Es gibt zwei Säulen in unserer kleinen Handelswelt: der Sport und die Mode. Beide verbindet die Suche nach dem Erfolgsmodell der nahen Zukunft. Beide werden vom Online Handel zerrieben. Und beide suchen ihr Heil im Omnichannel-Handel. Das dies eine mögliche Zukunft ist, weiß man erst, wenn die Zukunft zur Gegenwart wird.
Aber eins ist klar: Um in der Zukunft zu bestehen, muss man der Gegenwart auch die einfachsten Dinge abringen. Wenn die Frequenz im Laden abnimmt, müssen die Waffen neu geschärft werden. Dafür muss man sich seiner Waffen bewusst sein. Eine, die seit Jahren gerne vernachlässigt wird, ist der Verkäufer.
Es war einmal anders. In den 80ern – um ein ganz exotisches Beispiel in die Runde zu werfen – holte sich der Skifachhandel Skilehrer aus Österreich, die mit ihrem Alpenslang Verkaufs-Wunderwaffen waren. Damals war eh alles besser, aber hat sich der Mensch an sich denn so verändert? Oder nur das Sortiment, das – als Einheitsbrei nivelliert und die Kunden alleine lassend – Langeweile hinterlässt.
Dazu eine kleine Geschichte: Meine Söhne und ich haben die Liebe zum Schlittschuhlaufen entdeckt. Ich hatte noch betagte Eishockeyschuhe aus dem Tertiär des Sportes. Die Eishalle in Frankfurt bietet einen Händler, direkt in der Halle. Die Idee lag nahe, dort für meinen Jüngsten ein erstes Set zu kaufen. An der gebotenen Auswahl gab es nichts zu meckern. Wir hatten große Augen und eine noch größere Vorfreude. Die hat der Händler dann kunstvoll zerstört. Wie das? Ging ganz schnell: unterirdisches Verkaufsgespräch. Es stellte sich heraus, es war der Chef höchstpersönlich. Seine Gehilfen standen daneben und grinsten, obgleich dieser Darbietung. Wir haben nichts gekauft.
Auf der Eisfläche kam ich mit einem alten tschechischen Trainer ins Gespräch. Er gab mir den Tipp, nach Mühlheim zu fahren. Satte 30 Minuten entfernt. Es stellte sich heraus, dass es ein Intersport-Händler war. Im ersten Moment war ich enttäuscht, hatte einen kleinen Profi-Shop erwartet. Etwas in der Art wie der Frankfurter Laufshop von Jost Wiebelhaus. Ein Erlebnisbad für die Gefühle und die Anlaufstelle für alle meine Laufgelüste.
Ok, sagte ich mir, der Tscheche wird es wissen. Der klassische Intersport-Gemischtwarenladen, frei nach dem Motto, wir können alles, verbarg aber wirklich diesen kleinen Pro Shop, den ich vor meinem fantasierenden Auge hatte. Ein eigener Raum, befüllt mit allem, was das Eishockeyherz schneller schlagen lässt. Andreas Spriestersbach, der Chef persönlich, gab uns eine Lehrstunde zum Thema Beratung. Was selten vorkommt: ich schnurrte wie ein Kätzchen. Das Ergebnis: wir kauften gleich drei Eishockey-Sets. Meine beiden Söhne und ich fuhren mit einem breiten Dauergrinsen in die Eishalle und grinsten in die zweite Runde: die Kufen hatte er mit einer Wunderschleifmaschine der neusten Generation behandelt. In der Eishalle konnte man auch schleifen lassen und dabei zusehen, wie hier mit dem Fundus aus einem Technikmuseum gearbeitet wird.
Die Geschichte hätte auch so klingen können: Ich habe ein Paar Schlittschuhe im Internet bestellt. Sie haben nicht gepasst und ich habe sie zurückgeschickt. Man hätte sie durch eine Wärmebehandlung anpassen können, aber ich wusste nicht, wie das gehen soll. Schade.
Die Tage las ich in „Der Handel“ ein Interview mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden der Intersport. Zuvor war er 20 Jahre Unternehmensberater. Ob er auch Sportler ist, gab der Artikel nicht her. Nach vier Seiten Interview wusste ich, dass die Intersport eine Hochleistungs-IT-Maschine wird, und ich traue die Umsetzung diesem Mann auch irgendwie zu. Ganz zum Schluss war noch zu lesen, dass man den Flächenertrag von 2 auf 8 Prozent steigern will. Das Wie wurde nicht beschrieben.
