Passiert large

Der geplatzte Traum vom E‑Commerce

Img
Jür­gen Mül­ler

Es ist vie­le Jah­re her, dass ich zu einem Füh­rungs­kräf­te­mee­ting bei Engel­horn in Mann­heim ein­ge­la­den war. Gefühlt war das kurz nach der Erfin­dung des iPho­nes. Ich soll­te zum The­ma Digi­ta­li­sie­rung spre­chen und wie auf­stre­ben­de Play­er wie Ama­zon den Ein­zel­han­del revo­lu­tio­nie­ren wür­den. Es ging Richard und Fabi­an Engel­horn dar­um, ihre ten­den­zi­ell skep­ti­schen Füh­rungs­kräf­te von den Chan­cen des neu­en Medi­ums zu über­zeu­gen. Am Ende gaben die bei­den ein Bud­get aus und baten ihre Mit­ar­bei­ten­den, online shop­pen zu gehen und das Ein­kaufs­er­leb­nis – heu­te wür­de man von cus­to­mer jour­ney spre­chen – detail­liert zu doku­men­tie­ren. Um dar­aus zu ler­nen.

Zwei, drei Jah­re spä­ter sah ich in der Post­sta­ti­on am Frank­fur­ter Grü­ne­burg­weg jeman­den ein Paket von Engel­horn in Emp­fang neh­men. Und ich dach­te: 'Sie­he da, Engel­horn ist in Frank­furt ange­kom­men.'

Heu­te muss man sagen, dass die E‑Com­mer­ce-Träu­me der Mann­hei­mer geplatzt sind. Das zei­gen die Zah­len, die der Mann­hei­mer Mor­gen und die TW neu­lich berich­tet haben. Engel­horn hat die Brem­se im Online-Ver­trieb ein­ge­legt, sei­ne Goog­le-Spen­dings zurück­ge­fah­ren, sich von den Markt­plät­zen zurück­ge­zo­gen, die zuletzt 30 bis 50 Pro­zent des Online-Geschäfts aus­mach­ten. 23 der gut 25 Mil­lio­nen Euro, die das Unter­neh­men im Geschäfts­jahr 23/24 an Umsatz ver­lo­ren hat, gin­gen auf das Kon­to der Web-Akti­vi­tä­ten. "Wir sind ein Mit­tel­play­er vom Umsatz und von der Leis­tungs­fä­hig­keit her", so Fabi­an Engel­horn gegen­über der TW. "Wir müs­sen daher unse­re Stra­te­gie anpas­sen."

Der Fall bestä­tigt die Skep­ti­ker, intern wie extern. Seit­dem der E‑Commerce sei­nen Sie­ges­zug begann, stellt sich für loka­le Platz­hir­sche die Fra­ge, ob sie in die­sem Geschäft mit­mi­schen sol­len. Abge­se­hen davon, dass es sich um ein völ­lig ande­res Busi­ness han­delt, von dem man nichts ver­steht und das rie­si­ge Invests erfor­dert, ist die Grund­satz­fra­ge: War­um sol­len die Kun­den eine Mar­ke beim Mode­haus X online kau­fen, wenn es das­sel­be Pro­dukt nur einen Klick ent­fernt bei Y und Z oder bei der Mar­ke direkt gibt, und das dazu meis­tens irgend­wo auch noch bil­li­ger?

Die globale Reichweite und totale Preistransparenz des Internets erfordern aus einer Branding-Perspektive eine noch striktere Selektivität als der Stationärvertrieb. Deshalb ist die Digitalisierung auch ein Katalysator der Vertikalisierung.

Die Pan­de­mie hat die Beden­ken­trä­ger dann für eine Wei­le ver­stum­men las­sen. Im Lock­down war das Inter­net über Mona­te der ein­zig funk­tio­nie­ren­de Absatz­ka­nal. Zalan­do hat die Not­la­ge geschickt genutzt und etli­che Sta­tio­nä­re auf sei­nen Markt­platz gelockt. Es ging um Liqui­di­tät, an Pro­fi­ta­bi­li­tät war in die­ser Aus­nah­me­si­tua­ti­on nicht zu den­ken.

Nach Wie­der­eröff­nung der Läden zeig­te sich indes schnell, dass die Markt­plät­ze kein pro­fi­ta­bler Ver­triebs­weg sein wür­den. Zu hoch die Pro­vi­sio­nen. Und wer es wie Breu­nin­ger und Engel­horn auf eige­ne Faust im Inter­net ver­such­te, muss­te fest­stel­len, dass es auch dort Fre­quenz nicht umsonst gibt. So zogen sich vie­le sta­tio­nä­re Play­er wie­der von den Markt­plät­zen zurück bzw. fuh­ren ihre Netz-Akti­vi­tä­ten run­ter. Und die Digi­tal­ver­äch­ter, die es schon immer bes­ser gewusst haben, konn­ten sich bestä­tigt füh­len.

Nicht nur für die loka­len Play­er, son­dern ganz gene­rell darf man bezwei­feln, ob sich mit einem Mul­ti­la­bel-Sor­ti­ment im Inter­net nach­hal­tig Geld ver­die­nen lässt. Die tota­le Preis­trans­pa­renz sorgt dafür, dass es immer einen Anbie­ter gibt, der die glei­chen Pro­duk­te bil­li­ger anbie­tet. Und wenn dann auch noch ein Markt­platz­an­bie­ter wie Ama­zon sei­ne Part­ner unter Preis­druck setzt, wie es das Kar­tell­amt gera­de bemän­gelt hat, wird es voll­ends schwie­rig, pro­fi­ta­bel zu ver­kau­fen.

