Wir wollten immer moderne Eltern sein. Wir wollen die coolen Eltern sein, mit denen die Kids gerne abhängen. Wir wollen unseren Töchtern und Söhnen nicht nur eine gute Mutter und ein guter Vater, sondern die beste Freundin, beziehungsweise der beste Freund, sein. Wir wollen die Gang unserer Kinder kennenlernen und von ihr gemocht werden. Wir gehen mit ihnen auf das Billie-Eilish-Konzert. Wir kommen mit auf die Fridays4Future-Demo. Wir leihen uns auch einen E‑Scooter. Wir ziehen auch an dem Joint, der rumgeht …
„Die Zeit seit den 1990er Jahren scheint die erste Phase in der modernen Kulturgeschichte zu sein, die ohne genuine Jugendbewegungen auskommt“, schrieb Andreas Reckwitz in seinem vor fünf Jahren erschienenen Bestseller. „Generationskonflikte haben […] ihre Relevanz verloren, vielmehr erscheinen hier Eltern und Kinder wie Bündnispartner eines gemeinsamen Lebensstils […]“
Tatsächlich war die Harmonie zwischen Eltern und Kindern in den letzten Jahrzehnten geradezu unheimlich:
Tochter: „Guck mal, Mama, ich habe mir eine zerrissene Hose gekauft.“ Mutter: „Wow, die ist ja cool. Wo hast du die denn her, mein Engel? Ich glaub, die kaufe ich mir auch.“
Sohn: „Papa, ich lasse mich tätowieren.“ Vater: „Dann lass uns das doch bei Dave machen, mein Großer. Der ist der Beste. Der hat auch den Koi auf meiner Wade gemacht.“
Tochter: „Ich will mir die Haare grün färben.“ Mutter: „Das wird dir sicher super stehen, meine Prinzessin. Brauchst du Geld für den Friseur?“
In letzter Zeit kommt es jedoch in meinem persönlichen Umfeld immer öfter zu Dialogen wie diesem:
Sohn: „Papa, Mama: Ich identifiziere mich nicht als Junge. Ich bin jetzt nicht mehr Lukas. Ich möchte, dass Ihr mich ab sofort als Ashley ansprecht.“ Vater: „…“ Mutter: „…“
Der Moment, in dem man die nächste Generation zum ersten Mal so gar nicht mehr versteht, tut mehr weh als das erste graue Haar. Da sitzen wir Eltern nun ratlos zusammen und sind plötzlich gar nicht mehr so cool und jung und modern, wie wir doch eigentlich sein wollen. Vielmehr sind wir plötzlich genauso, wie wir nie werden wollten. Spätestens wenn bei der zweiten Flasche Bio-Chardonnay erste Stimmen laut werden, dass das doch alles Quatsch ist mit diesem Genderwahn, dass es doch nun einmal von Natur aus Männer und Frauen gibt, dass das immer so war und immer so bleiben wird, klingen wir genauso reaktionär wie unsere Eltern, wie deren Eltern und deren Eltern davor.
Modeunternehmen wollen cool und trendy sein und manchmal auch ein bisschen edgy. Aber bei der Geschlechtsidentität, da hört auch bei ihnen der Spaß meistens auf.
Den meisten deutschen Modeunternehmen geht es offenbar im Moment genauso: Auch sie wollen unbedingt jugendlich, cool und trendy sein und manchmal auch ein bisschen edgy. Aber bei der Geschlechtsidentität, da hört auch bei ihnen der Spaß auf. Und so sitzen die Produktmanager und Designer in der Kollektionsbesprechung und bestärken sich nach dem zweiten Oatmeal Matcha Latte gegenseitig darin, dass das doch alles Quatsch ist mit diesem Genderwahn, dass es doch nun einmal von Natur aus Männer und Frauen gibt, dass das immer so war und immer so bleiben wird.
Transsexuell im engeren Sinne sind nach internationalen Studien und Daten aus Deutschland 0,33 bis 0,7 Prozent aller Menschen. Diese Menschen verdienen Respekt, Anteilnahme und Unterstützung. Eine langjährige Freundin von mir ist transsexuell. Sie musste die Ächtung ihrer katholischen Familie, endlose bürokratische Prozeduren, erniedrigende psychologische Befragungen, zehrende Hormontherapien und schmerzhafte chirurgische Eingriffe ertragen. Es hat mehrere Jahrzehnte gedauert, bis sie endlich als Frau leben konnte. Im falschen Körper geboren worden zu sein, ist ein Schicksal.
