Vergangene Woche beim Dachmarkenforum in Berlin prallten unterschiedliche Zukunftsentwürfe von Retail aufeinander.
Josef Roosen und Andre Berger nahmen die Teilnehmer mit auf ihre 'Around the World'-Tour zu den spektakulärsten Hot Spots der globalen Einzelhandelsszene. Von ihrer letzten Reise nach New York, Tokio, San Francisco und Los Angeles brachten Sie Eindrücke von höchst innovativen Store-Konzepten mit: Der Lexus Lounge im New Yorker Meatpacking District, wo keine Autos verkauft werden, sich die Marke aber stilistisch positioniert. Von Customizing-Konzepten wie Converse in Tokio oder Atelier Cologne in New York, wo individuelle Düfte angeboten werden. Den spektakulären Stores von Louis Vuitton oder Paul Smith in Harayuko mit ihren Fassaden, die in aller erster für Instagram gestaltet sind. Den Apple Stores oder auch dem Fred Perry-Laden in Harayuko mit ihren Event- und Wirkshop-Flächen. Den vielen neuen stylischen Brillen-Konzepten von Warby Parker, Moscot, Jin, Linda Farrow oder dem extrem abgefahrenen koreanischen Format Gentle Monster, das wie ein Kunstprojekt erscheint und wo eher nebenbei Brillen verkauft werden. Von äußerst geschmacksicheren Concept Stores wie z.B. Muji in Tokio, das Interior-Produkte mit Restaurant und Hotel verbindet. Von den vielen Store-Konzepten von Nike, die immer anders und jedes Mal besser sind, bis hin zum Neighborhood Store in San Francisco, der mit seinen Sportangeboten als Treffpunkt für das gesamte Viertel funktioniert. Von den Filialen der als Online Pure Player gestarteten Brands Warby Parker und Everlane. Den spannenden neuen Kaffeehaus-Konzepte wie z.B. das von Starbucks Roastery, das nicht nur einen luxuriösen Rahmen bietet, sondern wo auch vor Ort geröstet wird. Von Läden wie Maxfield in Melrose Avenue oder L'Eclaireur, die Luxusprodukte gekonnt mit Vintageware kombinieren. Vom Pickup-Shop von Nordstrom in Melrose Place, der nur für Click & Collect gemacht wurde. Und von stylischen Cannabis-Anbieter wie Med Man oder Dosist in L.A..
Nach der zweistündigen Präsentation von Roosen und Berger blieb der Eindruck, dass stationärer Einzelhandel so vital und innovativ ist wie noch nie.
Daniel Kellmereit blieb anschließend die Rolle der Kassandra. Der Berater, der seit vielen Jahren im Silicon Valley lebt und mit der dortigen Tech- und VC-Szene bestens vertraut ist, verwies auf die rückläufigen Marktanteile der Offline-Händler. Gerade durch Corona hätten die Online-Händler ihr Geschäft massiv ausbauen können. Besonders brutal hat es den Lebensmitteleinzelhandel getroffen: "Grocery Shopping ist in San Francisco komplett ins Netz gewandert", berichtet Kellmereit. „Die Läden sind total leer."
Was passiert, wenn die Menschen demnächst nicht mehr in die Läden kommen? In den USA kaufen die Investoren jetzt Handelsimmobilien und Bürohäuser auf und machen daraus Wohnraum, denn das werde zurzeit nachgefragt, so Kellmereit. Auch vor Corona noch boomende Geschäftsmodelle wie das Festival Business seien tot. Statt Yoga-Events wie ‚Wanderlust‘ florierten Home Fitness-Plattformen wie Peloton. Gleichzeitig investierten die Online-Giganten in Retail Tech. Bei Google arbeiteten 450 Experten seit fünf Jahren an neuen Ideen, freilich ohne dass bislang eine marktreife Idee dabei herausgekommen wäre. Auch gehypte Technologien wie VR oder Augmented Reality hätten bisher nicht den Durchbruch geschafft. Ein game changer könnte dagegen Voice Commerce werden.
Währenddessen rolle Amazon seine vollautomatischen Amazon Go-Stores aus. Schätzungsweise 200 Filialen seien bereits eröffnet, 20.000 in Planung. Dem Stationärhandel drohe zudem Gefahr von den Offline-Formaten der Online Retailer: Anbieter wie Everlane, Voodoo, Warby Parker, Stance oder Bonobos, die ihren technologiebasierenden Ansatz ins Analoge erweitern und sich offline damit leichter tun als die meisten Stationären bei ihrer Regalverlängerung ins Netz.