
Es ist viele Jahre her, dass ich zu einem Führungskräftemeeting bei Engelhorn in Mannheim eingeladen war. Gefühlt war das kurz nach der Erfindung des iPhones. Ich sollte zum Thema Digitalisierung sprechen und wie aufstrebende Player wie Amazon den Einzelhandel revolutionieren würden. Es ging Richard und Fabian Engelhorn darum, ihre tendenziell skeptischen Führungskräfte von den Chancen des neuen Mediums zu überzeugen. Am Ende gaben die beiden ein Budget aus und baten ihre Mitarbeitenden, online shoppen zu gehen und das Einkaufserlebnis – heute würde man von customer journey sprechen – detailliert zu dokumentieren. Um daraus zu lernen.
Zwei, drei Jahre später sah ich in der Poststation am Frankfurter Grüneburgweg jemanden ein Paket von Engelhorn in Empfang nehmen. Und ich dachte: 'Siehe da, Engelhorn ist in Frankfurt angekommen.'
Heute muss man sagen, dass die E‑Commerce-Träume der Mannheimer geplatzt sind. Das zeigen die Zahlen, die der Mannheimer Morgen und die TW neulich berichtet haben. Engelhorn hat die Bremse im Online-Vertrieb eingelegt, seine Google-Spendings zurückgefahren, sich von den Marktplätzen zurückgezogen, die zuletzt 30 bis 50 Prozent des Online-Geschäfts ausmachten. 23 der gut 25 Millionen Euro, die das Unternehmen im Geschäftsjahr 23/24 an Umsatz verloren hat, gingen auf das Konto der Web-Aktivitäten. "Wir sind ein Mittelplayer vom Umsatz und von der Leistungsfähigkeit her", so Fabian Engelhorn gegenüber der TW. "Wir müssen daher unsere Strategie anpassen."
Der Fall bestätigt die Skeptiker, intern wie extern. Seitdem der E‑Commerce seinen Siegeszug begann, stellt sich für lokale Platzhirsche die Frage, ob sie in diesem Geschäft mitmischen sollen. Abgesehen davon, dass es sich um ein völlig anderes Business handelt, von dem man nichts versteht und das riesige Invests erfordert, ist die Grundsatzfrage: Warum sollen die Kunden eine Marke beim Modehaus X online kaufen, wenn es dasselbe Produkt nur einen Klick entfernt bei Y und Z oder bei der Marke direkt gibt, und das dazu meistens irgendwo auch noch billiger?
Die globale Reichweite und totale Preistransparenz des Internets erfordern aus einer Branding-Perspektive eine noch striktere Selektivität als der Stationärvertrieb. Deshalb ist die Digitalisierung auch ein Katalysator der Vertikalisierung.
Die Pandemie hat die Bedenkenträger dann für eine Weile verstummen lassen. Im Lockdown war das Internet über Monate der einzig funktionierende Absatzkanal. Zalando hat die Notlage geschickt genutzt und etliche Stationäre auf seinen Marktplatz gelockt. Es ging um Liquidität, an Profitabilität war in dieser Ausnahmesituation nicht zu denken.
Nach Wiedereröffnung der Läden zeigte sich indes schnell, dass die Marktplätze kein profitabler Vertriebsweg sein würden. Zu hoch die Provisionen. Und wer es wie Breuninger und Engelhorn auf eigene Faust im Internet versuchte, musste feststellen, dass es auch dort Frequenz nicht umsonst gibt. So zogen sich viele stationäre Player wieder von den Marktplätzen zurück bzw. fuhren ihre Netz-Aktivitäten runter. Und die Digitalverächter, die es schon immer besser gewusst haben, konnten sich bestätigt fühlen.
Nicht nur für die lokalen Player, sondern ganz generell darf man bezweifeln, ob sich mit einem Multilabel-Sortiment im Internet nachhaltig Geld verdienen lässt. Die totale Preistransparenz sorgt dafür, dass es immer einen Anbieter gibt, der die gleichen Produkte billiger anbietet. Und wenn dann auch noch ein Marktplatzanbieter wie Amazon seine Partner unter Preisdruck setzt, wie es das Kartellamt gerade bemängelt hat, wird es vollends schwierig, profitabel zu verkaufen.
