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Die Modewoche des Jahrzehnts?

Die zahlreichen Designerwechsel in Mailand und Paris sind mit Spannung erwartet worden. Haben sie die hohen Erwartungen erfüllt? Barbara Markert war in Paris live dabei und zieht Bilanz.
Barbara markert
Bar­ba­ra Mar­kert

Desi­gner aus­zu­wech­seln, ist ein übli­ches Mit­tel, um eine in die Jah­re gekom­me­ne oder auch strau­cheln­de Luxus­brand wie­der zurück ins Licht zu füh­ren. Doch aktu­ell strau­chelt nicht nur eine Brand, son­dern ein gan­zes Gen­re. Der Luxus hat Gla­mour und vor allem Umsatz ver­lo­ren. Skan­da­le um schlech­te Qua­li­tät, Aus­beu­tung in der Pro­duk­ti­on und unziem­li­che Geschäf­te mit Russ­land haben das Ver­trau­en in das Edel-Gen­re der Mode erschüt­tert. Dazu kom­men Vor­wür­fe einer greed­fla­ti­on, einer „der Gier geschul­de­ten Infla­ti­on“ sei­tens der gro­ßen Mar­ken. Beim Stre­ben nach immer mehr Pro­fit sind die Prei­se zu stark ange­ho­ben wor­den und weder durch inno­va­ti­ves Design noch bes­te Qua­li­tät gerecht­fer­tigt.

Es war also höchs­te Zeit, ein neu­es Kapi­tel auf­zu­schla­gen. Neue Köp­fe sol­len es rich­ten. Ein Dut­zend Mai­sons haben für die kom­men­de Som­mer­sai­son 2026 ihren Krea­tiv­di­rek­tor aus­ge­tauscht. Dazu gesel­len sich zwei Häu­ser, die bereits zu den Her­ren­schau­en, bzw. zur Hau­te Cou­ture den Wech­sel voll­zo­gen haben und nun eine Pre­mie­re bei der Womens­wear fei­ern. So vie­le Neu­zu­gän­ge auf ein­mal gab es noch nie. Genau des­halb sprach man im Vor­feld von der „Fashion­week des Jahr­zehnts“.  Die Neu­en:

  1. Rachel Scott bei Pro­en­za Schou­ler
  2. Dem­na bei Guc­ci
  3. Simo­ne Bel­lot­ti bei Jil San­der
  4. Loui­se Trot­ter bei Bot­te­ga Vene­ta
  5. Dario Vitta­le bei Ver­sace
  6. Jona­than W. Ander­son bei Dior
  7. Pier Pao­lo Pic­cio­li bei Balen­cia­ga
  8. Jack McColl­ough und Laza­ro Her­nan­dez bei Loe­we
  9. Miguel Cas­tro Freitas bei Mug­ler
  10. Mark Howard Tho­mas bei Car­ven
  11. Duran Lan­tink bei Jean Paul Gaul­tier
  12. Mat­thieu Bla­zy bei Cha­nel
  13. Glenn Mar­tens fei­er­te Womens­wear-Pre­mie­re bei Mar­gie­la
  14. Micha­el Rider bei Celi­ne

Die Energie stimmte, und so machte es seit langer Zeit endlich wieder Spaß, dieser Fashionweek-Saison zu folgen.

Am Diens­tag ging die­ser hoch erwar­te­te Mode­wo­chen-Rei­gen in Paris zu Ende. Haben sich die hohen Erwar­tun­gen erfüllt?

Mei­ne Ant­wort lau­tet: Ja. Dank der hohen Kon­zen­tra­ti­on von Pre­mie­ren, aber nicht nur allein des­we­gen. Umbrü­che und ein Umden­ken waren an vie­len Stel­len zu erken­nen. Die­se Mode­wo­che war geprägt von einer Kri­tik von innen, einer Demo­kra­ti­sie­rung der Fashion­weeks von außen, neu­en For­ma­ten, Ideen und Inno­va­tio­nen, einer Rück­kehr der Kol­lek­ti­ons­be­spre­chun­gen – plus eben den ange­kün­dig­ten Debüts im Dut­zend.

