Wer von Berlin auf den Zustand der deutschen Modebranche schließen wollte, bekäme einen falschen Eindruck. Die Stimmung war wie immer: bestens. Volle Flure auf den großen Messen, zumindest am Dienstag und Mittwoch. Promi-Alarm und Blitzlichtgewitter auf der Mercedes Benz Fashion Week. Hoch die Tassen auf Dutzenden Events. Knappe Taxen, volle Hotels, ausgebuchte Hotspots.
Man muss nicht gleich das Bild vom Orchester auf der Titanic bemühen. Aber wenn es darum geht, sich selbst zu feiern, macht dieser Branche so schnell keiner was vor. Der schöne Schein ist schließlich Kernkompetenz und Geschäftsgrundlage. Hinzu kommt, dass der Berliner Zirkus nun mal nicht darauf angelegt ist, Trübsal zu blasen. Mindestens ebenso sehr wie der Information und der Kommunikation dient dieser halbjährliche Fixtermin der Motivation. Und der Identifikation mit einem großartigen Metier.
Dass die Realität eine andere ist, ahnte man spätestens beim Store Check an Ku'damm, an der Friedrichstraße und in Mitte: Volle Winterläger. Sale bis zum Abwinken. 30 Prozent hier, 50 Prozent dort. Die Welt im Einzelhandel ist nach einer grausigen Saison nicht rosig, sondern rot. Das Konsumhoch, das die Wirtschaftsforschungsinstitute Deutschland attestieren, rauscht am Modehandel vorbei. Die 300 Millionen, die die Kadewe Group in ihre Warenhäuser investieren will, wurden in Thailand verdient. Der Industrie steht nach diesem Winter erneut eine harte Orderrunde bevor. Die Aktienkurse rauschen nicht nur wegen Russland und China in den Keller.
Die gute Nachricht: Der Messestandort Berlin ist einstweilen gesetzt. Die jahrelange Diskussion um die deutsche Modehauptstadt und die Konkurrenz zu Düsseldorf erscheint im Nachhinein geradezu absurd. Die Fashion Week hat den Absturz der Bread & Butter locker weggesteckt. Tempelhof vermissen nur noch die Nostalgiker. Das Modefestival, das Zalando im September plant, wird mit Karl-Heinz Müllers Tradeshow lediglich den Namen gemein haben. Der folgt jetzt seiner anderen Leidenschaft und konzentriert sich aufs Einzelhandelsgeschäft.
Die schlechte Nachricht: Es fehlt in Berlin an Internationalität, mehr denn je. Die Messeveranstalter müssen daran arbeiten, das zu ändern. In Berlin nur diejenigen zu treffen, die wenige Wochen später in Düsseldorf und München in den Showrooms aufschlagen, wird auf Dauer nicht reichen. Das ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund des schmaler werdenden Marktanteils des Multilabel-Business überlebensnotwendig. Statt sich Scharmützel um Shuttle-Services zu liefern, sollten sich Messen und Schauenveranstalter zusammenraufen und ein professionelles, globales Promotion-Programm aufsetzen. Daran müsste auch die Berliner Wirtschaftsförderung ein Interesse haben. Es ist trotz starker Konkurrenz von Messestandorten wie Paris, Florenz oder Kopenhagen kein aussichtsloses Unterfangen: Berlin hat als die deutsche Weltstadt allerbeste Voraussetzungen, auch in der Mode international mitzuspielen, wenigstens europäisch.
Der Berliner Modesalon kam in diesem Zusammenhang zur rechten Zeit. Nicht alles, was Markus Kurz im Kronprinzenpalais zusammengetrommelt hat, ist kommerziell relevant. Aber es ist sehenswert. Der Modesalon schafft damit eine Anlaufstelle fürs Topgenre, was im Hinblick auf die mediale Strahlkraft und die modische Positionierung der Streetwear-Metropole Berlin dringend notwendig war. Diese Funktion hat die Mercedes Benz Fashion Week als Marketingplattform für Konsumenten niemals erfüllt. Dass sich auch der Vogue Salon im Kronprinzenpalais niedergelassen und Christiane Arp den German Fashion Council mit aus der Taufe gehoben hat, hilft nicht nur Conde Nast.
Eine weitere wichtige Initiative ist FashionTech. Dass die Start-up-Metropole Berlin der Ort ist, wo Mode und Technologie zusammenfinden können, hat Anita Tillmann instinktiv erfasst. 4000 Anmeldungen verzeichnete die Veranstaltung, die die Premium am Mittwoch zusammen mit den Re:publica-Machern auf die Beine gestellt hat. Und das lag nicht nur daran, dass der Eintritt für Messebesucher frei war. Berlin bestellt damit ein Zukunftsfeld, von dem heute noch keiner sagen kann, wann und wie es aufblühen wird. Doch wer weiß – vielleicht werden Paris und Mailand eines Tages neidisch auf die blühende Modelandschaft im deutschen Osten schauen.
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