Montag, 20. April. Geisterkonzerte im Netz, Geisterspiele in den Stadien – erleben wir heute in den Läden Geisterhandel? Bleiben die Verkäufer unter sich? Oder werden die einkaufserlebnishungrigen Kunden nach vier Wochen Modeabstinenz die Läden stürmen? Führt die Konsumquarantäne gar zu ‚revenge buying‘ wie das DMI meint, also zur Rache durch Konsum für vorangegangene Entbehrungen? Oder sind die Verbraucher am Ende nicht nur gegen das Virus, sondern auch gegen die materiellen Verlockungen der Konsumgesellschaft immun, wie Li Edelkoort hofft? Möglicherweise sind sie im Shutdown ja auch zu Sofasurfern mutiert, die sich gerade noch zum Netfix-Scrollen aufraffen können. Werden sie sich vor einem Modegeschäft an die Absperrung stellen und dann im Umkleidespiegel mit Maske betrachten wollen?
Das waren so die Fragen vor der Wiedereröffnung der Läden an diesem Montagmorgen. Klare Antworten hat der Geschäftsverlauf heute nicht gegeben. Wie auch, wenn die Fußgängerzonen nur zur Hälfte geöffnet sind und insbesondere die Gastronomie immer noch dicht ist. Auch wenn leider noch nicht alle dabei sein dürfen ('Öffnungsdiskussionsorgien' ist ein Kandidat für das Unwort des Jahres) – das wichtigste Signal ist, dass es langsam aber sicher wieder los geht: „Es war nicht die umsatzstärkste Woche“, heißt es in der TW, „aber die schönste."
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Mittwoch, 22. April. Nicht nur in den Läden türmt sich die Ware. Auch die Altkleidersammlung weiß nicht mehr wohin mit den Klamotten. Im Frühstücksfernsehen interviewt ein Reporter einen Rot Kreuz-Mitarbeiter vor einem gigantischen Berg von prall gefüllten Altkleidersäcken. „Wir können nichts mehr annehmen.“ Die Leute entrümpeln ihr Zuhause. Auch die Wertstoffhöfe verzeichnen Staus. Ist nach Corona wieder Platz in den Kleiderschränken?
Wohl dem jedenfalls, der in Qualitätsware investiert hat. Überfüllte Kleiderschränke seien eine Geldquelle in unsicheren Zeiten, meint Max Bittner, dessen Geldgeber das offensichtlich ebenso sehen und die Resale-Plattform Vestiaire Collective jetzt mit 59 Millionen frischem Kapital ausgestattet haben.
Die Ausmisterei hat sich bis zu Sascha Lobo herumgesprochen. „Die Mischung aus Zuhausebleiben und Aktionsdrang führt bei vielen Menschen zu einer großen Entrümpelungsoffensive“, schreibt er im Spiegel. „Der Geist der Reduktion auf das Wesentliche weht durch die Welt, und, ich glaube, er beginnt nur mit den Gegenständen. In einer postpandemischen Gesellschaft kann dieser Corona-Minimalismus viel mehr verändern als nur die hinteren Ecken der Kleiderschränke und Keller.“
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Während in München das Oktoberfest abgesagt wird, verkündet Anita Tillmann in Berlin das Aus für Premium und Seek im Juli. Am Dienstag war bereits die Neonyt gecancelt worden. Die insolvente Panorama hatte schon mit dem Shutdown im März die Segel gestrichen.
Die Absagen sind keine Überraschung, nachdem die Behörden Großveranstaltungen bis Ende August untersagt haben. Zugleich verdeutlicht die Streichung dieser Fixtermine die irrsinnige Ausnahmesituation in der Branche. Die Pitti Uomo geht von Juni auf September, wenn praktisch alle italienischen Messen stattfinden. Die Showrooms in Düsseldorf öffnen erst am zweiten Augustwochenende. Da sind die Leute normalerweise in Urlaub. Aber was heißt schon ‚normalerweise‘ in der ‚neuen Normalität‘. Unglücklich ist, dass man keinen gemeinsamen Termin mit der Igedo gefunden hat: die Gallery Fashion schlüpft bei der Gallery Shoes unter und rutscht damit auf Ende August.
Das Virus bringt den Messekalender durcheinander. Die große Frage ist, inwieweit es auch den Orderkalender der Branche verändert. Das muss terminlich zueinander passen, damit es Sinn ergibt. Das Geschehen ins Internet zu verlegen, ist kein adäquater Ersatz. Mal ganz abgesehen davon, dass es in jeder Hinsicht die herausforderndste Orderrunde aller Zeiten werden dürfte, werden digitale Tools die Funktion von Messen nicht ersetzen können.
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Apropos digitale Tools: Das Dachmarkenforum am 13. Mai findet nun ebenfalls online statt, via Zoom. Nähere Infos gibt's hier.
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Donnerstag, 23. April. Die Maskenpflicht hat auch ihr Gutes: "Die Gesellschaft kann in dieser Zeit auch mal auf Botox und aufgespritzte Lippen verzichten", so Schönheitschirurg Werner Mang in der Abendzeitung. "Es ist auch mal schön, etwas anderes zu tun."