Terberger ret

"Wir haben immer versucht, nach vorne zu denken"

100 Jahre Katag: Vorstandschef Daniel Terberger über die Stärken von Familienunternehmen, die aktuelle Insolvenzwelle und die Zukunftsperspektiven der Branche.

KMT, ABZ, Sütex, Hade­ka – die Älte­ren wer­den sich erin­nern – waren alle­samt Ver­bund­grup­pen, die sich in den 90er und 00er Jah­ren vom Markt ver­ab­schie­det haben. Was hat die Katag anders gemacht, dass es sie nach hun­dert Jah­ren noch gibt?

Das ist eine gute Fra­ge. Wir waren immer sehr vor­sich­tig und gleich­zei­tig immer sehr opti­mis­tisch. Vor allen Din­gen haben wir sehr auf die Aus­wahl unse­rer Part­ner geach­tet. Es muss bei­des pas­sen: unter­neh­me­ri­sche Dyna­mik und Boni­tät. Wir haben immer ver­sucht, nach vor­ne zu den­ken. Aber immer mit bei­den Füs­sen auf der Erde und zwei Bar­ren Gold im Kel­ler. Kon­trol­lier­te Offen­si­ve.

Wir haben uns Ende der 90er ken­nen­ge­lernt, als Sie mit dem dama­li­gen Vor­stand Mar­cus Cremer zum Antritts­be­such bei der TW waren. Damals ging es der Katag nicht gut. Sie hat­ten ja davor als Ban­ker gear­bei­tet und sich dann aber doch fürs Fami­li­en­un­ter­neh­men ent­schie­den. Was waren Ihre Moti­ve damals?

Moti­ve gab es nicht. Es gab wohl auch Nai­vi­tät, vor allem aber den Wil­len, als jun­ger Mensch zu gestal­ten. Tra­di­ti­ons­be­wusst­sein und Freu­de am Fami­li­en­un­ter­neh­men spiel­ten sicher auch eine Rol­le. Bei einer objek­ti­ven Ana­ly­se hät­te ich es unter Umstän­den nicht machen dür­fen. Damals hat­ten wir 20 Pro­zent Umsatz ver­lo­ren, da muss­te man schon ein wenig auf­räu­men. Aber wis­sen Sie, wenn man immer nur ana­ly­tisch vor­geht, dann muss man für ganz vie­le Din­ge sagen, das las­sen wir bes­ser. Man braucht Herz­blut, ohne naiv zu sein, und muss auch mal inves­tie­ren, ohne immer nur den schnel­len ROI im Blick zu haben.

Haben Sie den Ein­stieg jemals bereut?

Natür­lich gibt es immer wie­der Momen­te, wo man sich fragt: Musst Du Dir das jetzt wie­der anhö­ren? Gibt es nicht noch Bran­chen mit struk­tu­rel­lem Wachs­tum, wo du am Jah­res­an­fang sagst: So jetzt pla­nen wir mal ordent­lich Plus? In der Mode kannst Du ja froh sein, wenn alles flat läuft. Aber das hat mich nie wirk­lich ernst­haft von die­ser Bran­che abge­hal­ten.

Sie haben in Har­vard über Kon­flik­te in Fami­li­en­un­ter­neh­men pro­mo­viert. Konn­ten Sie in der Pra­xis noch dazu­ler­nen?

Ich kann nicht sagen, dass mich nichts mehr in Fami­li­en­un­ter­neh­men über­rascht hät­te. Zugleich war dies stets eine Kon­stan­te in mei­nem Berufs­le­ben: Alles ändert sich – die Mode, der Markt. Aber die Struk­tu­ren von Fami­li­en­be­trie­ben – ihre Kraft­fel­der, ihre Untie­fen – blei­ben die­sel­ben. 90 Pro­zent unse­rer Part­ner sind Fami­li­en­un­ter­neh­men. Deren Dyna­mi­ken wir­ken sich in jedem ein­zel­nen Fall mehr oder weni­ger inten­siv auf das Geschäft aus: die Gene­ra­ti­ons­fol­ge, die Väter-Kin­der-Kon­flik­te, die Geschwis­ter­kon­flik­te, die Schei­dung des Soh­nes von der Schwie­ger­toch­ter, Erb­fra­gen, Eitel­kei­ten, Ver­mö­gens­fra­gen und so wei­ter. Kei­nes die­ser The­men ist mir fremd, das hat mir sehr gehol­fen.

