Carolin, wir haben eine gemeinsame Vergangenheit. Wir haben beide für die TW gearbeitet. Du bist ein weiterer Beleg dafür, dass es ein Leben danach gibt. Gratulation!
(lacht) Ich wollte immer was in der Modebranche machen. Beim Verlag war ich ja im Marketing gestartet. Ich wollte mehr Produktbezug.
Du hast bei bonprix Karriere gemacht. Die wenigsten sind heute noch wie Du 15 Jahre bei einem Unternehmen. Wäre es nicht wünschenswert, dass mehr Mitarbeitende so ein Durchhaltevermögen an den Tag legen?
Ich habe gerade heute eine Karte unterschrieben für eine Kollegin, die bereits 40 Jahre bei uns im Konzern ist. Wir haben generell eine recht lange Betriebszugehörigkeit und eine hohe Mitarbeiterbindung. Das hängt auch damit zusammen, dass unser Unternehmen sich in der digitalen Transformation beständig wandelt und so auch attraktiv für viele bleibt. Wenn ich sehe, was allein in meiner Zeit an Veränderungen passiert ist…
Hättest Du beim Einstieg gedacht, wo es Dich hinführt?
Das lässt sich nicht planen. Ich kenne meine Stärken, glaube ich, recht gut. Am Ende ist es aber ganz viel Glück. Dass Du an den richtigen Themen arbeiten kannst. Dass Du die richtigen Menschen triffst, die Dich gestalten lassen. Mein Vorgänger Rien Jansen hat mir immer viel Vertrauen geschenkt und mir signalisiert: Mach mal! Dafür bin ich sehr dankbar.
Karriereplanung kann man sich also sparen?
Du kannst natürlich für dich die Dinge angehen, die du gerne machen möchtest. Aber am Ende des Tages ist auch entscheidend, im richtigen Setup unterwegs zu sein und im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein. Ich bin zum Beispiel nach meiner Elternzeit vor fünf Jahren zurückgekommen und habe gleich den nächsten Schritt gewagt und eine Bereichsleitung übernommen. Ich habe mir das zugetraut und mich angeboten. Und auch das Unternehmen hat es mir zugetraut, trotz Kind und Familie. Mein Sohn hat das super mitgemacht. Er ist ein zufriedenes kleines Kind, das hat mich immer bestärkt, dass ich nichts falsch gemacht habe.
"Mir ist wichtig, dass ich KollegInnen darin bestärke, dass Beruf und Familie vereinbar sind. Du musst Dich nicht für das eine oder das andere entscheiden. Es liegt an uns, wie wir damit umgehen."
Inwieweit siehst Du Dich als Role Model?
Ich bin kein Freund davon, anderen zu sagen, wie man es machen sollte. Das muss jeder und jede für sich entscheiden. In einem Punkt bin aber gerne, wenn man es so nennen möchte, Role Model. Mir ist wichtig, dass ich KollegInnen – und ich gendere da ganz bewusst, weil ich das nicht als reines Frauenthema ansehe – darin bestärke, dass Beruf und Familie vereinbar sind. Du musst Dich nicht für das eine oder das andere entscheiden. Es liegt an uns, wie wir damit umgehen.
Seit fünf Monaten bist Du nun Geschäftsführerin für Einkauf, Beschaffung und Corporate Responsibility. Was hat sich geändert in Deiner Rolle – bei Dir und in der Haltung Deines Umfelds zu Dir?
Das würde mich selbst auch interessieren, ob die KollegInnen meinen, Veränderungen zu spüren. Ich kann nur für mich sagen: Wir wirken gut zusammen, da ist Kraft und Power, und das ist gut. Wenn eine Person in ein Team dazu kommt, egal ob Mann oder Frau, dann brechen bisherige Konstellationen und eingeschliffene Muster häufig auf. Das kann Vorteile und auch Nachteile haben. Aber ich finde, wir sind sehr wirksam und entschlussfreudig. Das ist mir auch wichtig. Ich komme ja aus der Operativen. Gerade im Einkauf hast du immer einen starken Zug zum Tor…
In LinkedIn konnte man lustige Kommentare lesen. „Misch die Jungs mal ein bisschen auf“…
Für mich war das Thema Mann oder Frau gar nicht relevant. Ob Geschlecht, Alter oder andere Parameter: Wir sind geprägt durch unsere Erfahrungen und bringen darüber unterschiedliche Perspektiven ein. Das empfinde ich als absolute Bereicherung – auch in unserer Geschäftsführung.
Gerade bist Du bei der Vorstellung des Fashion Reports erstmals öffentlich aufgetreten. Wie war das?
Mir war klar, dass solche Auftritte nun häufiger kommen. Ich glaube, ich kann eine Marke wie bonprix gut vertreten, weil ich als modeinteressierte Frau unsere Marke glaubwürdig für unsere Kernzielgruppe abbilden kann. Das mache ich sehr gerne und für den Fashion Report hat es mir besonders viel Spaß gemacht.
