Wer sich in letzter Zeit in Onlinepanels oder Verbandskonferenzen der Modebranche eingewählt hat oder auch einfach Zeitung las, kam um eine neue Binse nicht herum: „Unsere Ware ist verderblich“, sagten da Geschäftsführer*innen von Modehäusern oder Marken, Verbände, Unternehmensberater*innen – also eigentlich alle, die irgendwie mit tragbarem Stoff zu tun haben. Als hätte eine (schlechte) Kommunikationsagentur einen Slogan entwickelt, den nun alle wiederholen, bis es das ganze Land gehört hat. Nur macht der Spruch wenig Werbung fürs Geschäft. Im Gegenteil.
Klar: Der Sinn der Wortwahl ist offensichtlich. Seit über neun Wochen sind die Sortimente wegen des Lockdowns für Kund*innen gesperrt. Die Türen sind zu, die Regale und Stangen voll, die Konten leer. Bei vielen geht es mittlerweile um die Existenz. Die Politik soll aufwachen und endlich mehr helfen.
Man kann also verstehen, wenn die Sprache drastisch wird. Trotzdem ist die Wortwahl Unsinn, gefährlich dazu. Ein Blazer ist vielleicht mal gelb, mal grün, aber auf mehr Gemeinsamkeiten wird er mit Bananen und Kiwis nicht kommen. Und was in Berlin Änderung bewirken soll, lesen die Kund*innen mit. Der Satz bekam Platz in der Tagesschau, stand in allen großen Zeitungen. Ich selbst habe ihn für DIE ZEIT aufgeschrieben. Dass der Pullover, den sie letzten März gekauft haben, in den Augen der Branche wertlose „Gammelware“ ist, macht den Kund*innen nicht gerade Lust auf den nächsten Shopping-Tripp.
Bekleidung, das Wegwerfprodukt – in den vergangenen Jahren sind immer mehr Details über Produktion und Umgang mit Mode öffentlich geworden, die dieses Image bestärken. Zu Überproduktion und ausgebeuteten Arbeiter*innen kamen Nachrichten über vergiftete Erde und vernichtete Ware. Die schöne glamouröse Modewelt der 80er und 90er hat heute eher das Image des Umweltsünders. Nicht selten zu recht.
Was dabei oft vergessen wird: Dass Mode das Leben (wenigstens für kurze Momente) besser machen kann. Wenn man an einem schlechten Tag einfach ein besonders schönes Outfit anzieht, wächst das Selbstvertrauen, die Laune steigt. Das sage nicht ich, das belegen Studien. Eine von ihnen, entstanden an der Columbia University in New York, gibt sogar an, dass die Wahl der Kleidung Auswirkungen auf unsere Leistung hat (je formeller, desto besser). Sie kann also auch die Karriere beeinflussen.
Kleidung ist etwas Wertvolles. Weil Menschen viel Energie in ihre Produktion stecken und sie wiederum Energie geben kann. So sollte über die Produkte gesprochen werden, auch wenn diese Wochen noch so hart sind. Wer unbedingt weiter von Verderblichkeit sprechen möchte, achte vielleicht mehr auf die Details: Wenn etwas schlecht wird, dann ist es der Preis.
Nina Piatscheck schreibt seit 15 Jahren über Mode. Sie volontierte nach dem Modedesign-Studium und diversen Praktika bei der TW und arbeitet dort insgesamt neun Jahre. Heute ist sie für ZEIT CAMPUS tätig und arbeitet daneben als freie Autorin für den Wirtschaftsteil der ZEIT, fürs ZEITmagazin, für vogue.de und andere Medien.