In den 20 Jah­ren hat sich die Bran­che mas­siv gewan­delt. Was waren aus Ihrer Sicht die wesent­li­chen Ent­wick­lun­gen und Ver­än­de­run­gen?

Das Wett­be­werbs­um­feld ist heu­te mit Zara und Zalan­do defi­ni­tiv ein ande­res als damals. Da waren die „Geg­ner“ Kar­stadt und Marks & Spen­cer. Who­le­sa­le als Geschäfts­mo­dell ist noch stär­ker bedroht. Aus Ver­brau­cher­sicht muss man sich schon fra­gen, wo der Mehr­wert eines Mul­ti­la­bel-Fach­ge­schäfts gegen­über dem Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis eines Zara oder dem Ser­vice eines Ama­zon ist, der die Ware an jede Haus­tür bringt. Wett­be­werb gab es immer, aber das Aus­maß der Kon­kur­renz ist heu­te schon ein ande­res. Ins­be­son­de­re die not­wen­di­gen Inves­ti­tio­nen in Tech­no­lo­gie sind für Mit­tel­ständ­ler eine Her­aus­for­de­rung. Die­se Invests musst du auf ein mög­lichst gro­ßes Umsatz­vo­lu­men ver­tei­len, damit das ren­ta­bel wird. Das macht es schon anspruchs­voll.

"Die Schutzschirmverfahren tun uns allen nicht gut, auch was die Wirkung auf die öffentliche Meinung angeht. Nach dem Motto: Gestern kriegen sie Hilfen, und dann fahren sie ihr Ding vor die Wand und kippen uns die Lasten vor die Tür. Schwierig."

Las­sen Sie uns über die aktu­el­le Situa­ti­on spre­chen: Was haben Sie gedacht, als Sie von der Plan­in­sol­venz von P&C West gehört haben?

‚Ach Du Scheis­se‘ habe ich gedacht. Für mich ist damit schon so etwas wie eine letz­te Sicher­heit gefal­len. Dass Gale­ria und ande­re kip­pen könn­ten, das war abseh­bar. Aber P&C kam für mich auch über­ra­schend. Das hat mich erneut in mei­ner Grund­hal­tung bestä­tigt, erst­mal vor­sich­tig zu sein, nach dem Mot­to ‚Only the para­no­id sur­vi­ve‘. Es kann eben über­all und jedem pas­sie­ren. Egal ob durch Pech, Fehl­spe­ku­la­ti­on, bösem Wil­len oder Unfä­hig­keit.

Frü­her hat man Restruk­tu­rie­run­gen anders gehand­habt.

Die Neu­re­ge­lung des Insol­venz­rechts war vom Gesetz­ge­ber sicher­lich gut gemeint. Wenn Unter­neh­mer die Mög­lich­kei­ten anders nut­zen als das von der Poli­tik inten­diert war, kann man es ihnen erst­mal nicht vor­wer­fen. Ich kann mir schon vor­stel­len, dass der Gesetz­ge­ber dem­nächst Kor­rek­tu­ren vor­nimmt. Es tut uns allen letzt­lich nicht gut, was da pas­siert. Im Hin­blick auf Kapi­tal­ge­ber und Mit­ar­bei­ter, und auch was die Wir­kung auf die öffent­li­che Mei­nung angeht. Nach dem Mot­to: Ges­tern krie­gen sie Hil­fen, und dann fah­ren sie ihr Ding vor die Wand, kip­pen uns die Las­ten vor die Tür und machen wei­ter. Schwie­rig.

P&C ist nicht der Ein­zi­ge unter dem Schutz­schirm. Neh­men Sie Gale­ria dazu und Klin­gel, in der Indus­trie Ahlers und Ger­ry Weber, im Schuh­han­del Görtz, Reno, Sala­man­der: Muss einem da auch als Markt­teil­neh­mer nicht angst und ban­ge wer­den?

Objek­tiv kann einem angst und ban­ge wer­den. Aber wenn man den Job lan­ge macht, hat man gelernt, mit so einer Situa­ti­on umzu­ge­hen. Man muss vor­sich­tig blei­ben, sich absi­chern und vor allem auf Part­ner set­zen, bei denen die Wahr­schein­lich­keit hoch ist, dass sie in fünf Jah­ren noch da sind. Es lohnt meist nicht, als Händ­ler, als Lie­fe­rant, als Ver­bund in eine Bezie­hung zu inves­tie­ren, die nach zwei Jah­ren vom Amts­ge­richt ver­wal­tet wird.

