Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie sehr die Modebranche dem eigenen schönen Schein erliegt. Draußen ist Dauer-Krise, ja die Welt sortiert sich auf dramatische Weise neu, Politik und Wirtschaft stehen vor gewaltigen Veränderungen. Geldverdienen war für Handel und Industrie 2024 zum wiederholten Male eine enorme Herausforderung, aktuell schüren Regierungswechsel in USA und in Deutschland die Unsicherheit.
In Florenz war diese Woche von all dem wenig zu spüren. Es war auf dem Pitti Uomo eigentlich wie immer, jedenfalls vordergründig: Strahlende Aussteller, rummelige Hallen, posende Peacocks, großes Hallo bei den vielen Side-Events und in den Trattorien der Stadt, Absacker im Gilli. Klar, eine Messe ist eine Verkaufsveranstaltung und damit auf gute Laune angelegt. In Zeiten wie diesen sind diese Plattformen indes nicht nur Trendlabor, Branchen-Treffpunkt und Community Organizer, sondern mindestens in gleichem Maße Motivationsveranstaltungen. Diesem Zweck ist der Pitti Uomo mal wieder voll gerecht geworden. Es war wie ein Kurz-Urlaub von der Krise.
Florenz gibt mit seiner Heritage und seinem Flair einen einzigartigen Rahmen ab, gerade für die Männermode, die mehr noch als die DOB von Spezialisten lebt, die es gerade in Italien noch massenhaft gibt. Schade, dass die Womenswear keinen vergleichbaren Ort hat. In der Branche wird zurzeit vieles in Frage gestellt. Diese einzige wirklich global relevante Modemesse sollten Handel und Industrie indes pflegen.
Klar ist, die Vertikalisierung des Marktes wird auch die Menswear betreffen. Der Prozess verläuft langsamer als in der DOB, wo die schnelle Trendadaption erfolgsentscheidender ist und die Coordinates-Kollektionen eher D2C-fähig sind als die Produktspezialisten der Männermode, jedenfalls stationär. Aber Zara & Co sind auch hier auf dem Vormarsch, Massimo Dutti muss den Qualitätsvergleich mit Premium-Marken nicht scheuen, Uniqlo liefert ordentliche und preisgünstige Basics, im Wholesale großgewordene Marken wie Hugo Boss machen inzwischen ebenfalls zwei Drittel ihres Geschäfts in eigenen Kanälen, und neue Anbieter versuchen es in der Regel zunächst im Direktvertrieb.
In dem Maße, wie D2C und vertikale Filialisten Marktanteile gewinnen, verliert das auf den Messen präsente Multilabel-Business an Bedeutung. Diese strukturelle Veränderung müssen die Pitti-Macher langfristig mehr fürchten als die konjunkturelle Schwäche, die derzeit auch italienische Herrenmodeanbieter erfasst hat. 2024 schlug mit minus 3,6 Prozent zu Buche. Gründe für die Branchenvertreter auf der Pitti-PK, eine stärkere Unterstützung des Staates einzufordern, die dieser offenbar auch zu leisten bereit ist. Mode hat in Italien schließlich einen ähnlichen Stellenwert wie hierzulande die Automobilindustrie. Das Wirtschaftsministerium heißt dort „Ministerium für Unternehmen und 'Made In Italy'“.