Wozu macht bonprix so eine umfangreiche Marktforschung wie den Fashion Report?
Es ist für uns super-wichtig, unser Ohr nah am Markt zu haben, nicht nur in Deutschland. Wir sind in vielen europäischen Märkten aktiv, deswegen haben wir den Report auch international aufgesetzt und interessante Erkenntnisse gerade im Vergleich gewonnen. Auch die werden wir noch in diesem Jahr veröffentlichen.
Welche Ergebnisse haben Dich überrascht?
Dass die befragten Frauen in Deutschland gar nicht so trendaffin sind, wie wir Modemenschen immer denken. Ihnen ist in erster Linie wichtig, dass Bekleidung zur Persönlichkeit passt. Auch dass sechs von zehn sagen ‚Ich finde nichts Passendes‘ hat mich erstaunt. Der Markt ist überschwemmt mit Ware und die Kundin findet vermeintlich nichts? Für mich auf jeden Fall eine Erkenntnis, bei der es Sinn macht, die vermutlichen Gründe zu beleuchten.
‚Ich finde nichts‘ sagt meine Frau jeden Morgen vor dem Kleiderschrank. Doch im Ernst: Inwieweit fließen die Ergebnisse in Eure Arbeit ein?
Nimm das Thema Nachhaltigkeit. Das ist aus Sicht der Frauen sehr kompliziert und schwer nachzuvollziehen. Da ist es unser klarer Auftrag, das transparent zu machen und gut zu transportieren.
"Nachhaltigkeit ist heute kein Differenzierungskriterium mehr. Die Kundin möchte ein gutes Gewissen beim Einkaufen haben und sich nicht sorgen müssen."
Nur wie?
Wir haben beispielsweise eine Circular Collection gelauncht. Im Herbst kommt die zweite. Da müssen wir verständlich erklären, dass wir die Sachen so entwickelt haben, dass sie recyclingfähig sind man daraus später neue Kleidungsstücke machen kann.
Und das interessiert die Kunden auch tatsächlich? Wollen die sich wirklich mit sowas beschäftigen?
Nachhaltigkeit ist heute tatsächlich kein Differenzierungskriterium mehr. Die Kundin möchte ein gutes Gewissen beim Einkaufen haben und sich nicht sorgen müssen. Dazu gehört, dass sie weiß, dass bei uns alles unter bestmöglichen Bedingungen produziert wurde. Wenn du als Marke nicht so handelst, dann wird es von der Kundschaft abgestraft.
Macht man sich als Value-Anbieter in puncto Nachhaltigkeit nicht was vor? Günstige Preise triggern den Konsum. Je mehr konsumiert wird, desto größer der Resourcenverbrauch. Nachhaltig wäre doch, weniger zu kaufen und die Sachen länger zu tragen.
Natürlich. Deswegen sind die Themen Zirkularität und Langlebigkeit von Produkten für uns auch so wichtig. Es geht darum, Ressourcen zu erhalten. Das ist anspruchsvoll, aber ich bin sicher, dass wir das schaffen, wenn wir alle an einem Strang ziehen.
Wieviel von Eurem 1,7 Milliarden Umsatzvolumen macht die Circular Collection aus?
Wir sind ja gerade erst gestartet und müssen erstmal Erkenntnisse sammeln und lernen. Diese Capsule ist im Übrigen nicht die einzige zirkuläre Lösung. So setzen wir in hohem Maße bereits recyclebares Polyester ein. Schon heute setzen wir bereits über 60 Prozent nachhaltige Fasern für unser gesamtes Textilsortiment ein und fast 100 Prozent der eingesetzten Baumwolle stammt aus nachhaltigeren Quellen. Das sind für mich die Ansätze, wo wir in die Skalierung kommen. Es gibt nicht nur die eine Lösung. Die Branche hat viel zu spät angefangen, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Das gilt auch für das Thema Technologie. Statt beispielsweise Nähroboter zu entwickeln, um Kosten in der Produktion zu sparen, ist man lieber in andere Länder gegangen.
Die Digitalisierung ist das andere große Thema, das Dich beschäftigt?
Ja. Bei der 3D-Produktentwicklung sind wir ziemlich weit. Unser Ziel ist es, bis 2025 voll digital zu arbeiten und so weitgehend ohne Muster auszukommen. Ausnahmen sind beispielsweise Wäsche und Bademoden, da ist es aktuell noch etwas schwieriger. Im Sourcing entwickeln wir ein integriertes Beschaffungssystem. Im Moment zieht die Beschaffung Daten aus unterschiedlichen Systemen. Das muss einfacher werden. Mittels KI können Daten heute viel besser ausgewertet werden. Wir werden unsere Beschaffungssysteme sukzessive auf eine einheitliche Plattform migrieren. Ein weiteres Projekt ist die Nutzung einer Track & Trace-Software, die uns Transparenz über die Transportwege gibt.
Kümmert sich in der Otto Group jede Tochter selbst um solche Themen? Oder sind das Konzern-Projekte?
