Der Jahreswechsel ist die Zeit der Bilanzen und Prognosen. Zu schauen, wie‘s war, und einzuschätzen, wie‘s wird, ist nicht ganz unwichtig, erst recht im Modebusiness, wo in den kommenden Wochen die Order-Budgets verteilt werden. Die Messen, die fürs Multilabel-Business ja nach wie vor relevant sind, werden keine Gewissheit, aber bestimmt etwas mehr Sicherheit bringen, was das neue Jahr an Chancen und Risiken birgt. Die Reisekosten für Florenz, Berlin oder Düsseldorf zu kappen, wäre jedenfalls am falschen Ende gespart.
Wie war’s denn nun? Die offiziellen Verlautbarungen sind erstmal widersprüchlich. Während der HDE ein Umsatzplus von 2,9 Prozent für den Einzelhandel insgesamt und von 1,9 Prozent für die Textiliten verkündet, meldet die TW einen Umsatzrückgang von 2 Prozent für den Textilhandel. Es wäre das vierte Minusjahr in Folge. Flankiert wird das durch Schätzungen des BTE, nachdem die Zahl der Modehändler in den vergangenen neun Jahren um 8.000 auf 15.000 rückläufig war. "Wir verlieren jedes Jahr mehrere Hundert Geschäfte", so BTE-Hauptgeschäftsführer Rolf Pangels gegenüber dpa. Die Gewinner seien Online-Anbieter und Outlet-Center.
Der wachsende Internet-Umsatz dürfte in den TW-Zahlen unterrepräsentiert sein, weshalb man davon ausgehen kann, dass die auf Daten des Statistischen Bundesamtes basierende HDE-Schätzung näher an der Realität ist. Der Markt ist nicht geschrumpft, aber Stationär verliert an Boden. Die Diskrepanz könnte künftig noch größer ausfallen: Der wachsende Marktanteil des Online Retailings wirkt als Katalysator für Konzentration und Vertikalisierung – der Kuchen für Stationär schrumpft wohl weiter, und Internet-Marktplätze wie Zalando, Amazon und Alibaba werden den Markenlieferanten Direktverkaufsmöglichkeiten eröffnen, die stationär nicht ansatzweise realisierbar waren. Was den Markt für Multilabel-Modehäuser zusätzlich enger macht.
Auf der Positivseite ist zu vermerken, dass die Unternehmen 2019 im Schnitt besser gewirtschaftet und häufig mehr verdient haben. Die eigene Situation scheint tendenziell besser beurteilt zu werden als die Lage der Branche insgesamt. Dieses Muster zeigt sich auch in den Prognosen für 2020: Skepsis, was die Konjunktur und das Konsumklima angeht, und verhaltene Zuversicht, was die eigenen Pläne angeht. Wenn die Börse ein Gradmesser sein sollte, dann gibt es ohnehin Grund zu Optimismus: Die Modeaktien haben sich 2019 weit überdurchschnittlich entwickelt. Während der DAX ein starkes Kursplus von 26 Prozent verzeichnet, legten die Modeaktien durchschnittlich um sagenhafte 37 Prozent zu!
Was wird uns 2020 beschäftigen? Zunächst werden das die bekannten Themen sein. Allem voran die Digitalisierung, die ja nicht nur die Wettbewerbssituation massiv verändert, sondern den Unternehmen auch viele Möglichkeiten in der Kundenansprache und zur Optimierung von Organisation und Prozessen eröffnet.
Und dann ist da natürlich das Mega-Thema Nachhaltigkeit. Das können einige wenige Anbieter glaubwürdig zur Profilierung nutzen. Für die Modeindustrie insgesamt ist Sustainability aber ein ziemlicher Downer ist. Einen Vorgeschmack gab die FAS, die am vergangenen Wochenende mit dem Thema Shopping-Scham titelte: „Noch schlimmer als Fliegen ist für das Klima unsere Sucht nach neuen Klamotten.“
Man könnte entgegnen, dass auch Zeitungmachen der Umwelt schadet. Das hat gerade Emanuele Farneti klar gemacht: "150 Personen sind beteiligt. Etwa zwanzig Flüge und ein Dutzend Zugfahrten. Vierzig Wagen in Bereitschaft. Sechzig internationale Lieferungen. Mindestens zehn Stunden nonstop eingeschaltetes Licht, teilweise mit Benzin-Generatoren betrieben. Lebensmittelabfälle aus dem Catering-Service. Plastik zum Einwickeln der Kleidungsstücke. Strom zum Aufladen von Telefonen, Kameras …" Weswegen die italienische Vogue in ihrer Januar-Ausgabe komplett auf Fotoproduktionen verzichtete. Der PR-Schuss könnte nach hinten losgehen. Die Vogue-Abonnenten könnten ja nun auch auf die Idee kommen, so eine Umweltverschmutzung künftig nicht mehr unterstützen zu wollen.
Vorbildlich dagegen US-Schauspieler Joaquin Phoenix, der sich zu den Golden Globes einen Anzug von Stella McCartney schneidern ließ. „Er hat sich dazu entschlossen, diesen Smoking die gesamte Preisverleihungssaison über zu tragen, um Müll zu reduzieren“, lobt die Designerin auf Twitter. Kennt Stella eigentlich die Umweltbilanz von chemischen Reinigungen?
+++++
Und sonst? War über die Feiertage jede Menge aus der Branche zu lesen.
… von Alexander Birken. Der Otto Group-Chef machte den hiesigen Online Playern im digitalen Titanenkampf Mut: „Wir bringen genug zur Party mit“, so Birken im TW-Interview.
…musste Stephan Fanderl gegenüber dem Handelsblatt einräumen, dass Karstadt tief in die roten Zahlen gerutscht ist. Parallel dazu recherchierte das Manager-Magazin Rene Benkos Geheimplan für die Warenhäuser. Die danach mittelfristig keine mehr sein werden.
…forderte Architekt Wolfgang Christ in einem TW-Beitrag die Einrichtung eines Deutschen Handelsmuseums. Was vor dem Hintergrund des Strukturwandels zynisch klingt, aber ernst gemeint ist.
…beschäftigte sich der Spiegel zum Jahresanfang in großen Geschichten mit Chanel (nach Lagerfeld), Patagonia und Adidas („In einer Liga mit Facebook und Tesla“). Letzteres eine für Spiegel-Verhältnisse ungewohnte Verbeugung. Das Schwesterblatt Manager-Magazin hob Kasper Rorsted („Extremsportler“) gleich auf den Titel. Das „Management-Lehrstück für Erfolgshungrige“ ist durchaus lesenswert.
…verbreitete Amazons Deutschland-Chef Ralf Kleber im Gespräch mit der Welt Selbstverständlichkeiten: „Wir wissen, dass Kunden offline einkaufen und dass sie Vielfalt mögen.“ Was schon reichte, um Agenturmeldungen über die bevorstehende Stationär-Expansion des Online-Giganten auszulösen.