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Eine Branche hat Verstopfung

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Jür­gen Mül­ler

Pick‘n weight ist plei­te. Das Insol­venz­ver­fah­ren wur­de laut TW bereits am 1. August eröff­net. Die zwölf Stores des Second­hand-Retail­ers wer­den wohl dicht­ge­macht. Bereits im Juni hat­te der Schwei­zer Tex­til­re­cy­cler Tex­aid für sein deut­sches Toch­ter­un­ter­neh­men Resa­les Insol­venz in Eigen­ver­wal­tung bean­tragt, das Haupt­ver­fah­ren wur­de die­se Woche eröff­net. Hier ste­hen 70 Filia­len zur Dis­po­si­ti­on.

Was ist da nur los im Second­hand-Markt? War Prel­oved nicht gera­de noch das gro­ße Ding im Mode­busi­ness? Wo Start­ups sich für die Kreis­lauf­wirt­schaft enga­gie­ren? Wo Kon­zer­ne wie Zalan­do und H&M eine Chan­ce zur nach­hal­ti­gen Posi­tio­nie­rung sehen? Wo Finanz­in­ves­to­ren Mil­lio­nen in zug­kräf­ti­ge Ver­kaufssto­ries wie Vin­ted oder Ves­ti­ai­re Coll­ec­ti­ve ste­cken?

Mög­li­cher­wei­se kau­fen vie­le Kun­den Second­hand nicht, um die Welt zu ret­ten, son­dern um ein Schnäpp­chen zu machen. So wäre es nur fol­ge­rich­tig, wenn die Stei­ge­rung der all­ge­mei­nen Lebens­hal­tungs­kos­ten, das ver­än­der­te Aus­ga­be­ver­hal­ten und die rück­läu­fi­gen Fre­quen­zen auch die­ses Markt­seg­ment trä­fen.

Natür­lich spielt eine Rol­le, dass Pick‘n weight und Resa­les Tex­til­re­cy­clern gehö­ren und damit unmit­tel­bar von der Kri­se der Alt­klei­der­samm­lung betrof­fen sind. Die Sam­mel- und Sor­tier­be­trie­be sind chro­nisch unter Druck, die schie­re Men­ge und zuneh­mend schlech­te Qua­li­tät der Tex­ti­li­en über­for­dert und ver­teu­ert das Sam­meln und Sor­tie­ren. Das erhöh­te Ange­bot führt zu sin­ken­den Prei­sen bei Wei­ter­ver­kauf der Alt­klei­der. Die chi­ne­si­sche Bil­lig­wa­re über­schwemmt zudem die Märk­te in Ost­eu­ro­pa und in den Ent­wick­lungs­län­dern, in die die Tex­til­re­cy­cler ihre Ware tra­di­tio­nell ver­schie­ben. Die Poly­es­ter-Gemi­sche gehen des­we­gen zuneh­mend in die ther­mi­sche Ver­wer­tung, wie das Ver­bren­nen euphe­mis­tisch genannt wird.

Bis neue Tech­no­lo­gien zum Kunst­stoff­re­cy­cling im gro­ßen Stil ein­ge­setzt wer­den kön­nen, wird es dau­ern. Die Anla­ge, die bei­spiels­wei­se das Cle­an­tech-Start­up Mate­rr die­se Woche in Hürth ange­kün­digt hat, nimmt erst 2027 ihren Betrieb auf, bekannt­lich mit finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung der Best­sel­ler-Grup­pe. Vor 2027 dürf­te auch die Ein­füh­rung der erwei­ter­ten Her­stel­ler­ver­ant­wor­tung für Tex­ti­li­en (EPR) kei­ne Ent­las­tung für die Tex­til­re­cy­cler brin­gen.

Die Nöte der Secondhand-Anbieter offenbaren das Drama einer Branche, die an der eigenen Warenflut zu ersticken droht.

Pick‘n weight und Resa­les wird das kurz­fris­tig nicht mehr hel­fen. Viel­leicht ist es zudem so, dass der Second­hand­markt online ein­fach bes­ser funk­tio­niert. Maxi­ma­le Reich­wei­te und zen­tra­le Logis­tik sind hier womög­lich ent­schei­den­de Wett­be­werbs­vor­tei­le gegen­über filia­li­sier­ten, ledig­lich lokal wir­ken­den Anbie­tern. Markt­plät­ze wie Vin­ted, Sell­py oder Ebay sind sta­tio­när in die­sem Maß­stab gar nicht rea­li­sier­bar. Dass die Bäu­me im Inter­net zugleich nicht in den Him­mel wach­sen, zei­gen Bei­spie­le wir Rebel­le (Über­nah­me durch Vin­ted) und Mäd­chen­floh­markt (nach Insol­venz Über­nah­me durch MFG Recom­mer­ce).

Die Nöte der Second­hand-Anbie­ter offen­ba­ren jeden­falls das Dra­ma einer Bran­che, die an der eige­nen Waren­flut zu ersti­cken droht.

Und wäh­rend sich am einen Ende der sog. tex­ti­len Pipe­line der Abfall häuft, soll sie am ande­ren künf­tig sau­be­rer wer­den. Das Lie­fer­ket­ten­ge­setz hat es als Büro­kra­tie­mons­ter zu trau­ri­ger Berühmt­heit auch jen­seits der Bran­chen­öf­fent­lich­keit gebracht. Des­halb ver­wun­dert es nicht, dass die Poli­tik gera­de bei die­sem Regel­werk den Nach­weis für den ver­spro­che­nen Büro­kra­tie­ab­bau erbrin­gen möch­te.

Die Ent­schei­dung des Bun­des­ka­bi­netts am Mitt­woch macht es jedoch lei­der wie­der kei­nem recht. Dass die Grü­nen und NGOs die Auf­wei­chung des Regel­werks als Rück­schritt kri­ti­sie­ren, war erwart­bar. Aber auch die Wirt­schafts­ver­bän­de bekla­gen, dass die Regie­rung – anders als ange­kün­digt – das Lie­fer­ket­ten­ge­setz nicht bis zum Inkraft­tre­ten der EU-Richt­li­nie im Jahr 2027 aus­setzt, son­dern ledig­lich Ver­öf­fent­li­chungs­pflich­ten abge­schafft wer­den. Intern muss wei­ter­hin alles doku­men­tiert wer­den. „Pure Augen­wi­sche­rei“, schimpft Uwe Mazu­ra vom Gesamt­ver­band Textil+Mode. „Wir brau­chen kei­ne Sym­bol­po­li­tik, son­dern fai­re Wett­be­werbs­be­din­gun­gen und prak­ti­ka­ble Lösun­gen für ver­ant­wor­tungs­vol­le Lie­fer­ket­ten.“ Da hat er recht.

Die Geknif­fe­nen sind vor allem die Unter­neh­men, die sich ver­ant­wor­tungs­voll auf das deut­sche Lie­fer­ket­ten­ge­setz ein­ge­stellt haben. Eine Modi­fi­ka­ti­on, die ohne­hin nur bis 2027 gilt, bringt ihnen jetzt neue Unsi­cher­heit und unnö­ti­gen Mehr­auf­wand.