Mit Politik hat das aber nichts zu tun. "Demokratische Mode" sagen die Russen, wenn sie Casualwear meinen. Ob sie umgehrt Formalwear als diktatorisch ansehen? Nicht von ungefähr spricht man schließlich von 'Anzugzwang'. Bei Veranstaltungen wie der Bread & Butter trifft man gleichwohl den einen oder anderen, der auch einem Denim-Zwang ausgesetzt zu sein scheint. Manch 60jähriger Berufsjugendlicher kommt in Skinny-Jeans und Chucks arg würdelos daher. Die vielzitierte Binse, es gebe kein Modediktat mehr, hält einer realistischen Prüfung jedenfalls nicht statt. Anderes Thema, ich schweife ab, zurück nach Moskau.
Jeans- und Casualwear sind tatsächlich Produktkategorien, die für russische Kunden vergleichsweise neu sind. Zu Zeiten der Sowjetunion war das die Mode des Feindes, und Marken wie Levi's wie Coca Cola galten als Symbole der verhassten Imperialisten. Das ändert sich seit den 90er Jahren. 1993 eröffnete in Moskau der erste Levi's‑Laden. Aktuell gehören Jeanswear und Casualmode zu den am schnellsten wachsenden Marktsegmenten in Russland.
Das alles erklärte uns Reinhard Döpfer bei einem Briefing anlässlich der Modemesse CPM, die diese Woche in Moskau stattfand. Döpfer ist ein erstklassiger Kenner des russischen Bekleidungsmarktes. Seit er 1989 die erste Modemesse in St. Petersburg organisiert hat, hat er das Land viele Male bereist. Heute ist der Managing Partner der Unternehmensberatung ITMM neben seiner Funktion als Präsident des European Fashion and Textile Export Councils (EFTEC) Berater der Igedo Company, die zweimal im Jahr die CPM in Moskau veranstaltet.
"Die meisten Russen mögen keine Streetwear, wie sie beispielsweise auf der Bread & Butter gezeigt wird", erklärt Döpfer. "Sie werden in Berlin kaum russische Einkäufer finden." Stattdessen schätzen die Russen gepflegte Sportswear. Sie tragen Jeans von Gardeur oder MAC. Oder billige No Name-Ware, die für etwas über 6 Euro in China beschafft und für durchschnittlich 30 Euro verkauft werden.
Aber die authentischen Jeansmarken holen kräftig auf, insbesondere bei den jungen Kunden. Im Moskauer Straßenbild sind sie allgegenwärtig. Zwischen 2004 und 2007 hat sich das Vk-Volumen von Casualwear aus Europa glatt verdoppelt, auf umgerechnet rund 4 Mrd. Euro (die Importe aus anderen Märkten und insbesondere China nicht eingerechnet). In der Finanzkrise brach der Markt ein, doch in diesem Jahr rechnet Döpfer damit, dass das Volumen von 2007 sogar übertroffen wird.
Für Luxus-Jeans-Labels werden in russischen Läden übrigens wie bei uns gerne mal 240 Euro und mehr aufgerufen. Die Mode mögen die Russen demokratisch finden, die Preise sind es nicht.