Wir haben in der Otto Group natürlich sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle. Da müssen wir in vielen Bereichen autark arbeiten können, um schlagkräftig zu bleiben. Aber natürlich hilft der Austausch mit den anderen Töchtern. Bei diesem Knowledge-Transfer lernen alle voneinander.
Gibt es die Lieferkettenprobleme noch?
Das hat sich weitgehend beruhigt und bewegt sich mittlerweile wieder im normalen Rahmen.
Habt Ihr nach den Corona-Turbulenzen größere Veränderungen bei den Beschaffungsmärkten vorgenommen?
Natürlich haben wir uns mit dem Thema Nearshoring beschäftigt. Nicht nur weil wir flexibler sein müssen, sondern auch im Hinblick auf Nachhaltigkeitsfragestellungen. bonprix hat seit jeher einen hohen Türkei-Anteil, wir arbeiten auch punktuell in anderen europäischen Ländern bis hin zu Nordafrika. Grundsätzlich ist es uns wichtig, einen ausgewogenen Sourcing-Mix zu haben und keine Abhängigkeit von starken Märkten wie Bangladesch oder China aufkommen zu lassen.
Wie geht Ihr denn mit den Kostensteigerungen und der Preisentwicklung um? Der Name „bonprix“ markiert ja auch einen Anspruch. Und im Value-Segment sind die Kunden sensibler, als wenn Chanel 100 Euro auf seine Blusen aufschlägt.
Das stimmt schon. Zwischenzeitlich war es eine enorme Herausforderung, die Kostensteigerungen aufzufangen. Wir konnten diese auch nicht einfach zu unseren KundInnen durchreichen. Erfreulicherweise haben sich die Preissteigerungen wieder etwas beruhigt. Die Frachtkosten haben sich normalisiert. Und auch bei den Lieferanten sind die Preissteigerungen nicht mehr so stark zu spüren wie in der Corona-Zeit.
Lass uns nochmal auf den Markt schauen: Wo schaust Du hin, wenn wir über Vorbilder sprechen? Wer macht es Deiner Ansicht nach besonders gut?
Es gibt wahrscheinlich keinen, der immer alles richtig macht. Beachtlich finde ich die Entwicklung und Marketing-Story von Hugo Boss. Und natürlich ist auch eine Brand wie Zara von der modischen Botschaft und der Inszenierung her toll.
Beschäftigt Ihr Euch mit Shein? Was kann man von Shein lernen?
Klar schauen wir immer, was auf dem Markt passiert. Was ich hier interessant finde, ist das datenbasierte Arbeiten in der Produktentwicklung. Technologien dieser Art werden die Marktmechanik nochmal komplett verändern.
"Durch Corona haben wir in kurzer Zeit eine Entwicklung vollzogen, die normalerweise fünf bis zehn Jahre braucht. Es war klar, dass das wieder ein Stück weit zurückgehen musste."
Der Onlinehandel ist nach der historischen Corona-Welle in 2022 erstmal abgesackt. Auch bonprix hat 2022 in Deutschland 8% Umsatz eingebüßt. Müssen die Onliner künftig kleinere Brötchen backen?
Corona hat natürlich einen krassen Shift gebracht. Da haben wir in kurzer Zeit eine Entwicklung vollzogen, die normalerweise fünf bis zehn Jahre braucht. Dass sich die Marktverhältnisse so schnell derartig verschoben haben, ist nicht normal und einer Sondersituation geschuldet. Es war klar, dass das wieder ein Stück weit zurückgehen musste.
Und trotzdem Plus geplant.
Wir haben das ganz gut gemanagt, auch vor dem Hintergrund des Krieges und der daraus resultierenden Energiekrise und der damit verbundenen Konsumzurückhaltung. Aber natürlich bleibt Online und wir sind überzeugt, dass die Konzentration auf diesen Kanal für uns richtig ist. Wir wollen eine voll-digitale Marke sein.
Nun redet alle Welt von Omnichannel. Auch die Otto Group. Ihr habt aber alle Eure Läden geschlossen. Wie geht das zusammen?
Unser klassisches Filialgeschäft hatten wir schon vor mehreren Jahren beendet und dann zwischenzeitlich mit unserem Store in der Hamburger Mönckebergstraße ein Pilotprojekt für ein digital vernetztes Retailkonzept umgesetzt. Dabei haben wir viel gelernt und die Erkenntnisse fließen beispielsweise in die strategische Weiterentwicklung unserer Apps ein. Wir sind aber zu der Überzeugung gelangt, dass für uns und unser Geschäftsmodell die strategische Online-Fokussierung der richtige Weg ist.
Apropos Future. Letzte Frage: Wie siehst Du Deine Zukunft in der Otto Group? Was sind Deine persönlichen Ziele?
Ich habe ja gerade erst in der neuen Rolle angefangen und meine Karriere nicht fertig gemalt. Ich habe derzeit viel mit meinen Themen zu tun und freue mich über diese neue Chance, die bonprix mir gegeben hat. Insofern lebe und arbeite ich gerade sehr gerne im Hier und Jetzt.