Ronald van der Vis geht. Nein – er schmeisst hin! Aus privaten Gründen, wie es heißt. Das wollen wir mal so stehen lassen. Das ManagerMagazin will wissen, dass das Board ihn nicht mehr wollte, weil Esprit zuletzt hinter den eigenen Zielen zurückgeblieben ist. Dass Esprit-Chairman Hans-Joachim Körber heute Früh ebenfalls abgetreten ist, weist auf handfesten Krach hin. Die Nachricht fügt sich jedenfalls ein in die turbulenten Ereignisse der vergangenen vier Jahre, die das einst so erfolgreiche Unternehmen aufgewühlt haben.
Den Niedergang hat van der Vis nicht aufhalten können. Diesen Niedergang dokumentiert am besten der Verfall des Aktienkurses. Aktuell steht Esprit bei knapp über 1 Euro. Mit einer Marktkapitalisierung von unter 1,5 Mrd. Euro ist das an der Börse in Hongkong gelistete Unternehmen ein Schnäppchen für reiche Chinesen oder Finanzinvestoren mit Anlagedruck. Es würde einen nicht wundern, wenn demnächst ein Übernehmer um die Ecke käme.
Wie konnte es so weit kommen? Das ist eine lange Geschichte, und ich empfehle, etwas Zeit dafür mitzubringen.
Esprit war in den 90er Jahren sowie in der ersten Hälfte der 00er Jahre eine der ganz großen Erfolgsgeschichten im europäischen Modebusiness. Diese Erfolgsgeschichte ist eng mit dem Wirken des CEOs und späteren Executive Chairmans Heinz Krogner verbunden. Krogner kam 1993 zu Esprit. Das Unternehmen war nach großen Erfolgen in den 80er Jahren ins Schlingern geraten und zum Sanierungsfall geworden. Mit harter Hand führte Krogner Esprit auf den Erfolgspfad zurück. Er stellte die Weichen in Management, Produkt und Distribution neu und er sorgte dafür, dass die globalen Markenrechte wieder in einer Hand lagen.
Das hat sich gelohnt. Der Umsatz hat sich unter seiner Ägide von unter 100 Mill. Euro (1993/94) auf über 3,2 Mrd. Euro (2007/2008) mehr als verdreissigfacht. Die Nettoumsatzrendite lag im Rekordjahr 2008 bei 17,3%, die Aktionäre konnten sich über eine Eigenkapitalverzinsung von 46% freuen. Die Aktie notierte Ende 2007 auf einem Allzeit-Hoch von fast 12 Euro.
2008 brach die Erfolgsgeschichte jedoch ab. Der Kurs verfiel binnen Jahresfrist um zwei Drittel, von über 11 auf unter 4 Euro. Seither hat er sich nicht mehr erholt. Den letzten großen Absturz erlebte die Aktie 2011. Nachdem van der Vis im Herbst seine neue Strategie verkündet hatte, erholte sich der Kurs kurzzeitig, um dann wieder in den Sinkflug überzugehen. Heute Früh, nach Bekanntwerden von van der Vis' Abgang stürzte die Aktie um über 20% auf knapp über 1 Euro ab. Der Handel wurde wegen Körbers Abgang sogar kurzzeitig ausgesetzt.
Der Kursverfall spiegelt Esprits operative Probleme wider. Der Umsatz sank seit 2008 zwar "nur" um 9% auf zuletzt 33,767 Mrd. HKD, das rasante Wachstum im eigenen Retail von über 30% in nur drei Jahren konnte den Einbruch im Wholesale-Geschäft von knapp 24% einigermaßen auffangen. Nur ist Wholesale das deutlich renditeträchtigere Geschäft. Der Operating Profit schrumpfte in der Folge im letzten Geschäftsjahr dramatisch um über 90% auf 692 Mill. HKD. Die Nettoumsatzrendite liegt bei kümmerlichen 0,2%.
Man weiß nicht, wo Esprit heute unter Heinz Krogner stünde. Die aktuellen Schwierigkeiten waren bereits in der Schlussphase seiner Regentschaft angelegt:
- Probleme im Produkt: Unter Krogner wurde bei Esprit viel Wert auf eine Perfektionierung des Bestseller-Management gelegt; dabei geht es darum, das modische Risiko durch eine Reduzierung der Sortimentsbreite und die Konzentration auf kommerzielle gut laufende Artikel zu verringern. Der Anteil an Never-out-of-Stock-Artikeln wurde dann von Krogners Nachfolgern sukzessive ausgebaut, mit allen negativen Folgen, die das für die Kapitalbindung haben kann. Die Konzentration auf kommerzielle Basics führte aber auch dazu, dass die Esprit-Kollektionen vom Handel als langweilig und zu unmodisch angesehen werden. Die Abgrenzung zwischen der Hauptmarke Esprit und der Schwestermarke edc verwässerte zunehmend. Die Einführung einer dritten Marke – de.corp – ist gescheitert. Hinzu kommt, dass Esprit, wie man aus dem Handel hört, die Qualitäten heruntergefahren hat. Die Beschaffungskostenexplosion 2010 und 2011 hat diesen Trend verschärft. All das führt dazu, dass der Preisabstand von Esprit zu günstigeren Anbietern wie H&M und Zara von den Konsumenten nicht immer als gerechtfertigt angesehen wird.
