Wir sind alle Europäer, aber ein paar nationale Eigenheiten haben wir uns dann doch bewahrt. Das zeigt sich nicht zuletzt bei der Krisenbewältigung. Während in Frankreich LVMH Handdesinfektionsmittel aus seiner Parfumproduktion in den Krankenhäusern verteilt, und die Italiener Schutzanzüge von Prada bekommen, ist es in Deutschland die Firma Jägermeister, die 50.000 Liter Alkohol für Virenkiller spendet. Jeder nutzt halt die Möglichkeiten, die er so hat.
Immerhin erfahren wir nun, dass Qualitätsanbieter wie Mey, Eterna, Rösch und Speidel ihre Ware tatsächlich noch selbst produzieren. Otto Normalverbraucher dachte bislang wahrscheinlich, Wolfgang Grupp sei der Einzige. „Ich wollte helfen und kann gleichzeitig eine Riesenchance wahrnehmen“, so der Unternehmer freimütig zur ‚Südwestpresse‘. „Ohne die Masken wäre unsere Produktion nicht voll.“ Trigema nimmt für den Zehnerpack übrigens 120 Euro. Auf Youtube kann man zugucken, wie so ein Ding in zwei, drei Minuten zusammengenäht wird.
„Die Wirtschaft geht in den Kriegsmodus“ titelte die ‚Welt‘ martialisch. Macrons Rede hat bei den Redakteuren offenbar besser verfangen als Merkels Appell. Aber es stimmt schon. Solche Produktionsumstellungen hat es in Friedenszeiten noch nicht gegeben. Dass Unternehmen social responsibility eines Tages mal in dieser Weise wahrnehmen müssen, haben sich CSR-Experten und Risikomanager vermutlich in ihren schlimmsten Alpträumen nicht ausgemalt. Umso großartiger, dass das alles jetzt so schnell möglich gemacht wird. Hoffen wir, dass die Konsumenten sich bei nächster Gelegenheit an dieses Engagement erinnern und deutsche Produzenten unterstützen statt Wühltischware zu kaufen.
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Der Shutdown im Einzelhandel ist in der zweiten Woche, und die Alarmglocken läuten immer schriller. „Der mittelständische Modefachhandel wird gerade ausradiert zugunsten von Amazon“, so Katag-Chef Daniel Terberger in der ‚SZ‘. Bis zu 80.000 Betriebe werden im gesamten Einzelhandel bis 2030 verschwinden, sekundiert das Kölner Institut für Handelsforschung, und diese Prognose ist noch vor Corona gemacht worden.
Die TW hat ihre gesamte Ausgabe der Krise gewidmet. Statt 50 hätten meine Ex-Kollegen auch 100 Seiten füllen können. Journalistische Angebote florieren, ebenso wie Sexspielzeug und Drogerieartikel. Die Klopapierrolle ist zum Symbol dieser Krise geworden. Die Textildiscounter regen sich in ihrem Brief an den Bundeswirtschaftsminister nicht ganz zu Unrecht darüber auf, dass Klopapierverkäufer wie Aldi und Lidl nebenbei Textilien verkaufen, während sie selbst ihre Läden schließen mussten.
Die sogenannte textile Pipeline leidet an akuter Verstopfung. Die Ware drückt, und je länger dieser Zustand andauert, umso stärker werden die Schmerzen. Nicht wenige droht es am Ende zu zerreissen. Der von marktstarken Modemarken angeregte 850 Millionen schwere Liquiditätsfonds wäre ein probates Mittel, Druck rauszunehmen. Ob die Politik ein Ohr für dieses spezifische Problem der Modebranche hat? Olaf Scholz sollte seine Bazooka für die vielen betroffenen Mittelständler auf jeden Fall nachladen.
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Während die Manager die Krise managen, sind die Vordenker dabei, vorzudenken. Was kommt auf uns zu, wenn der Ausnahmezustand vorbei ist? Es scheint kein Superlativ zu groß für die Veränderung, vor der die Welt steht.
Ein sichtlich überforderter Tim Blanks erinnert in BoF an die zehn biblischen Plagen: „In den ersten zehn Wochen des neuen Jahrzehnts haben wir die Feuer der Hölle in Australien, biblische Überschwemmungen in Großbritannien, Tornados in den USA, beispiellose Heuschreckenschwärme in Ostafrika und eine Pandemie durchlebt, die den gesamten Planeten in ihrem fieberhaften Griff hat.“ In einer ziemlich wirren Tour de force verrührt Blanks anschließend Veganer, Neonazis und Dinosaurier mit den Mailänder Schauen und Andrew Boltons nächster Ausstellung in New York, um zu dem in diesem Zusammenhang überraschenden Schluss zu kommen, dass die Gewohnheiten, Vorlieben und Gefühle der Käufer sich ändern werden. Ergo: „Die Modeindustrie muss sich ändern oder sterben.“ Wahrscheinlich ist ihm beim Schwadronieren irgendwann eingefallen, dass er ja für ein Modefachmedium schreibt. Blanks sollte besser bei der Laufstegberichterstattung bleiben, die er ja ohne Zweifel hervorragend beherrscht.
Vielfach in den sozialen Netzwerken geteilt wurde Matthias Horx' Re-Gnose, ein gedanklicher Rückblick auf die derzeitige Krise und durchaus lesenswerter positiver Ausblick. „Vielleicht war der Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft“, schreibt der Trendpublizist. „Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt.“ Aber die Zivilisation könne sich neu erfinden. „System reset. Cool down! Musik auf den Balkonen! So geht Zukunft.“
Bedeutend nüchterner geht der Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky zu Werke und malt gleich fünf Szenarien für Deutschlands Zukunft aus: von einer schnellen Erholung („Als wäre nichts gewesen“) bis zur großen Depression („Der dauerhafte Shutdown“). Wahrscheinlich bekommen wir irgendwas in der Mitte, lautet – etwas verkürzt – Janszkys Vermutung. Oder ist es eine Hoffnung? Der Zukunftsforscher kennt die Zukunft halt auch nicht.