Shein

Hey Siems… würdest Du bei Shein kaufen?

Ich habe es getan! Ent­ge­gen mei­nes eiser­nen Vor­sat­zes, nie­mals etwas bei Shein zu bestel­len, bin ich vor eini­gen Wochen spät­abends doch schwach gewor­den. Ein T‑Shirt mit Man­ga-Print, eine Bund­fal­ten­ho­se mit Schlag, ein geripp­tes Tank­top und vier wei­te­re Tei­le lan­de­ten in mei­nem Waren­korb. Nebst völ­lig irr­wit­zi­ger, per App-Glücks­rad erspiel­ter Rabat­te. Der Preis, wenn man sich schon nackig macht, dann ganz: 89,53 Euro inklu­si­ve Ver­sand aus… Sie wis­sen schon.

Sel­ten war ich so gespannt, ob über­haupt und was ankom­men wird. Sel­ten hat­te ich ein so schlech­tes Gewis­sen nach dem Klick auf „Jetzt bezah­len“. Schließ­lich lebe ich nicht unter einem Find­ling am Elb­strand und ken­ne die Inves­ti­ga­tiv-Sto­rys, die Dokus, die pein­li­che „Hier gibt es nichts zu sehen“-Reise zum Fir­men­sitz mit diver­sen Influen­cern. Und das Sys­tem: Fast Fashion auf Ste­ro­iden. Abge­kup­fer­te Designs. Und ver­mut­lich auch Arbeit­neh­mer-Aus­beu­tung auf zig ver­schie­de­ne Wei­sen. Ich sag­te ja: Ich fühl­te mich echt schlecht nach der Bestel­lung.

Was hat­te die mora­li­schen Beden­ken bei­sei­te gefegt? Neu­gier auf die­sen berüch­tig­ten Mode-Glo­bal-Play­er. Styl­es, die ein­fach gera­de genau dazu pass­ten, wie ich mich im Spie­gel sehen woll­te. Zum Dum­ping­ta­rif, der zwar ver­gäng­li­che Qua­li­tät erwar­ten ließ, wer wäre auch so naiv, hier Lieb­lings­tei­le zum Ver­er­ben zu ver­mu­ten, aber eben auch letz­te Res­sen­ti­ments zer­streu­te.

Wie Shein das schafft, neben den bereits erwähn­ten, und durch­aus kri­tik­wür­di­gen Prak­ti­ken, wis­sen wir alle: Mit On-Demand-Pro­duk­ti­on und weit­ge­hend vom Zoll befrei­ten Pake­ten statt teu­rer Groß­con­tai­ner – und mit Test­läu­fen in klei­nen Stück­zah­len, nach denen über­haupt erst in grö­ße­ren Volu­mi­na geplant wird. Zudem mit einem von sau­cle­ve­ren Algo­rith­men aus­ge­steu­er­ten Draht zum poten­zi­el­len Kun­den, auf wel­cher Platt­form sie oder er sich auch gera­de das Hirn ver­treibt.

Damit wur­de Shein nicht nur zum Feind­bild der Letz­ten Gene­ra­ti­on und sämt­li­cher Second-Hand-Fans, son­dern auch zum The­ma für Wirt­schafts­po­li­ti­ker, Akti­vis­ten und Wett­be­werbs­hü­ter. Und grö­ßer als Aber­crom­bie & Fitch, The Gap und Urban Out­fit­ters zusam­men, inklu­si­ve aller ihrer Unter­mar­ken. Wie gesagt: Wuss­te ich alles, und habe trotz­dem mun­ter geor­dert. Wie ein Rau­cher, der die Gefahr sei­nes Las­ters kennt und die fie­sen OP-Bil­der auf den Schach­teln mit selbst­ge­bas­tel­ter Deko über­deckt.

„Endlich gibt mal jemand zu, was wir fast alle schon gemacht haben“

Soll­te ich einen halb­her­zi­gen Ver­tei­di­gungs­ver­such unter­neh­men, so wür­de ich ein für mein Mode­be­dürf­nis deut­lich zu gerin­ges Gehalt anfüh­ren, außer­dem das Tot­schlag­ar­gu­ment „Bei H&M oder Zara läuft es auch nicht viel anders“ und eine vage Ver­mu­tung, dass das Faden­kreuz rund­um Shein even­tu­ell von einer gewis­sen Fixie­rung auf Chi­na als bad guy gelenkt wor­den sein könn­te. Und auch wenn alle drei Ent­geg­nun­gen nicht völ­lig aus der Luft gegrif­fen sind, muss ich den­noch ehr­lich zu mei­ner „Kon­sum-Tat“ ste­hen. Mit Bauch­grum­meln, mit Selbst­re­fle­xi­on, mit erstaun­lich coo­len neu­en Tei­len im Schrank.

Inter­es­san­ter­wei­se hat mir die­se Beich­te kürz­lich in einer klei­nen Run­de rei­zen­der Mode-Medi­en­ar­bei­ter eini­gen Bei­fall ein­ge­bracht. „End­lich gibt mal jemand zu, was wir fast alle schon gemacht haben.“ Ins­ge­heim fan­den es alle anstren­gend bis lächer­lich immer so tun zu müs­sen (?), als wür­den ein­zig Gior­gio und Miuc­cia sie ein­klei­den. Zumin­dest aber irgend­ei­ne Eppen­dor­fer Ex-PR-Frau, die sich nach der Agen­tur­plei­te mit einem total nach­hal­ti­gen Strick-Label selbst­stän­dig gemacht hat und mit den Alpa­kas, die die Wol­le lie­fern, im glei­chen Bett schläft.

Kei­ne Fra­ge: Green Fashion ist erstre­bens­wert. Bes­ser wären mög­lichst weni­ge Neu­an­schaf­fun­gen, Socken­stop­fen, auf Mate­ri­al, Her­kunft und sozia­len Fuß­ab­druck ach­ten. Total d’accord. Doch gleich­zei­tig möch­te ich etwas her­aus­for­dernd so schlie­ßen: Wer sich ganz ohne Mode-Sün­de klei­det, der wer­fe das ers­te Knäu­el Bio-Alpa­ka­wol­le.

Siemsluckwaldt
Siems Luck­waldt

Siems Luck­waldt ist seit rund 20 Jah­ren ein Exper­te für die Welt der schö­nen Din­ge und ein Ken­ner der Men­schen, die die­se Welt mög­lich machen. Ob in sei­nem aktu­el­len Job als Life­style Direc­tor von Capi­tal und Busi­ness Punk, für Luft­han­sa Exclu­si­ve, ROBB Report oder das Finan­cial Times-Sup­­p­­­­le­­­­­ment How To Spend It. 

Alle Bei­trä­ge von Siems Luck­waldt in pro­fa­shio­nals

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