Passiert large

Die Dämonisierung des Dünnseins

XWas für Pri­mark & Co. ein­stür­zen­de Fabrik­bau­ten sind, sind für die Luxus-Kon­zer­ne die Mager­mo­dels – skan­da­lö­se Begleit­erschei­nun­gen des Geschäfts, deren Ver­mei­dung ein Gebot sozia­ler Ver­ant­wor­tung und pro­fes­sio­nel­len Risi­ko­ma­nage­ments sind. Des­halb räum­ten Kering und LVMH das The­ma publi­ci­ty­träch­tig zum Start des herbst­li­chen Schau­en­rei­gens ab. Fran­cois Hen­ri Pinault und Ber­nard Arnault haben eine „Char­ta für die Zusam­men­ar­beit mit Models und deren Wohl­be­fin­den“ vor­ge­legt, die künf­tig für die bei­den Kon­zer­ne ver­bind­lich sein soll, also für einen Gut­teil aller Luxus­mar­ken. Die bei­den haben nicht nur auf die regel­mä­ßig nach den Schau­en anrol­len­den Empö­rungs­wel­len in den sozia­len Netz­wer­ken reagiert. Seit dem Früh­jahr gilt in Frank­reich ein Gesetz, das eine ärzt­li­che Gesund­heits­be­schei­ni­gung bei Straf­an­dro­hung vor­schreibt.

Die­se müs­sen Models nun also künf­tig vor­le­gen. Klei­ne Kon­fek­ti­ons­grö­ßen soll es nicht mehr geben, und die Agen­tu­ren sol­len nur noch Mäd­chen ab Grö­ße 34 bzw. Män­ner ab 44 beschäf­ti­gen. Es soll Umklei­den und kei­ne Nackt­heit mehr geben, auch kei­nen Alko­hol, dafür gesun­des Essen, und bei den Schau­en soll ein Psy­cho­lo­ge oder ein The­ra­peut anwe­send sein. Außer­dem: Models unter 16 Jah­ren müs­sen künf­tig drau­ßen blei­ben und Nicht-Voll­jäh­ri­ge nur bis 22 Uhr arbei­ten dür­fen. Schon bit­ter, dass Min­der­jäh­ri­ge in Paris und Mai­land bis­lang offen­bar eine schwä­che­re Lob­by hat­ten als etwa Pelz­tie­re. Dabei wuss­ten alle, dass man nicht bis Ban­gla­desch rei­sen muss, um Kin­dern bei der Arbeit zuzu­schau­en.

Zie­hen in Paris und Mai­land nun also „real peo­p­le“ auf den Lauf­ste­gen ein? Wohl kaum. Das wäre auch kon­tra­pro­duk­tiv. Denn natür­lich müs­sen die Insze­nie­run­gen ein Ide­al abbil­den und Träu­me kre­ieren. Sonst schaut da kei­ner mehr hin. Das recht­fer­tigt selbst­ver­ständ­lich kei­ne Cat­walk-Exzes­se. Size Zero ist eine Per­ver­si­on des Schlank­heits-Ide­als, das Models ver­kör­pern.

Es ist zugleich unbe­strit­ten, dass die Schau­en die­ses Ide­al umge­kehrt auch mit prä­gen, eben­so wie die Mode­wer­bung das tut. Man soll­te den Ein­fluss von Mode­mar­ke­ting aber nicht über­be­wer­ten. Dass ein pro­vo­kan­tes Motiv wie das dür­re Yves Saint Lau­rent-Mäd­chen in der bri­ti­schen Elle jeman­den wirk­lich zum Hun­gern ver­lei­tet, ist unwahr­schein­lich. Einen grö­ße­ren Gefal­len, als die Kam­pa­gne zu ver­bie­ten, hät­te man Saint Lau­rent nicht machen kön­nen, denn so wur­de das Foto hun­dert­fach nach­ge­druckt und geteilt. Und wenn Mar­ken wie Esprit mit „I’m per­fect“ oder aktu­ell Die­sel mit sei­ner neu­en Kam­pa­gne „Go with the Flaw“ indi­vi­du­el­le Ein­zig­ar­tig­keit und Diver­si­ty fei­ern, dann steht dahin­ter kaum der Anspruch, die Welt zu ver­än­dern als letzt­lich eine Anbie­de­rung an den poli­tisch kor­rek­ten Zeit­geist. Mal abge­se­hen davon, dass ein Mas­sen­pro­dukt wie eine Die­sel-Jeans allein ihren Trä­ger bestimmt nicht ein­zig­ar­tig macht. Der Ein­fluss von Mar­ke­ting schwin­det nicht zuletzt in Zei­ten von social media. Da jazzen sich die Leu­te in ihren per­fek­ten Selbst­in­sze­nie­run­gen schon selbst gegen­sei­tig hoch. Dicke Hin­tern sind in Insta­gram jeden­falls bedeu­tend sel­te­ner zu sehen als im Stra­ßen­bild.

Des­halb ist eine Model Cas­ting-Per­si­fla­ge wie „Cur­vy Super­mo­del“ auch zutiefst zynisch. Die­se TV-Suche nach „der schöns­ten Sand­uhr-Sil­hou­et­te“ ist doch nur der quo­ten­stei­gern­de Vor­wand für eine üble Fleisch­be­schau und eine pein­li­che Fremd­schäm-Revue. Die Dämo­ni­sie­rung des Dünn­seins ist zugleich eine Beru­hi­gungs­pil­le für die vie­len Men­schen, die sich mit dem gefühl­ten Abnehm­zwang quä­len, und die ver­sucht, ihnen das schlech­te Gewis­sen zu neh­men. Es gehört mitt­ler­wei­le fast schon mehr Mut dazu, sich wie Hedi Sli­ma­ne und Karl Lager­feld zum Dünn­sein zu beken­nen. Letz­te­rer hat schon vor län­ge­rer Zeit pro­vo­kant aber nicht ganz zu Unrecht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Über­ge­wicht in unse­rer Gesell­schaft das grö­ße­re Pro­blem dar­stellt.