"Die Schlussabrechnung bei den Überbrückungshilfen kommt in vielen Fällen erst noch. Da wird es sicher noch die eine oder andere Überraschung geben."

Sie haben ja guten Ein­blick in die Bilan­zen der loka­len Platz­hir­sche. Wie sieht es dort aus?

Da könn­te ich pro­vo­kant sagen: Die Bilan­zen sind gar nicht so wich­tig, wie sie von man­chen genom­men wer­den. Das unter­schei­det unse­re Per­spek­ti­ve von der eines Ban­kers. Aber um eine kla­re Ant­wort zu geben: Die Bilan­zen sehen bes­ser aus, als wir es uns vor drei Jah­ren vor­stel­len hät­ten kön­nen. Aber wenn sie über das ope­ra­ti­ve Geschäft oder die GuV reden, dann sieht die Welt häu­fig anders aus. Für die Zukunft ist die ope­ra­ti­ve Per­for­mance ent­schei­dend.

Und da lie­gen Din­ge im Argen?

Man­cher­orts schon. Inwie­weit zum Bei­spiel die Über­brü­ckungs­hil­fen den Unter­neh­men erhal­ten blei­ben, das müs­sen wir erst­mal abwar­ten. Die Schluss­ab­rech­nung kommt in vie­len Fäl­len erst noch, und da wird es sicher noch die eine oder ande­re Über­ra­schung geben. Die Fra­ge ist, ob man das Staats­geld genom­men und ansons­ten dar­auf gewar­tet hat, dass die Ver­gan­gen­heit wie­der­kommt. Oder ob man die Situa­ti­on genutzt hat, sein Unter­neh­men bes­ser auf­zu­stel­len.

Trotz­dem zeig­ten sich vie­le loka­le Mit­tel­ständ­ler in der Kri­se erstaun­lich resi­li­ent.

Das stimmt. Die klei­nen und mitt­le­ren Fami­li­en­un­ter­neh­men sind grund­sätz­lich anpas­sungs­fä­hi­ger und schnel­ler als die gro­ßen Ein­hei­ten. Die Katag-Häu­ser sind an ihren Stand­or­ten ver­an­kert und kön­nen mit Kun­den­nä­he punk­ten. Die sind da, wo die Kon­zer­ne und gro­ßen Onli­ner erst hin­wol­len. Herr Hees in Bern­kas­tel kennt sei­ne Kun­den genau und weiß, was sie wol­len. Die­se Stär­ke sol­cher Fami­li­en­un­ter­neh­men hat sich in den letz­ten drei Jah­ren in her­aus­ra­gen­der Wei­se gezeigt.

Die gro­ßen Kri­sen­ge­win­ner aus dem Inter­net schwä­cheln dafür jetzt. Grund zur Scha­den­freu­de?

Scha­den­freu­de natür­lich nicht. Das war ja nun eher eine rhe­to­ri­sche Fra­ge. Aber dass die Onli­ner mal eine Atem­pau­se ein­le­gen, nach­dem sie über Jah­re Markt­an­tei­le gewon­nen haben, das tut gut. Gleich­zei­tig wäre jede Art von Selbst­zu­frie­den­heit schlicht­weg Dumm­heit. Die struk­tu­rel­le Ver­schie­bung hin zu Online und Omnich­an­nel wird wei­ter­ge­hen, wenn auch radi­kal ver­lang­samt.

War­um ver­lang­samt? Weil der Markt aus­ge­schöpft ist? Weil Wachs­tums­ka­pi­tal nicht mehr so ver­füg­bar ist?

Bei­des. Fast jeder Kon­su­ment kauft heu­te online. Das heißt aus Anbie­ter­sicht: Es gibt wenig Neu­kun­den. Auf der ande­ren Sei­te schau­en die Kapi­tal­ge­ber viel genau­er hin, mit wem sie Geld ver­die­nen kön­nen. Was nicht funk­tio­niert wird radi­kal abge­schnit­ten. Neh­men sie als Bei­spiel Otto und Mytoys. Vor kur­zem hät­te der Kon­zern die­ses Toch­ter­un­ter­neh­men wei­ter unter­stützt. Jetzt wer­den ein paar hun­dert Mil­lio­nen Umsatz ein­fach aus dem Markt genom­men bzw. neu ver­teilt. Das führt auch dazu, dass die ande­ren Markt­teil­neh­mer – auch die Sta­tio­nä­ren – pro­fi­tie­ren.

Was sind aus Ihrer Sicht die Ent­wick­lun­gen, auf die wir uns künf­tig ein­stel­len müs­sen?

