letz­ten Jahr­zehn­ten gera­de­zu unheim­lich:

Toch­ter: „Guck mal, Mama, ich habe mir eine zer­ris­se­ne Hose gekauft.“ Mut­ter: „Wow, die ist ja cool. Wo hast du die denn her, mein Engel? Ich glaub, die kau­fe ich mir auch.“

Sohn: „Papa, ich las­se mich täto­wie­ren.“ Vater: „Dann lass uns das doch bei Dave machen, mein Gro­ßer. Der ist der Bes­te. Der hat auch den Koi auf mei­ner Wade gemacht.“

Toch­ter: „Ich will mir die Haa­re grün fär­ben.“ Mut­ter: „Das wird dir sicher super ste­hen, mei­ne Prin­zes­sin. Brauchst du Geld für den Fri­seur?“

In letz­ter Zeit kommt es jedoch in mei­nem per­sön­li­chen Umfeld immer öfter zu Dia­lo­gen wie die­sem:

Sohn: „Papa, Mama: Ich iden­ti­fi­zie­re mich nicht als Jun­ge. Ich bin jetzt nicht mehr Lukas. Ich möch­te, dass Ihr mich ab sofort als Ash­ley ansprecht.“ Vater: „…“ Mut­ter: „…“

Der Moment, in dem man die nächs­te Gene­ra­ti­on zum ers­ten Mal so gar nicht mehr ver­steht, tut mehr weh als das ers­te graue Haar. Da sit­zen wir Eltern nun rat­los zusam­men und sind plötz­lich gar nicht mehr so cool und jung und modern, wie wir doch eigent­lich sein wol­len. Viel­mehr sind wir plötz­lich genau­so, wie wir nie wer­den woll­ten. Spä­tes­tens wenn bei der zwei­ten Fla­sche Bio-Char­don­nay ers­te Stim­men laut wer­den, dass das doch alles Quatsch ist mit die­sem Gen­der­wahn, dass es doch nun ein­mal von Natur aus Män­ner und Frau­en gibt, dass das immer so war und immer so blei­ben wird, klin­gen wir genau­so reak­tio­när wie unse­re Eltern, wie deren Eltern und deren Eltern davor.

Modeunternehmen wollen cool und trendy sein und manchmal auch ein bisschen edgy. Aber bei der Geschlechtsidentität, da hört auch bei ihnen der Spaß meistens auf.

Den meis­ten deut­schen Mode­un­ter­neh­men geht es offen­bar im Moment genau­so: Auch sie wol­len unbe­dingt jugend­lich, cool und tren­dy sein und manch­mal auch ein biss­chen edgy. Aber bei der Geschlechts­iden­ti­tät, da hört auch bei ihnen der Spaß auf. Und so sit­zen die Pro­dukt­ma­na­ger und Desi­gner in der Kol­lek­ti­ons­be­spre­chung und bestär­ken sich nach dem zwei­ten Oat­me­al Matcha Lat­te gegen­sei­tig dar­in, dass das doch alles Quatsch ist mit die­sem Gen­der­wahn, dass es doch nun ein­mal von Natur aus Män­ner und Frau­en gibt, dass das immer so war und immer so blei­ben wird.

Trans­se­xu­ell im enge­ren Sin­ne sind nach inter­na­tio­na­len Stu­di­en und Daten aus Deutsch­land 0,33 bis 0,7 Pro­zent aller Men­schen. Die­se Men­schen ver­die­nen Respekt, Anteil­nah­me und Unter­stüt­zung. Eine lang­jäh­ri­ge Freun­din von mir ist trans­se­xu­ell. Sie muss­te die Äch­tung ihrer katho­li­schen Fami­lie, end­lo­se büro­kra­ti­sche Pro­ze­du­ren, ernied­ri­gen­de psy­cho­lo­gi­sche Befra­gun­gen, zeh­ren­de Hor­mon­the­ra­pien und schmerz­haf­te chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe ertra­gen. Es hat meh­re­re Jahr­zehn­te gedau­ert, bis sie end­lich als Frau leben konn­te. Im fal­schen Kör­per gebo­ren wor­den zu sein, ist ein Schick­sal.

Bei all den jun­gen Men­schen, die lie­ber ihre Pro­no­men als ihre Geschlechts­or­ga­ne ändern, liegt der Fall anders. Die Gene­ra­ti­on, die zur­zeit unser binä­res Welt­bild in Fra­ge stellt, wur­de nicht kol­lek­tiv im fal­schen Kör­per gebo­ren. Sie hat ein ganz ande­res Schick­sal:

Man muss sich bewusst machen, dass alle, die heu­te 25 Jah­re oder jün­ger sind, Digi­tal Nati­ves sind. Sie hat­ten von Geburt an WLAN und haben die Welt über ihren Touch­screen ken­nen­ge­lernt. Beson­ders bei The­men, die ihnen pein­lich sind, kon­sul­tie­ren sie lie­ber erst ein­mal das World Wide Web als jeman­den zu fra­gen, der sich damit aus­kennt – so selbst­ver­ständ­lich auch bei der ban­gen Fra­ge, wie man sich das mit dem Sex denn nun kon­kret vor­zu­stel­len hat.

