„Ich meine, Trump wollte den Kohlebergbau zurückholen … Weißt du, warum dir das clever erscheint, Opa? Weil du alt bist, darum. Ich habe noch keinen einzigen Millennial getroffen, der am liebsten sofort irgendwelche schwarzen Brocken aus der Erde geholt hätte.“ (Kathleen Madigan, US-Comedian)
Es gibt Nachrichten, die fasse ich direkt als Drohung auf. „Jochen Busse kehrt auf den Bildschirm zurück“, ist so eine. Und dafür kann der 81jährige Humor-Kauz mit dem keuchend kehligen Timbre eigentlich gar nichts. Da ich seit 2005 nicht mehr am normalen TV teilnehme, ist es mir herzlich Wurst, wer dort irgendwas wie und warum moderiert, Zoten reißt oder sich in Reality-Formaten für eine Handvoll Scheine die Restwürde abkaufen lässt.
Nein, die Comebacks von Busse, Wijnvoord, Draeger, Gottschalk, Lippert (?) und bald sicher auch Bohlen rollen mir aus einem anderen Grund die unlackierten Zehennägel hoch. Weil sie symptomatisch sind, für eine Zeit, in der jeder überall was von Aufbruch, Neuanfang und Transformation krakeelt, sich aber eigentlich in einer Dauerrolle rückwärts befindet. Ein als „kultig“ deklarierter Retro-Wahn, der kaum die Erstarrung dahinter kaschieren kann.
Ein anderes Beispiel. Gilt es, ein Designer-Interview zur Lage der Modenation ins Blatt oder Heft zu heben, folgt in vielen Redaktionskonferenzen noch immer prompt der Dreiklang Joop, Sander, Lagerfeld. Inklusive der anschließenden Enttäuschung, dass zumindest für letztere Option wirklich ein Backup nötig ist. Zunächst verständlich, ob der fast 100prozentigen Bekanntheit dieser zweifellos verdienstvollen Persönlichkeiten bei den Leser:innen. Auf den zweiten Blick aber in etwa so absurd, als würde man beim Thema E‑Auto zunächst mal bei Thomas Edison anfragen, denn war der das nicht mit dem Drachen bei Gewitter, Elektrizität und so?
Nie verstanden habe ich auch Formate wie die „Kippe mit dem Ex-Kanzler“ oder so ähnlich, deren Relevanz man sich als Leser oft sehr angestrengt aus dem Filter saugen musste. Dann doch lieber „Auf einen Joint mit Willie Nelson“! Die biblische Anweisung, die Alten zu ehren, unterschreibe ich sofort mit fettem Edding. Ob das aber erzwingt, dass jeder betagte Firmenpatriarch, der sich E‑Mails von der Assistentin ausdrucken und beantworten lässt, als sympathischer Freigeist gefeiert wird, da habe ich so meine Zweifel. Ebenso beim Chefredakteur, der einst selbst den vom Verleger geschenkten Laptop (ein Wink mit dem Fortschritts-Zaunpfahl) verstauben ließ. In der Modebranche sind wir ohnehin gewöhnt an Kreative, die sich wie Päpste auf Lebenszeit berufen fühlen und quasi im Scheinwerferlicht des Laufstegs ableben wollen. Ohne Rücksicht darauf, ob Mitarbeiter und Publikum den gleichen Wunsch hegen. Kann es da sein, dass wir mittlerweile zu oft auf Großvaters Schoß sitzen, wie in den Werthers Echte-Spots meiner Kindheit? Und ist das gesund?
Wir brauchen den frischen Blick von Menschen, die von etwaigen Konsequenzen sehr konkret und langanhaltend betroffen sein werden. Die Welt braucht neue, ungeahnte Ideen und nicht wieder und wieder die größten Hits von vorgestern in der Endlosschleife.
Ehe sich nun einige erzürnte Leser und ‚hate trolls‘ in der Kommentarbox Schwielen an die Finger tippen und mir total fiese Altersdiskriminierung vorwerfen, ein paar nützliche Disclaimer: Nein, ich habe überhaupt nichts gegen Menschen mit tonnenweise Lebenserfahrung, mäandernden Fältchen und grauem Haupthaar. Letztere habe ich auch. Und für Digital Natives, die in einer Influencer-WG in Dubai hausen und ‚Love Island’ schauen, stamme ich quasi aus dem Paläozoikum. Und ich bin auch nicht der Meinung, dass es sonderlich klug ist, Marketingabteilungen mit 17jährigen zu besetzen, bloß um dem Metaverse näher zu sein.
Mit ‚ageism‘ haben diese Zeilen also wenig zu tun, eher mit dem unguten Gefühl, wenn manche Legende partout nicht in den Sonnenuntergang reiten möchte, um neue Cowboys und Cowgirls in den Sattel steigen zu lassen. Mehr noch, wir feiern sie für diesen Widerwillen, hängen an ihren Lippen, wollen Input zu jedem Thema, das sich nicht wehrt. Und das eigentlich was anderes verdient hätte: den frischen Blick von Menschen, die von etwaigen Konsequenzen sehr konkret und langanhaltend betroffen sein werden. Die ‚skin in the game’ haben. Denn diese Welt braucht neue, ungeahnte Ideen und nicht wieder und wieder die größten Hits von vorgestern in der Endlosschleife.
