„Denn alle Wunder sind geschehn'
Und alle Grenzen sind zerstört.
Wir haben jedes Bild gesehn',
Uns alle Klänge tot gehört.“
„Alle Fragen sind gestellt“ aus „Elisabeth“
Waren Sie schon einmal auf einer dieser Partys, die zum jeweiligen Zeitpunkt als absoluter place to be galten? Mit Einladungskarten, für die der Schwarzmarkt Festplatten voller Kryptomünzen locker macht. Kein Outfit unter Tesla-Preis, nirgends eine Pore, jedes Lächeln hell wie Stadionscheinwerfer, astronomische Follower-Zahlen… Das Szenario gibt es natürlich auch weniger neureich. Spinnen Sie sich Ihre individuelle Eventsause zusammen, bei der man sich so deplatziert fühlt wie Zombies beim Blutspenden. Und jetzt schauen Sie sich in Gedanken einmal um, über den Rand Ihres Craft-Gin-Glases. Fällt Ihnen etwas auf? Ja, Sie sind vermutlich underdressed und haben Hektoliter zu wenig Hyalurondepots im Gesicht. Aber das meine ich nicht. Los, lassen Sie noch einmal den Blick schweifen und … Na? Genau! Je mehr sich eine Gruppe von Menschen anstrengt, einander bei Stil und Hipness voraus zu sein, desto eintöniger das Ergebnis. Wie früher auf dem Schulhof, als erst einer und dann alle in Air Jordans herumliefen, in 501-Jeans, mit Tamagotchis am Gürtel. Und jedes Mal hielt man sich für originell, subversiv, nah am Puls des Übermorgen. In Wahrheit dauerte das „Ich bin trendy“-Solo nur 15 Sekunden, Minuten, maximal Tage. Dann wurde aus einzigartig wieder langweilig bis peinlich. So wie bei mir, als ich mit Reebok The Pump(s) aus den Florida-Ferien zurückkam und darin mein Ticket für die Checker-Clique wähnte. Äh, ja. Eine Anekdote für die Therapie.
„Can’t buy me love“, das wussten schon die Beatles anno 1964, und credibility schon gar nicht. Moderne Markenstrategen scheinen den Megahit der Pilzköpfe allerdings nie gehört oder schon vergessen zu haben. Wie sonst ist der unheimliche Wahn zu erklären, der Designer und Label-Verantwortliche seit Jahren dazu treibt, immer neue Kreativprojekte, sogenannte „Kollabos“ loszutreten? In atemlosem Tempo, mit zunehmend bizarrer Partnerwahl, allenfalls hypothetischem Profit und der geschätzten Halbwertzeit einer Insta-Story. Mir ist bewusst, dass ich damit hier keine breaking news teile. Doch spätestens als kürzlich eine Mail mit dem Betreff „Puma x Haribo“ in meiner Inbox landete, wusste ich: Wir müssen reden! Mehr noch, es bedarf dringend einer Intervention, eines „Collab Detox“, ehe die Sucht nach gekaufter Coolness chronisch wird und ich als Nächstes eine PM zu „Balenciaga x Bofrost“ in den Papierkorb klicken muss.
Nun weiß ich natürlich, dass der Drang zur gemeinsamen Sache weder ein neues Phänomen noch grundsätzlich eine schlechte Idee ist. So wie ein Glas Riesling puren Genuss verspricht und der dritte Tetrapak Retsina in die Ausnüchterungszelle führen könnte. Das richtige Maß, Sie kennen das. In der Mode dürfte ein Hummer-Kleid das gegenseitige Beschnuppern der Genres ausgelöst, entworfen von Elsa Schiaparelli mit einem Motiv von Salvador Dalí anno 1937. Letzterer soll sich echte Mayonnaise darauf gewünscht haben, was unerfüllt blieb. Man könnte auch das Mondrian-Kleid (1965) von Yves Saint Laurent erwähnen. Den Schulterschluss zwischen Marc Jacobs bei Louis Vuitton und Stephen Sprouse in der Saison Herbst/Winter 2001. Yohji Yamamoto und Adidas. Thom Browne x Moncler. Raf Simons, der 2011 für eine Kollektion von Jil Sander auf Pablo Picasso zurückgriff.
Verschwunden ist das Vertrauen auf die Zugkraft der eigenen Marke, in das Können der Haus-Designer, und zu unterentwickelt die Fantasie, mögliche Alternativen zu entwickeln, ehe man sich kopf- und sinnlos den Lemmingen anschließt.