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Uto­pie einer nicht­bi­nä­ren Gesell­schaft: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“

Doch statt der gesuch­ten Auf­klä­rung dar­über, wie so etwas nor­ma­ler­wei­se abläuft, bekom­men sie im Netz  – auf­grund des nicht vor­han­de­nen Jugend­schut­zes – einen unfrei­wil­li­gen Ein­blick in die extrems­ten Nischen und per­ver­ses­ten Spiel­ar­ten der Hard­core-Por­no­gra­fie. Wie eine aktu­el­le Stu­die belegt, sind Jugend­li­chen beim Erst­kon­takt mit har­ter Inter­net-Por­no­gra­fie der­zeit im Durch­schnitt 12,7 Jah­re alt. Auf die­se Wei­se wer­den sie noch lan­ge vor der Puber­tät mit einer extre­men Form von Sexua­li­tät kon­fron­tiert, für die sie weder phy­sisch noch psy­chisch bereit sind. Sie sehen bereits als Kin­der Din­ge, bei denen man selbst als Erwach­se­ner denkt: „Wenn das nor­mal ist, dann bin ich nicht nor­mal.“ „Wenn man als rich­ti­ger Mann bezie­hungs­wei­se rich­ti­ge Frau so etwas machen muss, dann will ich kein rich­ti­ger Mann, bezie­hungs­wei­se kei­ne rich­ti­ge Frau sein.“ Ent­spre­chend ver­stört und ver­un­si­chert tre­ten Digi­tal Nati­ves die Suche nach der eige­nen sexu­el­len Iden­ti­tät an. Es ist kein Wun­der, dass es die­ser Gene­ra­ti­on schwe­rer fällt, ihren Platz im Spek­trum der Geschlech­ter­iden­ti­tä­ten und der sexu­el­len Ori­en­tie­run­gen zu fin­den. Die Zah­len, die uns bei DMI vor­lie­gen, bestä­ti­gen dass sie dafür län­ger braucht als frü­he­re Gene­ra­tio­nen.

Die nächste Generation hat sich die Neuordnung der Geschlechterrollen auf die Fahnen geschrieben, und sie wird nicht lockerlassen, bis sich unsere Gesellschaft als Ganzes bewegt hat.

Der Jüng­ling, der sich die Per­len und die Sei­den­blu­se sei­ner Mut­ter aus­leiht, und die Stu­den­tin, die den Staub­man­tel und die Bund­fal­ten­ho­se ihres Groß­va­ters auf­trägt, sind im Stra­ßen­bild schon längst nicht mehr zu über­se­hen. Gen­der Flui­di­ty ist bereits Big Busi­ness. Die Nach­fra­ge nach Män­ner­schmuck zum Bei­spiel ist allein im letz­ten Jahr um 150 Pro­zent gestie­gen. Andro­gy­ne Pop­stars wie Har­ry Styl­es und Demi Lova­to domi­nie­ren das Musik­ge­schäft. Die gro­ßen inter­na­tio­na­len Mode­mar­ken sowie die wich­ti­gen Mode­ma­ga­zi­ne haben die Neu­ord­nung der Geschlech­ter­rol­len schon längst als die nächs­te gesell­schaft­li­che Groß­bau­stel­le erkannt und ange­gan­gen. Trotz alle­dem hat man schein­bar in den meis­ten deut­schen Mode­un­ter­neh­men beschlos­sen, die Sache ein­fach aus­zu­sit­zen.

Nach allem, was wir bei DMI über die Gene­ra­ti­on Z wis­sen, kön­nen wir von die­ser Stra­te­gie nur ganz ent­schie­den abra­ten. An den Hoch­schu­len, mit denen wir in Aus­tausch ste­hen, ent­wer­fen die der­zeit Stu­die­ren­den nicht nur eine neue Form von Klei­dung, sie ent­wer­fen die Uto­pie einer nicht­bi­nä­ren Gesell­schaft, in der die Gen­der­iden­ti­tä­ten so flie­ßend sind, dass es gar nicht mög­lich ist, dass eine die ande­re dis­kri­mi­niert. Die­se Jugend­be­we­gung aus­zu­sit­zen ist kei­ne Opti­on, denn die nächs­te Gene­ra­ti­on hat sich die Neu­ord­nung der Geschlech­ter­rol­len fest auf die Fah­nen geschrie­ben, und sie wird nicht locker­las­sen, bis sich unse­re Gesell­schaft als Gan­zes bewegt hat.

Ihr Mot­to dabei: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Wer nicht bereit ist, sich zu bewe­gen, zeigt damit nur, dass er das Pro­blem ist. Wer ihre For­de­run­gen igno­riert, befeu­ert nur ihren Eifer. Wer ihr Anlie­gen nicht ernst nimmt, schürt den Kon­flikt. Wer nicht bereit ist, auf ihre Bedürf­nis­se ein­zu­ge­hen, ver­prellt sie als Kund*innen. Wer sich mit ihrer Agen­da nicht aus­ein­an­der­setzt, ver­liert sowohl pri­vat als auch geschäft­lich den Anschluss an die nächs­te Gene­ra­ti­on, und zwar end­gül­tig.