Kürzlich zog ein Interviewpartner aus der Lifestyle-Branche ‚off the record‘ eine gewagte Parallele: Ein Regent wie Putin sei, von Angriffskriegen einmal abgesehen, in gewisser Weise vergleichbar mit manchem Oberhaupt einer Modemarken-Dynastie. Ich weiß, ganz schön schräg, aber bitte weiterlesen. Beide seien umgeben von Ja-Sagern, verfügten über nur noch losen Kontakt zur Realität und seien mehr mit ihrem Nachruhm und Vermächtnis beschäftigt als dem agilen Management des Jetzt. Egomanie trifft Endspurt sozusagen, eine üble, bisweilen explosive Mischung. Stimmt, ein sicherlich nicht unproblematischer Vergleich, trotz mancher psychologisch stimmiger Aspekte. Aber dabei will ich es belassen.
Eher vertraut bin ich aus eigener Job-Anschauung mit dem Drama des Nicht-loslassen-Wollens wie es die HBO-Serie ‚Succession‘ seit einigen Staffeln inszeniert, lose basierend auf einem Medienmogul vom Kaliber eines Rupert Murdock. Mit genussvollem Sadismus spielt Familienoberhaupt Logan Roy darin mit den Traumata, Stockholm-Syndromen und ‚daddy issues‘ seiner Brut, während er mit dem eisernen Griff faltiger Hände die Armlehnen des goldenen CEO-Throns umklammert hält. Das Zepter abgeben? No f*cking way. Wenn er einen Rücktritt antäuscht, so wie mancher deutsche Showmaster, ist er wenige Folgen später durch eine List wieder König der Lage.
Zu gewissen Themen und gesellschaftlichen Diskussionen – Retail der Zukunft, gender-fluid fashion, finanzielle Gerechtigkeit, Diversität, Nachhaltigkeit, toxic masculinity – interessiert mich einzig die Meinung der Betroffenen und aktiven Changemaker. Nicht der Input von Waldorf und Statler.
Wann immer ich seither Familienfotos von Unternehmen sehe, in denen die Generation 70+ unangefochten das Sagen hat und pausenlos Interviews gibt, stelle ich mir die emotionalen Grabenkämpfe hinter den Kulissen vor. Die Zurückweisungen, das Buhlen um Anerkennung, die Fehden, Intrigen und im Geheimen literweise gestürzten Drinks. Es kann gar nicht anders sein, das sagen mir etliche als verschlungene Episoden von ‚Verbotene Liebe‘ und ‚Reich und Schön‘.
Nun gibt es natürlich Momente für epische Haudegen-Storys am medialen Lagerfeuer, keine Frage. Nur bin ich von deren Weisheit und praktischem Nutzen immer weniger überzeugt. Wie ich auch mich selbst nie für Phänomene wie TikTok als Gesprächspartner anfragen würde. Und zu gewissen Themen und gesellschaftlichen Diskussionen – Retail der Zukunft, gender-fluid fashion, finanzielle Gerechtigkeit, Diversität, Nachhaltigkeit, toxic masculinity – interessiert mich einzig die Meinung der Betroffenen und aktiven Changemaker. Nicht der Input von Waldorf und Statler. Alt zu sein, habe ich mal gehört, sei kein Verdienst in sich, sondern bloß verdammtes Glück. Das ich jedem von Herzen gönne.
„Warum hast du aufgehört zu malen?“, fragte der US-Satiriker Lewis Black seinen Vater, als dieser mit deutlich über 80 irgendwann nicht mehr vor der Leinwand stehen wollte. „Weil mir die Ideen ausgegangen sind“, antwortete der. Ganz sachlich, ohne Wehmut oder weinerlichen Unterton.
Ich würde mir wünschen, dass sich mancher Akteur in Amt und Würden, im berühmten Corner Office, im TV oder im Leitartikel-Elfenbeinturm früher als bisher so viel Ehrlichkeit traut. Wenigstens im Stillen. Und danach handelt. Also nicht mehr. So viel. Öffentlich. Ich habe mir in diesem Kontext schon mal eine Grabstein-Inschrift ausgesucht: „Er wusste nicht viel. Aber immerhin, wann Schluss ist.“
Siems Luckwaldt ist seit rund 20 Jahren ein Experte für die Welt der schönen Dinge und ein Kenner der Menschen, die diese Welt möglich machen. Ob in seinem aktuellen Job als Lifestyle Director von Capital und Business Punk, für Lufthansa Exclusive, ROBB Report oder das legendäre Financial Times-Supplement How To Spend It.
Oder seinem eigenen Medium LuxusProbleme. Alle zwei Wochen in Ihrer Inbox: seine Sicht auf News und Trends der Branche, aufs moderne Arbeitsleben und Phänomene der Popkultur. Wortgewaltig, pointiert, höchstpersönlich. Und das zu einem gar nicht luxuriösen Preis, nämlich ab 4 Euro pro Monat. Werden Sie jetzt Teil einer extrem attraktiven, hochbegabten Community. Hier geht es direkt zum Abo.