Auch ein Zalan­do steckt in die­ser struk­tu­rel­len Fal­le. Alex­an­der Grafs Spruch vom 'Kar­stadt ohne Roll­trep­pen' klingt einem da immer noch in den Ohren. Auch aus die­sem Grund müs­sen sich die Ber­li­ner per­spek­ti­visch auf ihre Rol­le als Traf­fic-Gene­ra­tor für den Markt­platz fokus­sie­ren und das Bestands- und Abschrif­ten­ri­si­ko ihren Part­nern über­las­sen. Mit der Über­nah­me von About You ver­grö­ßert Zalan­do sei­ne Markt­macht und damit sei­nen Hebel, die­se Poli­tik gegen­über den Lie­fe­ran­ten auch durch­zu­set­zen.

Im Luxus­seg­ment gilt die­ser Mecha­nis­mus erst recht. Mythe­re­sa tritt mit der YNAP-Über­nah­me auch die Flucht nach vor­ne an. Grö­ße schützt ein Stück weit davor, von den Luxu­ry Brands aus­ge­lis­tet zu wer­den. Denn die­se wer­den das Geschäft im Web am aller­liebs­ten auf eige­ne Rech­nung und unter kon­trol­lier­ten Bedin­gun­gen machen wol­len. War­um soll­te das online anders sein als sta­tio­när? Klas­si­scher Who­le­sa­le über vie­le unkon­trol­lier­ba­re Part­ner erschwert seit jeher ein kon­sis­ten­tes Mar­ke­ting. Das Inter­net mit sei­ner glo­ba­len Reich­wei­te und der tota­len Preis­trans­pa­renz erfor­dert aus einer Bran­ding-Per­spek­ti­ve sogar eine noch strik­te­re Selek­ti­vi­tät. Des­halb ist die Digi­ta­li­sie­rung auch ein Kata­ly­sa­tor der Ver­ti­ka­li­sie­rung.

Möglicherweise sind New Yorker und Modepark Röther also doch keine unbelehrbaren Stationär-Nostalgiker, sondern Vorreiter einer anstehenden Monochannel-Renaissance.

Mit KI-Com­mer­ce rollt zudem bereits die nächs­te Revo­lu­ti­on an. Goog­le und ChatGPT arbei­ten inten­siv an die­sem The­ma. Hier über­neh­men Chat­bots für die Kun­den die Vor­auswahl gemäß deren Prä­fe­ren­zen, die die KI aus dem Netz­ver­hal­ten ablei­tet. Wel­cher Anbie­ter ein Pro­dukt lie­fert, ist dabei zunächst zweit­ran­gig. Wen die KI in die End­aus­wahl nimmt, muss den Zuschlag dann mit einer Pro­vi­si­on ent­gel­ten.

Die­se per­sön­li­chen Shop­pingas­sis­ten­ten las­sen sich durch kei­nen noch so schön gestyl­ten Web­shop oder Mar­ke­ting-Bla­bla blen­den, son­dern grei­fen direkt auf die Pro­dukt­da­ten zu. In die­ser Welt dürf­te der Preis eine noch über­ra­gen­de­re Bedeu­tung bekom­men. Die ziel­grup­pen­ori­en­tier­te Kura­ti­on von Sor­ti­men­ten durch einen Ein­zel­händ­ler wird dage­gen Rele­vanz ver­lie­ren. Die KI kura­tiert das Ange­bot maß­ge­schnei­dert für jeden ein­zel­nen Kon­su­men­ten.

Braucht man als Mul­ti­la­bel-Ein­zel­händ­ler also einen Web­shop?

Wahr­schein­lich ist es in vie­len Fäl­len rat­sam, den Omnich­an­nel-Gesän­gen der Bera­ter-Sire­nen nicht zu erlie­gen, son­dern Exzel­lenz in dem Kanal auf­zu­bau­en und zu pfle­gen, von dem man am meis­ten ver­steht. Mög­li­cher­wei­se sind Filia­lis­ten wie New Yor­ker und Mode­park Röther also doch kei­ne unbe­lehr­ba­ren Sta­tio­när-Nost­al­gi­ker, son­dern Vor­rei­ter einer anste­hen­den Mono­chan­nel-Renais­sance.

Doch im Ernst: Letzt­lich kommt es dar­auf an, wel­che Erwar­tun­gen die eige­ne Ziel­grup­pe hat. Die Mög­lich­keit, sich online zu infor­mie­ren und zu bestel­len, wer­den die Kun­den zuneh­mend als selbst­ver­ständ­lich anse­hen. Es macht daher in vie­len Fäl­len auch für loka­le Play­er Sinn, die­se Opti­on als Ser­vice anzu­bie­ten. Weni­ger Sinn dürf­te es in den meis­ten Fäl­len machen, es mit Ama­zon & Co auf­neh­men zu wol­len und teu­re Plat­zie­run­gen bei Goog­le oder dem­nächst Pro­vi­sio­nen an ChatGPT zu bezah­len.

Die Her­aus­for­de­rung ist frei­lich, eine Ver­sand­in­fra­struk­tur vor­zu­hal­ten, ohne Ver­san­dum­sät­ze zu ska­lie­ren. Das zusam­men­zu­brin­gen wird in jedem Fall die kauf­män­ni­sche Abwä­gung blei­ben. Engel­horn hat die­se Abwä­gung für sich neu getrof­fen.

Schlagworte: