Was, wenn die Flughäfen am Dienstag nicht bestreikt worden wären? Dann wäre es in Berlin womöglich noch voller gewesen. "20% ON TOP. BAM!" meldete die Panorama für den Auftakt-Tag. Das "Bam!" war wahrscheinlich der Stein, der Jörg Wichmann vom Herzen gerollt ist. Auch wenn die Zahl nicht jeder einzelne Aussteller bestätigen wird können, war statt dem im Vorfeld von manchem herbeigeraunten Totentanz munteres Ringelreihen angesagt. Dass sich im neugestalteten Eingangsbereich am Dienstag – wie man als Händler formulieren würde – die Ärsche rieben, hing eben nicht nur mit den Startschwierigkeiten der Panorama-App zusammen. Und auch auf der Premium war's ordentlich voll. Der Raum, den manch ferngebliebener Aussteller ließ, wurde von den Besuchern spielend gefüllt.
Das erste Thema jeder Messe ist nun mal die Messe. Das war auch dieses Mal nicht anders. Wobei die Diskrepanz zwischen augenscheinlichem Besucherplus und ebenso offensichtlichem Ausstellerminus schon eklatant war. Das dürfte mehr mit der allgemeinen Branchenentwicklung und individuellen Firmenkonjunkturen und ‑strategien zu tun haben als an den Messen selbst liegen. Die Veranstalter machen in Organisation, Auftritt und Service einen guten Job. Panorama und Premium sortierten sich neu, was insbesondere auf dem Messegelände für einen kompakteren und klaren Auftritt sorgte. Und den Hallen am Gleisdreieck taten mehr Gastronomie und erweiterte Ruhezonen sichtbar gut.
Ein starkes Bild gab auch die neue Nachhaltigkeitsmesse NEONYT ab (früher Green Showroom und Ethical Fashion Show). Es half, dass die Ausstellung im Kraftwerk durch Events und ein zugkräftiges Kongressprogramm (zu Nachhaltigkeits- und Technologiethemen) flankiert wurde. In modischer Hinsicht war das Angebot vielfach nicht so richtig sexy. Die große Herausforderung für die Zukunft wird sein, die Forschungs- und Entwicklungsarbeit, die hier von kleinen Labels geleistet wird, aus der Nische zu holen und für den Massenmarkt nutzbar zu machen. Sustainability sollte ein Kernthema und Verkaufsargument für alle Premium- und Panorama-Aussteller sein. Das wird eines Tages auch so kommen.
Neu aufgestellt hat sich auch der Berliner Salon. Mit dem Umzug vom Kronprinzenpalais in die St. Elisabeth-Kirche wurde die Präsentation verändert. Die Brands bekamen keinen eigenen Auftritt mehr, sondern wurden in eine kuratierte Gesamtschau einbezogen. Was schön anzusehen war, den Ausstellern aber nicht durchweg gefiel. Der Berliner Salon bleibt eine gut gemeinte Initiative mit fraglichem Nutzen. Zumindest für diejenigen, um die es dabei angeblich geht.
Die Existenzberechtigung der Berlin Fashion Week liegt in der internationalen Strahlkraft, die der Ort potenziell entfalten kann. Auch wenn die Vertikalisierung voranschreitet und Online-Monopolisten wie Amazon und Zalando den ganzen Ringelpietz nicht brauchen, wird der klassische Wholesale auf lange Sicht ein relevanter Teil des Geschäftes bleiben. Das Ziel muss deswegen sein, Berlin zu einem international für Einkäufer und Brands relevanten Marktplatz bzw. einer Inspirations- und Kommunikations-Plattform für den globalen Modemarkt zu entwickeln. Ein Umzug der Panorama nach Tempelhof wäre in dieser Hinsicht womöglich ein neuer Impuls.
Relevanz ist zuallererst eine Frage des Angebots. Möglicherweise ist es da gar nicht so sinnvoll, etablierten Modemetropolen wie Paris und Mailand nachzueifern, sondern erfolgversprechender, verstärkt auf Felder zu setzen, die diese alten Modestädte links liegen lassen – und da sind Sustainability und Fashiontech innovative Wachstumsfelder, die Berlin glaubwürdig besetzen kann. Auch für Streetwear steht die deutsche Hauptstadt wie kaum eine andere. Zu Zeiten der Bread & Butter war schon mal mehr Internationalität. Zugleich reicht es natürlich nicht, nur auf die Nischen zu zielen. Um relevant zu sein, ist ein kompetentes Angebot an marktrelevanten Kollektionen unabdingbar. Deswegen ist es gut, dass Anbieter wie Riani, Marc Cain und Bogner die Plattform Berlin für Shows und Events nutzen. Wie kann es gelingen, mehr ausländische Marken für solche Aktivitäten zu gewinnen?
Zweitens geht es um eine konzertierte Kommunikation. Und da muss man leider feststellen, dass wir – löblichen Initiativen wie dem Fashion Council Germany zum Trotz – kaum weitergekommen sind. Dass sich mit der German Fashion Designers Federation e.V. in dieser Woche ein neuer Berufsverband gemeldet hat, ist wenig hilfreich. Es gibt schließlich auch noch den Verband Deutscher Modedesigner e.V., von offiziellen Branchenvertretungen wie GermanFashion mal gar nicht zu reden. Mit wem sollen Politik, Wirtschaftsförderung und Medien reden? Zielführend wäre es, die Kräfte zu bündeln. Und (mit einem ordentlichen Budget) für eine schlagkräftige globale Kommunikation zu sorgen.
Davon kann aktuell leider keine Rede sein. Dass der Berliner Kurier die Rückkehr von Kilian Kerner auf den Laufsteg als die Sensation der Fashion Week hochjazzte – geschenkt. In den überregionalen Tageszeitungen war Berlin kein Thema. Und auch das internationale Fashion Business-Leitmedium BoF verlor in dieser Woche kein Wort über die Berlin Fashion Week. Stattdessen ging es dort um so wichtige Themen wie die Markenrechtsstreitereien zwischen Rihanna und ihrem Vater und den bevorstehenden Durchbruch der Designerin Selly Raby Kane aus dem Senegal. Tja. Vielleicht sollte ich auch die Formulierung "internationales Fashion Business-Leitmedium" noch mal überdenken.
Symptomatisch war der Hinweis von Alfons Kaiser auf dem alljährlichen Empfang der FAZ. Dort wurden großartige Modefotos von Helmut Fricke ausgestellt. Von den vielleicht 20 oder 30 Motiven stammte lediglich eines aus Berlin – eine Aufnahme von einer Perret Schaad-Show.
Das Berliner Design-Duo hat im vergangenen Jahr seinen Geschäftsbetrieb eingestellt.
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