Diesel look
Die­sel: Public Posing

Die Ener­gie stimm­te, und so mach­te es seit lan­ger Zeit end­lich wie­der Spaß, die­ser Fashion­week-Sai­son zu fol­gen. Ein Event jag­te das Nächs­te. Dazwi­schen über­rasch­ten die Desi­gner mit har­scher Kri­tik an ihrer eige­nen Bran­che: Yoh­ji Yama­mo­to zeig­te sich mit einem Stin­ke­fin­ger auf dem Cover von Busi­ness of Fashion und wet­ter­te los: „Das Fashion­busi­ness wird ver­schwin­den.“ Das Hand­werk ster­be aus, Bil­lig­mo­de zer­stö­re den Erhalt von Know-how.

Glenn Mar­tens, heu­te Desi­gner bei Die­sel und Mai­son Mar­gie­la, ver­glich die Mode­wo­che mit den töd­li­chen Spie­len „Hun­ger­games“ aus dem Roman „Die Tri­bu­te von Panem“, einer dys­to­pi­schen Roman­rei­he von Suzan­ne Coll­ins. Desi­gner hät­ten heu­te die Auf­ga­be, mit einer Show das Inter­net zum Explo­die­ren zu brin­gen, Ent­wür­fe müss­ten klick­fä­hig sein, aber nie­mand fra­ge mehr nach dem Savoir-fai­re oder der krea­ti­ven Arbeit.

J.W. Ander­son, neu bei Dior, erklärt zu sei­ner ers­ten Dior-Show, dass ein „Ein­schlie­ßen in die His­to­rie eine Implo­si­on“ ver­ur­sa­che und dass „ein Wech­sel unver­meid­bar sei“.

Zu guter Letzt ver­kün­det der neue Cha­nel-Desi­gner Mat­thieu Bla­zy, dass die Mode ihre Nar­ra­ti­ve über­den­ken muss: „Luxus genügt nicht mehr. Er ist teu­er und rar, aber reicht das? Nein, das reicht nicht.“

Bildschirmfoto um
Guc­ci: Kino statt Cat­walk

Dema hielt sich gar nicht lan­ge erst mit gro­ßen Reden auf, son­dern ver­öf­fent­lich­te sei­ne See-now-buy-now-Guc­ci-Ent­wür­fe auf Insta­gram. Zum Start in Mai­land gab es für das Pro­mi-beset­ze Publi­kum noch einen lau­ni­gen Film zu sehen, den Guc­ci gleich­zei­tig ins Inter­net stell­te – für jeder­mann sicht­bar und zur glei­chen Zeit.

Glenn Mar­tens hat­te eben­falls genug von eli­tä­ren Moden­schau­en und ver­teil­te sei­ne Die­sel-Kol­lek­ti­on über ganz Mai­land. Vor Kir­chen, Bars, Kios­ken und U‑Bahn-Sta­tio­nen posier­ten Models in Ple­xi­glas-Eiern vor den Pas­san­ten. Bei Car­ven, eine der wenig beach­te­ten Pre­mie­ren die­ser Sai­son, führ­te ein Teil des Cat­walks ins Freie und an der Absper­rung für die nicht ein­ge­la­de­nen Zuschau­er ent­lang.

Den größ­ten Medi­en­hype aber ver­ein­te „La Watch­par­ty“, eine Art Public-vie­w­ing von Moden­schau­en nach dem Vor­bild gro­ßer Fuß­ball-Events. Die schrä­ge Idee stammt von Eli­as Medi­ni, bes­ser bekannt unter sei­nem Pseud­onym Ly.as. Der Fran­zo­se gehört zu einer neu­en Gene­ra­ti­on von Social-media-Mode­kri­ti­kern, die auf Insta­gram und Tik­Tok die Kol­lek­ti­ons­be­spre­chun­gen wie­der­be­le­ben, die seit dem Nie­der­gang der Blog­ger gegen 2015 weit­ge­hend ver­schwun­den waren.