Auch ein Zalando steckt in dieser strukturellen Falle. Alexander Grafs Spruch vom 'Karstadt ohne Rolltreppen' klingt einem da immer noch in den Ohren. Auch aus diesem Grund müssen sich die Berliner perspektivisch auf ihre Rolle als Traffic-Generator für den Marktplatz fokussieren und das Bestands- und Abschriftenrisiko ihren Partnern überlassen. Mit der Übernahme von About You vergrößert Zalando seine Marktmacht und damit seinen Hebel, diese Politik gegenüber den Lieferanten auch durchzusetzen.
Im Luxussegment gilt dieser Mechanismus erst recht. Mytheresa tritt mit der YNAP-Übernahme auch die Flucht nach vorne an. Größe schützt ein Stück weit davor, von den Luxury Brands ausgelistet zu werden. Denn diese werden das Geschäft im Web am allerliebsten auf eigene Rechnung und unter kontrollierten Bedingungen machen wollen. Warum sollte das online anders sein als stationär? Klassischer Wholesale über viele unkontrollierbare Partner erschwert seit jeher ein konsistentes Marketing. Das Internet mit seiner globalen Reichweite und der totalen Preistransparenz erfordert aus einer Branding-Perspektive sogar eine noch striktere Selektivität. Deshalb ist die Digitalisierung auch ein Katalysator der Vertikalisierung.
Möglicherweise sind New Yorker und Modepark Röther also doch keine unbelehrbaren Stationär-Nostalgiker, sondern Vorreiter einer anstehenden Monochannel-Renaissance.
Mit KI-Commerce rollt zudem bereits die nächste Revolution an. Google und ChatGPT arbeiten intensiv an diesem Thema. Hier übernehmen Chatbots für die Kunden die Vorauswahl gemäß deren Präferenzen, die die KI aus dem Netzverhalten ableitet. Welcher Anbieter ein Produkt liefert, ist dabei zunächst zweitrangig. Wen die KI in die Endauswahl nimmt, muss den Zuschlag dann mit einer Provision entgelten.
Diese persönlichen Shoppingassistenten lassen sich durch keinen noch so schön gestylten Webshop oder Marketing-Blabla blenden, sondern greifen direkt auf die Produktdaten zu. In dieser Welt dürfte der Preis eine noch überragendere Bedeutung bekommen. Die zielgruppenorientierte Kuration von Sortimenten durch einen Einzelhändler wird dagegen Relevanz verlieren. Die KI kuratiert das Angebot maßgeschneidert für jeden einzelnen Konsumenten.
Braucht man als Multilabel-Einzelhändler also einen Webshop?
Wahrscheinlich ist es in vielen Fällen ratsam, den Omnichannel-Gesängen der Berater-Sirenen nicht zu erliegen, sondern Exzellenz in dem Kanal aufzubauen und zu pflegen, von dem man am meisten versteht. Möglicherweise sind Filialisten wie New Yorker und Modepark Röther also doch keine unbelehrbaren Stationär-Nostalgiker, sondern Vorreiter einer anstehenden Monochannel-Renaissance.
Doch im Ernst: Letztlich kommt es darauf an, welche Erwartungen die eigene Zielgruppe hat. Die Möglichkeit, sich online zu informieren und zu bestellen, werden die Kunden zunehmend als selbstverständlich ansehen. Es macht daher in vielen Fällen auch für lokale Player Sinn, diese Option als Service anzubieten. Weniger Sinn dürfte es in den meisten Fällen machen, es mit Amazon & Co aufnehmen zu wollen und teure Platzierungen bei Google oder demnächst Provisionen an ChatGPT zu bezahlen.
Die Herausforderung ist freilich, eine Versandinfrastruktur vorzuhalten, ohne Versandumsätze zu skalieren. Das zusammenzubringen wird in jedem Fall die kaufmännische Abwägung bleiben. Engelhorn hat diese Abwägung für sich neu getroffen.