Die „Nachrufe“ auf Luciano Benetton waren wenig freundlich. „Letzte Chance für Benetton“ schrieb die Wirtschaftswoche zu dem am Dienstag erfolgten Stabwechsel in Ponzano Veneto. Das ist richtig und falsch zugleich.
Einerseits ist es in den vergangenen Jahren um Benetton ruhig geworden. Das Unternehmen stagniert seit den 90er Jahren bei rund 2 Mrd. Euro Umsatz. In Deutschland, früher einmal der größte Auslandsmarkt, ist die Marke weit zurückgefallen. Von ehemals über 700 Läden sind gerade mal 180 übrig. Die Italiener sind von Spaniern und Schweden links und rechts überholt worden und spüren demnächst womöglich den heißen Atem der Japaner (Uniqlo) im Nacken. Die Marke gilt als angestaubt, die Produkte als langweilig, die Läden wirken wenig inspirierend, das Produktions- und Distributionssystem hat sich den Markterfordernissen nur unzureichend angepasst.
Andererseits ist Benetton immer noch eine weltbekannte Marke, die trotz der umstrittenen Werbung ordentliche Sympathiewerte erreichen dürfte. Man gebietet über 6500 Läden in 120 Ländern. Und das Unternehmen und die Familie verfügen über ausreichend Mittel für eine Revitalisierung. So haben die Benettons die 200 Millionen Euro für das kürzliche Delisting mal eben aus der Portokasse bezahlt. Der 48jährige Alessandro kann nun in Ruhe, ohne permanenten öffentlichen Rechtfertigungszwang die Weichen stellen.
Das schwächelnde Modegeschäft von Benetton tut der unternehmerischen Lebensleistung von Luciano Benetton, der das Unternehmen 1965 mit seinen drei Geschwistern gegründet hat, keinen Abbruch. Das Forbes-Magazin taxiert das Vermögen von Luciano, Giuliana, Gilberto und Carlo auf jeweils 2,1 Mrd. Dollar. Der Familie gehören Autobahnraststätten, sie hält Beteiligungen am Versicherungskonzern Generali wie am Medienkonzern Rizzoli (Corriere della Sera). Zwischenzeitlich gehörten den Italienern auch mal Marken wie Nordica und Rollerblade. Benetton betreibt einen Formel 1‑Rennstall, für den Michael Schumacher zweimal Weltmeister geworden ist. Luciano Benetton gründete mit Fabrica ein Zentrum für Kommunikationsforschung. Das Institut in Treviso gibt auch das sehr schöne Magazin Colors heraus. Und die Benettons gehören zu den größten Grundbesitzern in Argentinien; in Patagonien haben sie Anfang der 90er Jahre 900.000 Hektar Land erworben. Nur noch etwa 20% des Family Business entfällt auf Mode. Neben den United Colors of Benetton gehören dazu auch Marken wie Sisley, Killer Loop, Playlife und das zuletzt gestartete neue Format George Hogg.
Ich habe Luciano Benetton als Journalist dreimal getroffen. Mitte der 90er Jahre berichtete ich in der TW über den „Aufstand der Benetton-Händler“. Die Italiener hatten seit den 80er Jahren sehr erfolgreich ein riesiges Netz von selbstständig geführten Partner-Stores etabliert. Doch die Zugkraft der Marke begann nachzulassen, neue, frischere Wettbewerber wie H&M machten sich breit, und die Benetton-Partner litten unter einer rigiden und unfairen Distributionspolitik. Geschickt verknüpften sie ihre Kritik mit der umstrittenen Benetton-Werbung. Die Motive von Oliviero Toscani hatten in vielen Medien zu einem Aufschrei geführt. Mein Bericht in der TW schien zu belegen, dass sich die Kampagne auch negativ aufs Geschäft auswirkte. Und so verlagerte sich die Diskussion vom Feuilleton in den Wirtschaftsteil.
Weil die Händler Repressalien fürchteten, sprachen sie mit mir nur unter Zusicherung von Anonymität, worauf ich mich eher widerwillig eingelassen habe. Der Bericht hatte in der Folge eine Resonanz wie selten ein TW-Beitrag vorher und seither. Das Telefon klingelte tagelang. Diverse TV-Interviewanfragen habe ich indes ablehnen müssen. Mit dem Erscheinen des Artikels hatten mich die Windpocken erwischt.
Der Händler-Aufstand zog sich über Monate, und die TW berichtete jede Woche. Eines schönen Tages klingelte das Telefon und eine freundliche Stimme mit italienischem Akzent bat um eine Audienz für Luciano Benetton. Bald darauf saß er mit uns im Büro des damaligen Chefredakteurs Jörg Hintz. Wir wussten bis zum Schluss nicht, was er eigentlich von uns wollte. Die Botschaft war unklar. Auf konkrete Fragen reagierte er italienisch. Es war ein Umarmungsversuch, und allein die bloße Anwesenheit des weltbekannten Unternehmer-Stars sollte uns wohl für ihn einnehmen. Im Jahr darauf folgte eine Einladung in das wirklich beeindruckende Benetton-Hauptquartier nach Ponzano Veneto, wo man uns das Benetton-System im Detail erklärte und Luciano uns ein erneut wenig ergiebiges Interview gab.
Das letzte Mal traf ich Luciano Benetton 2004 anlässlich einer Laden-Eröffnung in Stuttgart. „Was kann Benetton von H&M und Zara lernen?“ habe ich ihn gefragt: „Ich bin nicht so neugierig auf die anderen“, war die Antwort. „Es ist ein dummer Fehler, andere zu kopieren. Man muss so sein, wie man ist und ständig daran arbeiten, besser zu werden. Ich habe immer meinen eigenen Weg gesucht und mich nicht darauf verlassen, was andere für besser halten.“
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