- Überdistribution: Esprit hat seine Distribution im Hauptmarkt Deutschland überreizt. Die Marke ist in den Sortimenten des Fachhandels – von Damen‑, Herren- und Kinderbekleidung über Wäsche bis hin zum Sport- , in allen Formen von Flächenkonzepten – Corners, Shop-in-shops, Concessions – in eigenen und Franchise-Monolabelstores, im eigenen Webshop wie in den Onlinestores seiner Einzelhandelskunden und den Katalogen der Versender präsent. Die vielen Lizenzprodukte – vom Schulranzen über den Badezimmerschrank bis hin zur Kosmetik in Drogeriemärkten – verstärken diesen Eindruck der Omnipräsenz. Natürlich kann man sagen, omnipräsent ist Coca Cola im Lebensmittelhandel auch. Viele Modehändler fragen sich aber zu Recht, ob eine solche Marke nicht mehr zur Austauschbarkeit führt als zur Profilierung eines Sortiments taugt. Zumal die verschiedenen Vertriebskanäle häufig in Konkurrenz zueinander treten. So ist die Preispolitik, die Esprit in seinem sehr erfolgreichen Webshop verfolgt, im Fachhandel immer wieder umstritten. Und wenn Esprit in der Nachbarschaft eigene Läden eröffnet, finden das die Wholesale-Kunden in der Regel auch nicht lustig. Stark kritisiert wird Esprit zudem für das arg selbstbewußte Auftreten seiner Vertriebsmitarbeiter, ein Verhalten, das von einer sehr erfolgsverwöhnten Führung über Jahre vorgelebt wurde. Wenn in den letzten drei Jahren viele Händler Esprit ausgelistet haben, dann ist das auch eine Quittung für diese Vertriebspraxis, neben den unbefriedigenden Kalkulationen, die Esprit in seinen „unverbindlichen Preisempfehlungen“ dem Handel einräumte. Zumal die Konkurrenz, insbesondere S.Oliver, sich als die nettere und überdies kommerziellere Alternative angeboten hat.
- Gescheiterte Internationalisierung: Ein Grund für die Überreizung des europäischen Kernmarkts (Deutschland, Schweiz, Österreich, Benelux) ist, dass Esprit bei seiner Internationalisierung nicht schnell genug voran gekommen ist. Deswegen forcierte man das Wachstum in den etablierten Märkten umso stärker. Der Anspruch von Esprit, eine global brand zu sein, wird durch einen Blick in den Geschäftsbericht widerlegt. Zwei Drittel des Umsatzes entfielen zuletzt auf die europäischen Kernmärkte, das hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Sieht man vom Zukauf der chinesischen Esprit-Gesellschaft in 2009 ab, sind die Internationalisierungsbemühungen gescheitert. Ein Grund dafür dürfte im Produkt liegen, das weder modisch noch preislich schnelle Profilierungschancen in neuen Märkten eröffnet.
- Diskontinuität im Management: Heinz Krogner hat Esprit mit harter Hand geführt und geformt. 2006 zog er sich in den Aufsichtsrat zurück. Der langjährige Kronprinz Thomas Grote übernahm den CEO-Posten. In der Folge verließen einige erfahrene und langjährige Führungskräfte das Unternehmen, allen voran Melody Harris-Jensbach, die die wichtigste Division DOB Casual geführt hatte. Den personellen Aderlass verstärkt hat die Entscheidung, eine zusätzliche Management-Ebene oberhalb der zwölf Divisions einzuziehen. Die Einrichtung dieser sehr selbstständig agierenden und unternehmerisch geführten Divisions war einer der Gründe des Esprit-Erfolgs. Nachdem der Esprit-Kurs 2008 verfiel und erste Krisen-Anzeichen sichtbar wurden, entmachtete Chairman Heinz Krogner seinen CEO Grote und übernahm erneut die Führung. Er besetzte diverse Führungspositionen neu und installierte im November 2009 Ronald van der Vis als neuen CEO. Dieser drängte Krogner im Februar 2011 aus dem Unternehmen.
Ronald van der Vis setzt angesichts dieser Herausforderungen zunächst sicherlich an den richtigen Stellen an. Die Verkündung des 1,7 Mrd. Euro-Investitionspakets anlässlich der letzten Bilanzvorlage im Herbst 2011 verknüpfte er mit Kritik an seinen Vorgängern. Es sei zu wenig in die Marke investiert worden. Da ist wahrscheinlich was dran. Die gealterten Großaktionäre Michael Ying und Jürgen Friedrich und auch Chairman Heinz Krogner waren in den letzten Jahren sicherlich auch in hohem Maße Shareholder Value getrieben und hatten von daher nur bedingtes Interesse an langfristigen Investitionen; sie alle haben inzwischen Esprit-Positionen abgebaut. Krogner galt überdies als Marketing-Verächter.
