Wenn wir über die Krisen bei P&C und Galeria sprechen, geht es nicht nur um das Thema E‑Commerce, in das beide Handelsunternehmen zu spät investiert haben. Sondern auch um Sortimente und die Art und Weise, wie diese den Kunden nahegebracht werden. Es ist seit vielen Jahren klar, dass die Zeiten von Massenkonsum mit austauschbaren Stapeln von Merino Feinstrick-Pullovern, Tischen mit gelegten Rundhals-Shirts und Stangen mit schwarzen Steppjacken definitiv ihrem Ende entgegen gehen. Mode und Visual Merchandising müssen Hand in Hand gehen – und eine gemeinsame, klare Sprache sprechen. Nicht ohne Grund sind genau jene Unternehmen am Straucheln, die über Jahrzehnte mit ihrem Bestsellermanagement ihre Flächen Monat für Monat mit Ringelshirts und anderen Basics vollgestopft haben.
Die Einkäuferinnen und Einkäufer von P&C waren bekannt dafür, dass sie mit ihren Abverkaufslisten aus dem Vorjahr bei ihren Lieferanten die Order für die neue Saison geschrieben haben. Dieses Verfahren hat über Jahre hinweg hervorragend funktioniert. Ohne große Risikobereitschaft und Modemut wurden gute Geschäfte gemacht.
Doch in den letzten Jahren haben sich die Kundinnen und Kunden verändert, sind mutiger geworden, weniger berechenbar. Die junge Zielgruppe hat diese Kategorie Einzelhandel erst gar nicht für sich entdeckt. Selbst im Basement von P&C, also dort, wo die „jungen“ Marken sind, blieben die 50+ unter sich. Ein Problem, mit dem P&C nicht alleine da steht, muss man fairerweise sagen. Doch selbst bei der angestammten Klientel wurde das Prinzip Abverkaufsliste mitunter zum Fluch. In der jüngsten Vergangenheit wurde so manche Planung überrannt von der Spontaneität der Endverbraucherinnen.
Gelb, die Feindfarbe des Einkaufs, wurde plötzlich zur Lieblingsfarbe deutscher Frauen. Im vorletzten Winter wollten plötzlich alle die Booties von Copenhagen Studios in Weiß und nicht in Schwarz, genauso wie Outdoorjacken in Offwhite und Creme besser liefen als die Klassiker in Schwarz. Die Farbe Weiß wurde zum deutschen Wintermärchen und für manchen Einkäufer zum Albtraum, weil er auf das falsche Pferd gesetzt hat. In Herbst letzten Jahren suchten immer mehr Frauen eine weite, fließende Hose, und damit gemeint war keine Culotte, die bis dahin als einzige weite Hosenform eingekauft wurde, weil ihr als eine der wenigen weiten Hosenformen kommerzieller Erfolg zugetraut wurde. Der Traum vom Pufferjacket-Erfolg zum zweiten Mal in Folge platzte in diesem Winter, weil überraschend viele Frauen lieber einen schicken Wollmantel haben wollten.
Künftig zählt das Erlebnis pro Quadratmeter – und nicht mehr allein die Flächenproduktivität.
Es sind nicht ohne Grund lokale Fachgeschäfte, die derzeit vielfach bessere Umsätze erzielen. Weil sie ihre Kunden kennen und ihre Sortimente entsprechend emotionalisieren und flexibler agieren können. Sprach das Zukunftsinstitut vor zehn Jahren noch vom Trend zur Mass Customization, also vom Trend zur individualisierten Massenfertigung, hat sich diese Entwicklung längst durchgesetzt. Der Trend zum Curated Shopping ist Ausdruck des Wunsches nach Individualität und Vereinfachung in Zeiten des Überangebots. Das heißt: Künftig zählt das Erlebnis pro Quadratmeter – und nicht mehr allein die Flächenproduktivität.
Eine Entwicklung, mit der sich gerade Bekleidungsfilialisten und große Häuser oft schwertun. Auf drei Rundständer mit Ware zu verzichten zugunsten einer Chill-Zone mit Sitzecken und Sofa ist für traditionelle Einkäufer immer noch Platzverschwendung. Kleine Fachgeschäfte sind hier im Vorteil. Wer seine Kunden kennt, kann auf kleinster Fläche emotional agieren und direkt mit seinen Kunden kommunizieren. Doch auch Platzhirsche wie Lodenfrey in München, Garhammer in Waldkirchen oder L&T in Osnabrück entsprechen dem Wunsch ihrer Kundinnen und Kunden nach Individualität und Entertainment. Ganz egal, ob Pop-up-Shop, Designertalk, die Schneebar am Eingang an einem Adventssamstag oder Kerzendrehen in der Vorweihnachtszeit, es geht darum, mit Aktionen und Events den Kunden ein gutes Gefühl und eine Wertschätzung zu vermitteln. Einzelhandel als Kommunikationsplattform und Begegnungsstätte. Denn eines ist klar: Wenn die Menschen sich von der Coach in die City begeben, wollen sie mehr als nur ein Bekleidungsstück kaufen: Sie wollen entdecken, erleben. Klar: Events, Pop-ups und Aktionen als Unternehmen mit mehreren Filialen zu organisieren und zu planen, kostet Zeit und Geld. In herausfordernden Zeiten wie diesen ein echtes Invest. Nur über Basic-Angebot und Preis zu verkaufen, das wird in Zukunft nicht mehr funktionieren.
Die Fotos zeigen ein Pop-up-Event bei Modehaus Sagmeister in Bregenz mit der Illustratorin Katja Foos.