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Corona-Tagebuch: Schwarzer Schwan, explodierende Lebensfreude, neue Normalität

ImgKarfreitag, 10. April. Trotz des strahlenden Wetters vielleicht der passende Tag, sich mit dem Coronavirus Update von McKinseys „State of Fashion 2020“ zu beschäftigen. Die ganze Branche spürt die Krise am eigenen Leib. Aber die Fakten und Prognosen der Berater lösen dann doch noch einmal ein besonderes Martyrium aus: Für 2020 erwartet McKinsey eine Schrumpfung des globalen Modemarktes um 27 bis 30%, für den Luxussektor gar von 35 bis 39%. Wenn der Shutdown zwei Monate anhält, dürften 80% der börsennotierten Modeunternehmen in finanzielle Nöte geraten, so die Berater, es sei in den kommenden 12 bis 18 Monaten mit einer riesigen Pleitewelle zu rechnen. Die Mode sei ganz besonders von der Krise betroffen, was sich auch in den Kursen niederschlage. So sei die durchschnittliche Marktkapitalisierung der Modeunternehmen zwischen Januar und März um über 40% abgestürzt, viel stärker als der Aktienmarkt insgesamt. „Die Pandemie hat sowohl dem Angebot als auch der Nachfrage Schläge versetzt und damit einen perfekten Sturm für die Branche ausgelöst.“ Wer hätte gedacht, dass der vielzitierte Black Swan mal in Gestalt eines Virus aufkreuzen würde.

Im kommenden Jahr, schreibt McKinsey, könnte es wieder bergauf gehen, freilich von einem sehr viel niedrigeren Niveau. Man müsse sich auf eine anhaltende Konsumflaute einstellen. Die Krise sei ein Katalysator für den ohnehin laufenden Strukturwandel der Branche. „Wir gehen davon aus, dass Themen wie die digitale Beschleunigung, Preiswettbewerb, Branchenkonsolidierung und Unternehmensinnovation Vorrang haben werden, sobald die unmittelbare Krise abgeklungen ist.“

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Samstag, 11. April. Kurt Kister erinnert in der SZ daran, dass Jesus in der Osterwoche 2020, kein Abendmahl hätte halten können. Die Gruppe wäre zu groß gewesen. Die unsoziale Vereinzelung sei aber natürlich kein Dauerzustand. Für das magische Datum „nach Ostern“ müsse geplant werden. „Es kann, eine beliebte Formulierung in Düsseldorf und München, zwar um Leben oder Tod gehen. Aber man muss trotzdem über das Leben reden und dafür planen.“

„Nach dem Stillstand besteht die Chance, in Deutschland besser zu wirtschaften als jemals zuvor“, schreibt in derselben Ausgabe Marc Beise, „wenn alle zusammenhalten.“ Es gehe darum, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, das globale Wirtschaftsmodell anzupassen, neue Lieferketten zu etablieren, die atemlose Hektik des Wirtschaftens im Großen wie im Kleinen zu überdenken. „Dinge anzupacken, die nie in voller Fahrt angepackt werden können.“ Wahrscheinlicher ist die Feststellung von Chefredakteur Kister: „Die Welt wird nach Corona nicht grundsätzlich besser werden. Aber vielleicht bleibt vielen doch eines in Erinnerung: Es sind die anderen, die einen zum Menschen machen.“

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Ostersonntag, 12. April. „Das Virus bremst die Freude am Konsum. Das dürfte kaum von Dauer sein“, macht Ralph Bollmann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung uns Mut. „Wenn die Krise viele Menschen ärmer macht, werden Konsumbedürfnisse wichtiger, nicht unwichtiger.“ Auf die Pest sei seinerzeit mit der Renaissance ein wirtschaftlicher und künstlerischer Aufschwung gefolgt. Für die Annahme, die Deutschen seien durch die Konsumquarantäne allzu genügsam geworden, spreche wenig, so Bollmann. „Eher schon ist aus Sicht der Seuchenbekämpfer zu fürchten, dass die Lebensfreude allzu schnell explodiert.“

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Ostermontag, 13. April. Die Leopoldina legt ihre Empfehlungen zur Wiedereröffnung Deutschlands vor. Diese waren so oder so ähnlich zu erwarten, ebenso wie der Streit darüber. Man darf getrost davon ausgehen, dass das Gutachten Bestandteil der Krisenkommunikation der Regierung ist, die die am Mittwoch anstehenden Entscheidungen einleiten und legitimieren soll. Derweil schaut der Einzelhandel auch nach Österreich, wo ab Dienstag schrittweise die Läden wieder geöffnet werden sollen. Wird es gelingen, die Lebensfreude nicht zu schnell explodieren zu lassen?

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Dienstag, 14. April. Adidas beantragt ein Milliarden-Darlehen von der staatseigenen KfW. Nach dem „Mietenskandal“ von neulich birgt so eine Meldung Zündstoff, nach dem Motto: erst die Vermieter prellen, jetzt den Steuerzahler in Anspruch nehmen. Das eine ist so verkürzt wie das andere undifferenziert, das Darlehen ist an Bedingungen geknüpft, und das Ganze hat überdies nicht das Ziel, sich zu bereichern, sondern soll einem erfolgreichen Unternehmen mit fast 60.000 Beschäftigten über eine Durststrecke helfen, Puma und Nike werden ebenso gestützt. Aber das Misstrauen gegenüber Corona-Nachrichten aus dem Hause Adidas hat sich das Unternehmen selbst eingebrockt.

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Mittwoch, 15. April. Jeff Bezos ist wieder der reichste Mensch der Welt. Anders als andere Ehemänner hat er die Scheidung von seiner Frau locker weggesteckt, und das trotz einer Abfindung von 35 Milliarden. Der Amazon-Aktienkurs ist seit Jahresanfang um 24% gestiegen, die Firma ist jetzt über 1,1 Billionen Dollar wert, und auch der Shutdown konnte der Notierung nur kurzzeitig etwas anhaben. Die Wende kam mit der Ankündigung, 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Diesen Montag kündigte Bezos an, zusätzlich weitere 75.000 Mitarbeiter einstellen zu wollen.

Amazon ist mit seinem Alles-unter-einem-Dach-Angebot sicher ein Haupt-Profiteur der Krise. Aber auch die Mode-Onlineanbieter, die wie die Stationären erstmal eins aufs Dach bekommen haben, werden langfristig vom vertrauteren Zugang vieler Menschen zur digitalen Welt profitieren. Wo die Kunden Distanz halten müssen, profitieren die Distanzhändler.

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Donnerstag, 16. April. Das 800 m²-Limit sorgt für Unverständnis und Proteste im Einzelhandel. Die Politik hat gestern die schrittweise Wiedereröffnung der Läden ab dem kommenden Montag erlaubt, zunächst allerdings nur für Stores bis zu 800 m² Verkaufsfläche (und noch nicht in Bayern).

Inhaltlich ist die Quadratmeter-Limitierung in der Tat nicht nachzuvollziehen. Warum sollten die Abstandsregeln in einem kleinen Laden besser einzuhalten sein als auf großen Flächen? Und ist die Ansteckungsgefahr in einer Kirche tatsächlich größer als im ÖPNV? Wenigstens dem Autokauf steht nichts mehr im Wege, da die Autohäuser alle aufmachen dürfen. Die Begrenzung scheint willkürlich, und sie ist es wohl auch. Es geht schlicht darum, die Frequenzen in den Innenstädten niedrig zu halten. Wovon die wiedereröffneten Läden dann auch nicht allzu viel haben werden.

Willkommen in der neuen Normalität.

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