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'Made by Chinese'

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Jür­gen Mül­ler

Wäh­rend die Ein­zel­händ­ler in Deutsch­land kla­gen, dass die Kun­den weg­blei­ben, rei­ben sie sich in Guangs­hou und Shang­hai die Hän­de. Jeder Fünf­te in Deutsch­land hat laut einer aktu­el­len You­Gov-Befra­gung Weih­nachts­ge­schen­ke bei Shein, Temu & Co gekauft. Gefragt ist vor allem Beklei­dung. Die Hälf­te der Käu­fer gibt mehr als 100 Euro bei den chi­ne­si­schen Platt­for­men aus. Bei den dor­ti­gen Prei­sen bleibt da kein Platz mehr unterm Weih­nachts­baum.

Ein erkleck­li­cher Teil der Ver­brau­cher ist skep­tisch, was die Qua­li­tät, Gesund­heits­ri­si­ken und feh­len­de Sicher­heits­stan­dards angeht, so die Stu­die. Nicht weni­ge haben zudem ethi­sche Beden­ken. Bei der GenZ fürch­ten gar 50%, dass im Hin­blick auf Umwelt und Arbeits­be­din­gun­gen bei Shein & Co nicht alles mit rech­ten Din­gen zugeht. Das neh­men sie aber buch­stäb­lich in Kauf. Und die Platt­for­men spie­len ihren Wett­be­werbs­vor­teil voll aus, indem sie für hie­si­ge Anbie­ter gel­ten­de, preis­trei­ben­de Regu­la­ri­en unter­lau­fen.

Es wird höchs­te Zeit, dass die EU wenigs­tens die Zoll­frei­heit abschafft und die chi­ne­si­schen Platt­for­men wie alle ande­ren Anbie­ter in Haf­tung nimmt. Das wäre ein guter Vor­satz für 2026, der auch wirk­lich umge­setzt wer­den soll­te.

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Die Klei­der­schrän­ke sind voll, ja. Aber sie waren schon mal vol­ler, wenn man Green­peace glau­ben darf. Durch­schnitt­lich 95,3 Tei­le hat in Deutsch­land jeder im Schrank, so eine aktu­el­le Befra­gung von 1000 Kon­su­men­ten. Vor zehn Jah­ren waren es 89,9. Ist das aus Sicht des Mode­han­dels jetzt eine gute Nach­richt?

Fünf Mil­li­ar­den Klei­dungs­stü­cke hän­gen in deut­schen Klei­der­schrän­ken, ein Drit­tel davon bleibt unge­tra­gen. Der Trend gehe zur Kurz­le­big­keit, so Green­peace, immer mehr Klei­dung wer­de schnel­ler aus­sor­tiert als frü­her. „Die Mode­bran­che pro­du­ziert Klei­dung in einem Tem­po, das buch­stäb­lich untrag­bar ist.“ Des­halb bräuch­ten wir in Deutsch­land ein „Anti-Fast-Fashion-Gesetz“: eine Son­der­ab­ga­be auf Bil­lig­mo­de und ein Wer­be­ver­bot, auch auf Social Media.

Ob dies Fehl­käu­fe ver­hin­dern wür­de? Es wür­de sie allen­falls noch ärger­li­cher machen.

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Die ita­lie­ni­sche Luxus­in­dus­trie steht in Sachen Lie­fer­ket­ten seit län­ge­rem unter Beob­ach­tung. Anfang Dezem­ber erhiel­ten 13 Unter­neh­men Besuch von der Poli­zei, dar­un­ter Pra­da, Ver­sace, Dol­ce & Gab­ba­na, Guc­ci, Mis­so­ni, Fer­ra­ga­mo und Coc­ci­nel­le. Auf­trä­ge die­ser Brands waren bei Sub­un­ter­neh­men gefun­den wor­den – von Chi­ne­sen betrie­be­ne Fabri­ken in Ita­li­en, gegen die wegen Arbeits­rechts­ver­stö­ßen ermit­telt wird. Es dro­hen Zwangs­maß­nah­men, die die Jus­tiz die­ses Jahr bereits bei Loro Pia­na, Arma­ni und ande­ren ein­ge­lei­tet hat.

Sol­che Schlag­zei­len sind natür­lich Gift für das Image von Luxu­ry Brands, die ihre hohen Prei­se eben auch mit hand­werk­li­cher Qua­li­tät recht­fer­ti­gen. Und sie legi­ti­mie­ren in den Augen vie­ler Kon­su­men­ten womög­lich zudem den Ein­kauf bei Bil­lig­an­bie­tern, nach dem Mot­to 'Sind eh alles Betrü­ger und Aus­beu­ter'. In Ita­li­en, wo das Sub­con­trac­ting seit vie­len Jah­ren gän­gi­ge Pra­xis ist, wun­dert einen allen­falls, dass die Behör­den das Pro­blem offen­bar erst jetzt ange­hen. BoF berich­tet heu­te Früh von mafiö­sen Struk­tu­ren und orga­ni­sier­ter Kri­mi­na­li­tät. Von den rund 7000 Fir­men, die sich allein in Pra­to ange­sie­delt haben, sind 4400 chi­ne­sisch. Ein Gut­teil der rund 230.000 in Ita­li­en leben­den Chi­ne­sen arbei­tet wahr­schein­lich in der Tex­til­bran­che.

Viel­leicht soll­te man statt von 'Made in Ita­ly' ehr­li­cher­wei­se von 'Made by Chi­ne­se' spre­chen.

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Die EU ent­schärft ihr Lie­fer­ket­ten­ge­setz, bevor es in Kraft tritt. Eine bemer­kens­wer­te Vol­te ange­sichts der jah­re­lan­gen auf­ge­reg­ten Strei­te­rei­en um CSDDD, CSRD, ESRS, CBAM, LkSG oder wie die Wer­ke der Büro­kra­ten noch so alle hei­ßen. Der Druck aus den Mit­glieds­staa­ten war zu groß gewor­den.

Die­se ver­kau­fen das jetzt als gro­ßen Sieg. "Wirk­lich ein groß­ar­ti­ger Tag für Euro­pa", so EU-Rats-Ver­hand­lungs­füh­rer Mor­ten Bøds­kov. Die Unter­neh­men könn­ten sich nun auf ihr eigent­li­ches Kern­ge­schäft kon­zen­trie­ren, anstatt sich mit Papier­kram zu beschäf­ti­gen. "Das kann und wird zu einem grü­ne­ren Euro­pa bei­tra­gen." Meint Bøds­kov, dass wegen des aus­blei­ben­den Papier­krams jetzt weni­ger Bäu­me gefälllt wer­den müs­sen? Es ist schon kuri­os, wie sich Poli­ti­ker für die Besei­ti­gung von Pro­ble­men, die sie selbst zu ver­ur­sa­chen vor­hat­ten, fei­ern las­sen.

Wer­den die Nach­hal­tig­keits­ma­na­ger jetzt alle ihren Job ver­lie­ren? Nicht so schnell! Zunächst mal müs­sen der EU-Rat und das Euro­päi­sche Par­la­ment for­mal zustim­men, dann wird es ohne­hin bis 2029 dau­ern, bis das Gan­ze umge­setzt ist. Die Richt­li­nie in der ver­schärf­ten Form bleibt für rund 1500 Groß­un­ter­neh­men bestehen, alle ande­ren müs­sen sich jetzt mit wie­der neu­en Regeln beschäf­ti­gen.

Auch wenn die NGOs nun ver­ständ­li­cher­wei­se schäu­men, ist es trotz­dem gut, dass das dro­hen­de Büro­kra­tie­mons­ter abge­räumt wird. Nicht nur, dass über­trie­be­ne Regle­men­tie­rungs­sucht die EU von ihren Bür­gern ent­frem­det und radi­ka­len Par­tei­en Auf­trieb ver­schafft;  die Vor­stel­lung, die Euro­pä­er könn­ten mit ihrer Wirt­schafts­kraft und juris­ti­schen Mit­teln die gan­ze Welt ver­bes­sern, war seit jeher all­zu idea­lis­tisch. Das kann man bekla­gen. Aber in einer Welt, wo zuneh­mend das Recht des Stär­ke­ren gilt, soll­te man sich nicht auch noch selbst schwä­chen.