Wenn es nicht reiner Zufall gewesen wäre, würde man es gutes Timing nennen: Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber durfte am Mittwoch auf der Bühne des Bayrischen Hofs in München den Best Brand Award entgegennehmen. Der wird jährlich an ebenjene Marken vergeben, die die deutschen Verbraucher als die besten ansehen. Die Befragung hätte man sich sparen können. Denn die Zahlen, die Amazon eine Woche zuvor in einem 176-seitigen, so drögen wie informativen SEC-Filling vorgelegt hatte, sprechen für sich: 6,4 Mrd. Euro setzte Amazon hierzulande im vergangenen Jahr um, ein Plus von 21% gegenüber dem Vorjahr. Das ist weit mehr, als alle Experten den Amerikanern zugetraut hatten. Exciting Commerce nutzt die Gelegenheit, um eine Breitseite gegen die Kollegen abzufeuern. Fakt ist wohl, dass alle die Dynamik des Online-Booms unterschätzt haben. In den 6,4 Mrd. Euro stecken zudem nicht nur die Amazon-eigenen Umsätze, sondern auch die Provisionen der Plattform-Partner von Amazon. Der tatsächlich über die Website abgewickelte Umsatz ist demnach noch viel höher.
Aber die Zahl ist auch so beeindruckend: 6,4 Mrd. Euro – das entspricht gut einem Fünftel des gesamten Versandhandelsumsatzes in Deutschland, das ist dreimal mehr als der 63 Jahre alte Otto Versand und – vermutlich – weit mehr als doppelt so viel wie Karstadt. „Vermutlich“ deswegen, weil sich der Warenhaus-Konzern beharrlich weigert, seine Geschäftszahlen zu veröffentlichen, wie es der Gesetzgeber jedem größeren Kiosk vorschreibt. Die Briten geben sich zurzeit ja generell gerne störrisch. Vermutlich weigert sich Karstadt-Chef Jennings aus gutem Grund. Stattdessen lässt er seine Einkaufsleiterin Briefe an die Lieferanten verschicken und eine Abschriftenbeteiligung einfordern. Das sind doch die Schlachten der Vergangenheit.
Das Online-Warenhaus Amazon entwickelt sich derweil in rasender Geschwindigkeit zum Maß aller Dinge im Einzelhandel. Das hochmargige Modegeschäft ist dabei ein erklärtes Wachstumsfeld für Jeff Bezos. Eine schöne Gelegenheit, nochmal auf meine kleine Serie zum Thema „Online Handeln“ hinzuweisen:
Folge 1: Was, wenn es einmal 50% sind?
Folge 2: Neue Nachbarn im Global Village
Folge 3: Der Preis ist heiß
Folge 4: Der Sargnagel für den Land-Handel
Folge 5: Der Generalist gewinnt. Die Spezialisten auch.
Folge 6: Vom Wettbewerb auf den ‑Stufen zur Konkurrenz der Wertschöpfungsketten
Folge 7: Commerce, Content und Community sind die Innovationstreiber
Nächsten Mittwoch um 22.45 zeigt die ARD übrigens eine Reportage zu Amazon mit dem schön doppeldeutigen Titel "Ausgeliefert". Darin geht es um die Leiharbeitspraxis in den Logistikzenttren des Internet-Riesen. Zu erwarten sind versteckte Kamera-Fahrten, anonymisierte Zeugenaussagen und ein skandalisierender Unterton aus dem Off. Zalando hat das auch schon über sich ergehen lassen müssen. Solche Negativ-Berichterstattung ist halt die Kehrseite des Erfolgs.
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Apropos Schlachten: Gerhard Weber hat im Kurz-Interview mit Marliese Kalthoff für die TW zu seinen Erweiterungsplänen für Halle 29 eine schmissige Kampfansage an die Hauptstadt formuliert: „Wir lassen uns von Berlin nicht die Butter vom Brot nehmen. Ich bin kein Freund davon, Geld zu verbrennen. In Düsseldorf werden Aufträge geschrieben. In Berlin sind Puppen aufgestellt.“
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