La watchparty
La Watch­par­ty: Fashion Public Vie­w­ing

Ver­än­de­rung war also an vie­len Stel­len zu spü­ren. Die vie­len, hoch­ka­rä­ti­gen Pre­mie­ren bil­de­ten dabei die Spit­ze des Eis­bergs, in dem sie einen Schluss­punkt hin­ter zahl­rei­che Äras setz­ten: Acht Jah­re war Maria Gra­zia Chi­uri für Dior tätig, zehn Jah­re Dem­na bei Balen­cia­ga, zwölf Jah­re J.W. Ander­son bei Loe­we. Vir­gi­nie Viard bei Cha­nel war nie ihr Image als Inte­rims-Desi­gne­rin los­ge­wor­den, das Haus such­te wei­ter nach einem Nach­fol­ger für den ver­stor­be­nen Karl Lager­feld. Und bei Jean Paul Gaul­tier ging es um nichts Gerin­ge­res als die Rück­kehr in die Prêt-à-Por­ter nach einer lan­gen Pau­se.

Die Zahl der Pre­mie­ren war so groß, dass man sich kaum mit einer allein auf­hal­ten konn­te. Es ent­stand eine Art Kon­kur­renz unter­ein­an­der: Wel­che Debüt­kol­lek­ti­on war am meis­ten gelun­gen? Wel­che ent­sprach am bes­ten der DNA des Hau­ses? Wel­che Kol­lek­ti­on lie­fer­te die größ­ten Inno­va­tio­nen? Die von Mat­thieu Bla­zy bei Cha­nel oder doch eher Pier Pao­lo Pic­cio­li bei Balen­cia­ga? Was ist mit Loui­se Trot­ter bei Bot­te­ga Vene­ta oder J.W. Ander­son bei Dior? Fast jeder, der die­se Sai­son ver­folgt hat, kann einen ande­ren Favo­ri­ten nen­nen.

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Jean Paul Gaul­tier: Weit­ge­hend Unver­ständ­nis

Mehr Über­ein­stim­mung gibt es am unte­ren Ende: Über Duran Lantink‘s Debüt bei Jean Paul Gaul­tier herrsch­te weit­ge­hend Unver­ständ­nis. Der Nie­der­län­der, wie Gaul­tier als enfant ter­ri­ble bekannt, woll­te eine „Dis­tor­si­on der Klas­si­ker und eine Zele­bra­ti­on der Über­ra­schun­gen“. Dies ist ihm geglückt. Ob die­se Kol­lek­ti­on jedoch ein Kas­sen­schla­ger wird, ist stark zu bezwei­feln.

Die alte Management-Strategie des Designerwechsels funktioniert noch immer bestens.

Allen SS2026-Pre­mie­ren ist gemein, dass sie für sehr viel media­le Auf­merk­sam­keit gesorgt haben. Die alte Manage­ment-Stra­te­gie des Desi­gner­wech­sels funk­tio­niert also noch immer bes­tens. Und zwar so gut, dass die Mas­se der Pre­mie­ren die­se Sai­son alles über­strahl­te. Zum Leid­we­sen der ande­ren. Wer könn­te aus dem Stand her­aus sagen, wie die Kol­lek­ti­on die­ses Sai­son bei Chloé, Dol­ce et Gab­ba­na, Bur­ber­ry, Mis­so­ni, Cal­vin Klein oder Stel­la McCart­ney aus­sieht? Wer weiß schon, dass Pie­ter Mulier bei Mai­son Alaïa, Séan McGirr bei Alex­an­der McQueen und Miuc­cia Pra­da zusam­men mit Raf Simons für Pra­da tol­le Krea­tio­nen abge­lie­fert haben? Schon eher im Gedächt­nis ist, dass Hei­di Klum als Braut bei Vivi­en­ne West­wood auf­trat und dass bei Miu Miu nun Küchen­schür­zen im Trend lie­gen.

Chanel
Cha­nel: Moder­ni­sie­rung geglückt

Doch selbst die­ser Gos­sip zeigt, dass sich etwas in der Mode ver­än­dert. Dass mit die­ser Sai­son ein Auf­bruch in Gang gesetzt wur­de, der sich hof­fent­lich über die kom­men­den Jah­re wei­ter­spin­nen wird. Dass die Mode wie­der mehr auf ihr Pro­dukt schaut und weni­ger auf die Front-row und dass Kol­lek­tio­nen uns wie­der in den Bann ver­set­zen kön­nen.

So gese­hen waren die­se Mode­wo­chen viel­leicht tat­säch­lich die „Fashion­week des Jahr­zehnts“.