Bei all den jungen Menschen, die lieber ihre Pronomen als ihre Geschlechtsorgane ändern, liegt der Fall anders. Die Generation, die zurzeit unser binäres Weltbild in Frage stellt, wurde nicht kollektiv im falschen Körper geboren. Sie hat ein ganz anderes Schicksal:
Man muss sich bewusst machen, dass alle, die heute 25 Jahre oder jünger sind, Digital Natives sind. Sie hatten von Geburt an WLAN und haben die Welt über ihren Touchscreen kennengelernt. Besonders bei Themen, die ihnen peinlich sind, konsultieren sie lieber erst einmal das World Wide Web als jemanden zu fragen, der sich damit auskennt – so selbstverständlich auch bei der bangen Frage, wie man sich das mit dem Sex denn nun konkret vorzustellen hat.
Doch statt der gesuchten Aufklärung darüber, wie so etwas normalerweise abläuft, bekommen sie im Netz – aufgrund des nicht vorhandenen Jugendschutzes – einen unfreiwilligen Einblick in die extremsten Nischen und perversesten Spielarten der Hardcore-Pornografie. Wie eine aktuelle Studie belegt, sind Jugendlichen beim Erstkontakt mit harter Internet-Pornografie derzeit im Durchschnitt 12,7 Jahre alt. Auf diese Weise werden sie noch lange vor der Pubertät mit einer extremen Form von Sexualität konfrontiert, für die sie weder physisch noch psychisch bereit sind. Sie sehen bereits als Kinder Dinge, bei denen man selbst als Erwachsener denkt: „Wenn das normal ist, dann bin ich nicht normal.“ „Wenn man als richtiger Mann beziehungsweise richtige Frau so etwas machen muss, dann will ich kein richtiger Mann, beziehungsweise keine richtige Frau sein.“ Entsprechend verstört und verunsichert treten Digital Natives die Suche nach der eigenen sexuellen Identität an. Es ist kein Wunder, dass es dieser Generation schwerer fällt, ihren Platz im Spektrum der Geschlechteridentitäten und der sexuellen Orientierungen zu finden. Die Zahlen, die uns bei DMI vorliegen, bestätigen dass sie dafür länger braucht als frühere Generationen.
Die nächste Generation hat sich die Neuordnung der Geschlechterrollen auf die Fahnen geschrieben, und sie wird nicht lockerlassen, bis sich unsere Gesellschaft als Ganzes bewegt hat.
Der Jüngling, der sich die Perlen und die Seidenbluse seiner Mutter ausleiht, und die Studentin, die den Staubmantel und die Bundfaltenhose ihres Großvaters aufträgt, sind im Straßenbild schon längst nicht mehr zu übersehen. Gender Fluidity ist bereits Big Business. Die Nachfrage nach Männerschmuck zum Beispiel ist allein im letzten Jahr um 150 Prozent gestiegen. Androgyne Popstars wie Harry Styles und Demi Lovato dominieren das Musikgeschäft. Die großen internationalen Modemarken sowie die wichtigen Modemagazine haben die Neuordnung der Geschlechterrollen schon längst als die nächste gesellschaftliche Großbaustelle erkannt und angegangen. Trotz alledem hat man scheinbar in den meisten deutschen Modeunternehmen beschlossen, die Sache einfach auszusitzen.
Nach allem, was wir bei DMI über die Generation Z wissen, können wir von dieser Strategie nur ganz entschieden abraten. An den Hochschulen, mit denen wir in Austausch stehen, entwerfen die derzeit Studierenden nicht nur eine neue Form von Kleidung, sie entwerfen die Utopie einer nichtbinären Gesellschaft, in der die Genderidentitäten so fließend sind, dass es gar nicht möglich ist, dass eine die andere diskriminiert. Diese Jugendbewegung auszusitzen ist keine Option, denn die nächste Generation hat sich die Neuordnung der Geschlechterrollen fest auf die Fahnen geschrieben, und sie wird nicht lockerlassen, bis sich unsere Gesellschaft als Ganzes bewegt hat.
Ihr Motto dabei: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Wer nicht bereit ist, sich zu bewegen, zeigt damit nur, dass er das Problem ist. Wer ihre Forderungen ignoriert, befeuert nur ihren Eifer. Wer ihr Anliegen nicht ernst nimmt, schürt den Konflikt. Wer nicht bereit ist, auf ihre Bedürfnisse einzugehen, verprellt sie als Kund*innen. Wer sich mit ihrer Agenda nicht auseinandersetzt, verliert sowohl privat als auch geschäftlich den Anschluss an die nächste Generation, und zwar endgültig.