Nach meinem Erlebnis am POS hätte ich da eine Idee: hochprofessionelle Verkäufer-Ausbildung. Nein, nicht in Heilbronn. Zu weit! Dezentraler. Die Kirchen hatten dazu schon vor 2.000 Jahren ganz gute Ideen. Links die Ware. Rechts der Konsument. Dazwischen eine Todeszone. Eine Wüste, in der die Beratung kaum gedeihen kann. Das Personal zu schlecht geschult. Zu schlecht bezahlt. Oder einfach gar nicht existent.
Dass es anders geht, zeigen Jost Wiebelhaus und Andreas Spriestersbach. Wenn die sich aber noch um ihr Omnichannel Business mit all seinen Tücken kümmern müssten, würden sie sich auch zerreiben. Wie sagt das alte Sprichwort: Wer zwei Hasen gleichzeitig jagt, wird keinen davon fangen.
In der Mode ist es noch komplizierter. Hier gibt es keine Schlittschuhe, die besser fahren oder Laufschuhe, in denen man besser laufen kann. Hier fehlt der Erlebnisfaktor des Funktionierens. Ein übrigens sehr archaisches Erlebnis, weil es sich seit vielen Tausend Jahren aus der Verbesserung der Jagdgeräte und Waffen herausgebildet hat. Fehler hat die Evolution schon immer gerne mit dem Tod bestraft.
Bekleidung hat am wenigsten den Nutzen, jemanden warm zu halten. Im Vordergrund steht der Look, das Aussehen, und das ist ziemlich subjektiv. Jeder empfindet das anders. Manche empfinden gar nichts, wollen aber trotzdem nicht unbekleidet sein. Eigentlich die schönste Spielwiese für einen Verkäufer.
Während aber jeder Betriebswirtschaftler über Jahre mit Informationen gefüttert wird, bis er ordentlich funktioniert und viel Geld verdienen kann, bekommt der Verkäufer….. Ja was denn? Nichts! Einen Arbeitsvertrag. Eine kurze Produktschulung, und er wird auf die Fläche geschickt. Jetzt muss sich keiner wundern, dass hierbei wenig „rauskommen“ kann. Wie hat meine Oma Apollonia immer gesagt: „Wenn beim Ofen hinten Hitze rauskommen soll, muss man vorne Kohle reinstecken.“ Klingt logisch. Und diese Logik hört beim Verkäufer nicht auf.
Verkaufen hat viel mit Psychologie zu tun. Man muss wissen, wie man einem Kunden die Seele wärmt. Wenn dieser keine Bedürfnisse hätte, würde er den Laden ja erst gar nicht betreten. Was er genau will, weiß er vielleicht nicht, aber genau hier beginnt der Job eines Profis.
Die Mode hat nicht den Performance-Vorteil des Sports, aber sie hat Trends. Viele kleine Mikrotrends, die die Mode seit Jahren zu diesem Einheitsbrei von „Esistscheißegalwasduanhast“ macht. Und große Trends, die nur alle 10 Jahre kommen. Im Auffinden dieser Trends kann der professionelle Verkäufer hilfreich sein und den Einkauf unterstützen, weshalb es gar nicht dumm wäre, seinen Top Verkäufer mit auf eine Messe zu nehmen. Teuer, ich weiß, aber der Top Verkäufer holt das wieder rein. Im Grunde weiß das ja jeder, nur macht es keiner. Die größte „Waffe“ eines Verkäufers sind „Geschichten“, und genau die hört der Konsument am liebsten. Weiß auch jeder.
Jetzt muss man nur noch einen talentierten Menschen finden, den man zum Top Verkäufer ausbilden kann und danach Marken die Top Geschichten erzählen. Beides ist schwer, aber nicht unmöglich.
Beim Finden von Verkäufern könnte die Intersport ja helfen. So nebenher zumindest. Ihre Hauptenergie braucht sie ja für ihre Plattform-Visionen. So wie die ganzen anderen Plattform-Erbauer.
Der unabhängige Modefachhändler hat es da schwerer. Das Suchen, Finden und Ausbilden von Top Verkäufern braucht Zeit und Energie. Aber wem das nicht gelingt, der braucht sich um das Erfolgsmodell der nahen Zukunft gar keine Gedanken mehr zu machen.
Jürgen Wolf ist Gründer und Mastermind von HOMEBOY.