Bemerkenswert am Arbeitgeberranking, das die TW diese Woche veröffentlicht hat, ist weniger der Umstand, dass Adidas zum wiederholten Male der Spitzenreiter ist. Für eine 20 Milliarden-Marke zu arbeiten, die auf der Welt jeder kennt, lässt einen sogar den Umstand verschmerzen, dass man für die Karriere mit hoher Wahrscheinlichkeit in die fränkische Provinz ziehen muss. Zu denken geben sollte vielmehr, dass wieder mal kein einziger Retailer unter den Top 10 gelandet ist. Die Weltmarke H&M kommt erst auf Platz 11.
Nun ist es nicht so, dass Adidas oder Hugo Boss nicht auch Einzelhändler sind. Das Image dieser Marken prägen aber nicht Läden, sondern Spitzensport und Spitzen-Anzüge. Auch mit Otto (Platz 7) assoziiert man in erster Line Kataloge und Online, nicht das Filialgeschäft.
Die TW-Studie belegt einmal mehr, dass der Einzelhandel als Arbeitgeber nicht allzu hoch im Kurs steht. Und auch nicht als Karrieresprungbrett. Das ist ein Problem, wenn es darum geht, Talente anzuziehen. Die Branche beklagt diesen Umstand seit jeher, wie sonst nur noch das Wetter. Auch die Gründe sind hinlänglich benannt: ungünstige Arbeitszeiten, mäßige Bezahlung, wenig Prestige. Das sind leider auch Fakten, die nicht wegzudiskutieren sind. Wenigstens können viele Modehändler noch mit einem attraktiven Produkt und einem coolen Umfeld punkten. Andere Einzelhandelsbranchen haben noch nicht mal das zu bieten, von den Arbeitsbedingungen von Metzgern und Bäckern ganz zu schweigen. Das ist freilich kein Trost.
Karriere im Einzelhandel startet klassischerweise im Verkauf. Das ist schon die erste Hürde für High Potentials. Studieren und dann Pullover falten? Nein Danke. Natürlich ist Verkaufen keine große Wissenschaft, sondern eine sehr praktische Aufgabe. Um Kunden zu überzeugen, braucht es Fachwissen und Eloquenz, aber bestimmt keine Hochschulausbildung. Die ist manchmal vielleicht sogar hinderlich.
Auf der anderen Seite braucht der Einzelhandel qualifizierte Talente für die immer komplexeren Führungsaufgaben und anspruchsvolleren Spezialdisziplinen. Denn dass in den vergangenen Jahren eine massive Professionalisierung in der Branche stattgefunden hat, steht außer Zweifel.
Früher war der Modehandel eine Branche von selbstständigen Unternehmern. Der vorherrschende Manager-Typus war der Generalist, der sich im Zweifel um alles in seinem Laden selbst kümmerte, der Einkäufer, Verkäufer, Personalchef, Werbeleiter in Personalunion und sein eigener Controller war. Diesen Typus gibt es heute noch, und viele Unternehmen sind gerade deshalb so erfolgreich, weil der Chef oder die Chefin es einfach drauf haben.
Doch das ist längst ein Minderheitenprogramm geworden. Die zunehmende Konzentration und Filialisierung haben zu einer massiven Spezialisierung der Aufgaben geführt. Wer heute einen Laden führt, kauft selten noch ein. Stattdessen kümmert er sich um Personal und Präsentation. Einkaufen heißt heute nicht mehr, mit dem Handelsvertreter im Vorlageraum Kaffee zu trinken, sondern nicht selten, sich in Fernost mit knallhart verhandelnden chinesischen Produzenten herumzuschlagen. Das Marketing, die Expansion, die Finanzen – in mittleren und erst recht in größeren Unternehmen verlangen all‘ diese Funktionen heutzutage gut ausgebildete Spezialisten. Auch die heutigen IT-Systeme sind nichts mehr für Autodidakten.
Die Vertikalisierung bedingt ein intelligentes Zusammenspiel unterschiedlichster und hochprofessionell arbeitender Spezialisten entlang der Supply Chain. An den Schnittstellen von Produktentwicklung, Beschaffung und Vertrieb sind neue, sehr komplexe Anforderungen an das Merchandise Planning und die Warensteuerung entstanden.
Mit der Digitalisierung kommen nun zunehmend Techies an die Schaltstellen. Im Online Retail sind für das Handelsgeschäft völlig neue Berufsbilder entstanden. Zalando sucht z.B. Android Software Engineers, Creative Retouchers und Business Intelligence-Spezialisten, um nur drei der über 500 offenen Stellen anzusprechen. Wer omnichannelfähig werden will, kommt nicht umhin, sich mit vielen neuen Disziplinen auseinanderzusetzen. Vielleicht ist dies sogar ein positiver Aspekt der Digitalisierung – sie verändert auch das Bild des Handels als anspruchsvoller Wirkungsstätte für Akademiker.
Zur Bewältigung dieser neuen Aufgaben braucht die Branche jedenfalls qualifizierte Leute. Sie werden letztlich den Unterschied im Wettbewerb ausmachen. Die Unternehmen müssen kommunizieren, was sie als Arbeitgeber auch inhaltlich zu bieten haben. Die Gefahr ist ansonsten groß, dass der Einzelhandel den „War for Talents“ gegen andere Branchen verliert.