Tja, und über die nächsten zehn Jahre wurde aus der überraschenden Ausnahme ein mit hysterischer Verzweiflung bemühtes PR-Tool. Längst sind die Labels dabei gezwungen, sich wie im Highend-Swingerclub nacheinander an die gleichen Künstler, Cartoonfiguren, Fast-Food-Ketten, Videospiele, Plastikbauklötze, Rapper, Versanddienstleister, Popsternchen, Influencer, Sportteams, Softdrinks, Leinwandhelden oder schwedischen Möbelhäuser heranzumachen. Mitunter gleichzeitig, was die Absicht, dem trüben Mainstream zu entfliehen, gänzlich ad absurdum führt. Egal, offenbar. So eifrig wie Netflix neue Serien ordert – manchmal, meutern Kritiker, ohne wohl je eine Drehbuchseite gelesen zu haben – kaufen sich Modemarken munter in die Interessen potenzieller Kunden ein, robben sozial-medial zum Nischenpublikum. Alles kann, alles muss. Den Überblick haben selbst Experten mittlerweile verloren, weshalb Listicals zu Kollabos verfasst werden, die es wirklich nie gegeben hat. Noch nicht.
Nun könnte mir herzlich schnuppe sein, ob sich Jean-Michel Basquiat über eine textile Präsenz bei Urban Outfitters gefreut hätte, Maison Margiela gut zu Reebok passt oder Crocs x KFC vielleicht als Satire verstanden werden sollten. Auch das Grübeln über Gucci x Balenciaga – supercool oder Super-GAU? – ist eigentlich müßig. Wären da nicht die ungezählten Arbeitsstunden, grauen Zellen, Budgetmillionen und in den Äther geschickten Posts, die aus dieser unbehandelten Kollabo-Manie resultieren. Von globalen Konzernen – und längst auch finanziell klammen Mittelständlern, die für Kapselkollektionen aufklauben was übrigbleibt. Verschwunden ist das Vertrauen auf die Zugkraft der eigenen Marke, in das Können der Haus-Designer, und zu unterentwickelt die Fantasie, mögliche Alternativen zu entwickeln, ehe man sich kopf- und sinnlos den Lemmingen anschließt. Die Folge: Projekte, bei denen ein Beteiligter dem anderen klar überlegen ist und weiter in den Schatten drückt. Zu schwache Partner, die auch gemeinsam nicht stärker wirken. Oder Marken mit unüberbrückbaren Differenzen bei Qualität, Werten und Zielgruppen(-Ansprache), was Botschaften verpuffen und den Abverkauf straucheln lässt. Wer ein paar Minuten googelt, wird viele Beispiele finden, wo ein Marketingteam definitiv mit verbundenen Augen Pfeile auf eine Kollabo-Scheibe geworfen hat. Knapp, aber daneben.
Ich weiß, schier unbegrenzten Möglichkeiten und dem fiesen peer pressure zu widerstehen, das erfordert viel Kraft, Konzentration – und den Mut, „Nein, danke“ zu sagen. Besonders jetzt, wo sich viele nach der Wunderformel gegen alle Probleme sehnen. Doch manchmal ist 1 plus 1 eben nicht nur nicht 2 oder immer noch 1. Manchmal kommt dabei nur 0,5 heraus. Und wer für alles offen ist, sagte meine viel zu früh verstorbene Lieblingstante einmal, der ist vor allem eines: Nicht ganz dicht.
Siems Luckwaldt ist seit rund 20 Jahren ein Experte für die Welt der schönen Dinge und ein Kenner der Menschen, die diese Welt möglich machen. Ob in seinem aktuellen Job als Lifestyle Director von Capital und Business Punk, für Lufthansa Exclusive, ROBB Report oder das legendäre Financial Times-Supplement How To Spend It.
Oder seinem eigenen Medium LuxusProbleme. Alle zwei Wochen in Ihrer Inbox: seine Sicht auf News und Trends der Branche, aufs moderne Arbeitsleben und Phänomene der Popkultur. Wortgewaltig, pointiert, höchstpersönlich. Und das zu einem gar nicht luxuriösen Preis, nämlich ab 4 Euro pro Monat. Werden Sie jetzt Teil einer extrem attraktiven, hochbegabten Community. Hier geht es direkt zum Abo.