In einem Vortrag auf dem Deutschen Modehandelskongress im vergangenen Herbst konkretisierte Van der Vis seine Pläne. Die wichtigsten Eckpunkte der neuen Strategie:
- Konzentration in der Expansion: Das Läden-Schließungsprogramm in Deutschland war überfällig. Der Rückzug aus Märkten wie Spanien, Dänemark und Schweden, wohin man opportunistisch expandiert war, ist richtig. In Großbritannien konzentriert man sich auf den Großraum London. Mit dem Abschied aus den USA verabschiedet man sich allerdings auch von seinen globalen Ambitionen und kappt darüber hinaus die Verbindung zu den eigenen Wurzeln. Das könnte sich langfristig als unklug erweisen. Richtig ist es dagegen, das Standbein im Zukunftsmarkt China auszubauen. Dort scheint es aber zugleich auch Handlungsbedarf zu geben.
- Mehr Mode: Dem fehlenden modischen Appeal und der fehlenden Spannung im Sortiment will van der Vis u.a. mit den „Perfect 10“-Artikeln begegnen: besonders hochwertigen, modischen und zugleich preislich attraktiven Artikeln, die auch schon mal quersubventioniert werden. In dieselbe Richtung geht die neue Limited Edition – eine Plattform für besondere Kooperationen, etwa mit Modeschulen oder mit ökologischen Produkten. Durch den Aufbau einer Denim-Division will Esprit mehr Kompetenz in diesem Bereich bekommen. Mit der Berufung von Melody Harris-Jensbach als CPO hat Esprit das Produkt wieder zur Chefsache gemacht. Die divisionale Struktur im Produktmanagement ist weitgehend aufgelöst. Statt in Casual und Collection arbeiten die Teams jetzt in Womenswear und Menswear. Damit sollen nicht zuletzt Synergien im Sourcing möglich sein.
- Fokussierung in der Kommunikation: Esprit positioniert sich ganz stark als Womenswear-Brand. Seit zwei Saisons wirbt man ausschließlich mit dem Testimonial Gisele Bündchen. Die Kampagne hat deswegen Durchschlagskraft, auch wenn Gisele allein dem Angebot von Esprit nicht gerecht wird. Trotzdem dürfte sie das Konsumenteninteresse wieder auf die Marke lenken. Zuletzt war Esprit-Werbung kaum mehr sichtbar. Die modische Aussage der Kampagne passt gut zum neuen Store Design, das in den neuen Läden und sukzessive auch in den bestehenden Flächen implementiert werden soll. Der neue Auftritt von Esprit hat gleichermaßen Massenappeal wie eine eigene Linie.
- Selektiver Vertrieb: Man will sich auf Partner konzentrieren, die sich zur Marke bekennen. Da nach wie vor viele Wholesale-Kunden Esprit ausgelisten, wird sich das Thema mit der Zeit von selbst erledigen. Um den ubiquitären Eindruck zu mindern, wollte van der Vis das Lizenzgeschäft zurückfahren. Dieses soll sich auf Sortimente konzentrieren, die die Mode-Marke Esprit stärken: Accessoires, Schmuck, Uhren, Brillen, Parfum.
Das klang schlüssig und dürfte in die richtige Richtung gehen. Die Frage war jedoch von Anfang an, ob der Markt Esprit genügend Zeit für einen Turnaround lässt. Die Geschäfte sind nach wie vor rückläufig. Der zuletzt veröffentlichte Neun-Monats-Bericht weist nach wie vor Minus in allen relevanten Feldern auf, in der größten Produktgruppe, der Damenmode, sogar im zweistelligen Bereich.
Und die Frage ist, ob das neue Management es schafft, das Unternehmen und die Mitarbeiter auf dem neuen Kurs mitzunehmen. In den vergangenen beiden Jahren wurden die Führungspositionen auf der ersten und zweiten Ebene fast ausnahmslos neu besetzt. Die Division Heads, die unter Heinz Krogner wie Unternehmer im Unternehmen agierten, was sicher einer der Gründe des großen Erfolgs war, wurden entmachtet und sind so gut wie alle gegangen. Van der Vis hat die divisionale durch eine funktionale Organisation ersetzt.
Als Typ passte der jugendlich erscheinende Holländer sehr gut zur Marke. Anders als Krogner, der nicht nur Stratege war, sondern auch eine hohe Affinität zum Produkt hatte und sich am liebsten im Produktmanagement aufhielt, führte der Manager van der Vis das Unternehmen aber kühl und distanziert von oben. Auch extern ließ sich der Holländer kaum blicken. Es dauerte über ein Jahr, bis man ihn erstmals auf einem Branchenevent antreffen konnte, und manch ein großer Kunde hat ihn bis zuletzt nicht gesprochen. Obwohl er zehn Jahre in Deutschland gelebt hat, bestand er stets darauf, Englisch zu sprechen. Esprit ist in der kurzen Ära van der Vis eine andere Firma geworden. Die aggressive Macher-Kultur, die das Unternehmen groß gemacht hat, ist perdu. Es wird sehr darauf ankommen, wer jetzt seinen Platz einnimmt. Esprit ist immer noch ein Riese im Modebusiness. Dessen Kräfte geweckt werden müssen.
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