Das sind grund­le­gen­de The­men wie: Wie hal­te ich mei­nen Stand­ort und mein Geschäft so span­nend, dass die Kun­den wei­ter zu mir kom­men? Wie gestal­te ich das Ver­hält­nis von Sta­tio­när und Online? Wie hal­te ich es mit dem Platt­form­ge­schäft? Das gilt es viel­fach neu aus­zu­ta­rie­ren. Wel­che neu­en Zah­lungs­sys­te­me gibt es? Ich glau­be fest dar­an, dass in fünf Jah­ren Store Check­out-Sys­te­me à la Ama­zon Go zum Stan­dard gehö­ren wer­den. Wie posi­tio­nie­ren wir uns gegen­über gro­ßen Mar­ken­an­bie­tern? Wir brau­chen star­ke Mar­ken, aber die nei­gen dazu, immer mehr Wert­schöp­fung selbst zu bean­spru­chen. Man sieht’s im Sport, man sieht’s im Luxus, das kommt auch im Main­stream immer mehr. Wie bleibt man attrak­tiv für den Nach­wuchs und qua­li­fi­zier­te Mit­ar­bei­ter? Die Ener­gie­wen­de wirft Fra­gen auf, Mobi­li­tät ist gera­de in länd­li­chen Regio­nen auch ein The­ma des loka­len Han­dels. Und natür­lich bleibt Sus­taina­bi­li­ty auf der Agen­da.

"Die Gefahr, das Übermorgen zu verpassen, weil man gestern was versäumt hat, ist aus meiner Sicht im Fachhandel sehr gering. Die Gefahr ist eher, das Heute zu verpassen, weil ich mich zu sehr mit dem Übermorgen beschäftige."

Vie­le Impul­se kom­men aus der tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lung. Ver­gan­ge­nes Jahr spra­chen alle über das Meta­ver­se. Heu­te geht es um KI. Inwie­weit müs­sen sich die Katag-Part­ner mit sol­chen The­men beschäf­ti­gen?

So span­nend ist das heu­te noch nicht. Ich rate unse­ren Part­nern dazu, die letz­ten 100.000 Euro für Inves­ti­tio­nen lie­ber aufs Kon­to für schlech­te Zei­ten zu legen als das Geld ins Meta­ver­se zu pum­pen. Der gute Unter­neh­mer hat sol­che Ent­wick­lun­gen im Blick, weiß aber zu prio­ri­sie­ren. Gera­de für mit­tel­stän­di­sche Fach­händ­ler ist die ers­te Prio­ri­tät immer das Hier und Jetzt: bei den Kun­den, beim Sor­ti­ment, bei den Mit­ar­bei­tern. Die Gefahr, das Über­mor­gen zu ver­pas­sen, weil man ges­tern was ver­säumt hat, ist aus mei­ner Sicht im Fach­han­del sehr gering. Die Gefahr ist eher, das Heu­te zu ver­pas­sen, weil ich mich zu sehr mit dem Über­mor­gen beschäf­ti­ge. Da wird man das Über­mor­gen womög­lich gar nicht mehr erle­ben.

Sie spra­chen eben vom zuneh­men­den Direkt­ver­trieb und D2C-Trend. Wür­den Sie als Start-up-Unter­neh­mer heu­te noch ein Mul­ti­la­bel-Busi­ness star­ten?

Das Bemer­kens­wer­te an unse­rer Bran­che ist doch, dass es immer wie­der zu Neu­grün­dun­gen kommt. Neue Läden, neue Mar­ken, neue Kon­zep­te. Jedes Jahr ver­schwin­den Hun­der­te die­ser Start-ups. Aber zwei, drei star­ten durch. Das sind unab­hän­gig vom Geschäfts­mo­dell die­je­ni­gen, die aus Kun­den­sicht irgend­et­was bes­ser machen als die ande­ren. Es reicht dabei nicht, den bes­se­ren Algo­rith­mus zu haben oder den bes­se­ren Geschmack. Da muss sehr viel mehr zusam­men­kom­men. Alle haben Chan­cen, aber es bleibt extrem tough.

Wel­che Chan­ce sehen Sie für ein Geschäfts­mo­dell wie das der Katag in Zukunft?

Der Mode­markt ist gigan­tisch groß. An der Schnitt­stel­le zwi­schen Mar­ken­welt und Retail, sei es online oder sta­tio­när, ist und bleibt eine Men­ge Platz. Wir müs­sen es nur ordent­lich machen und stän­dig über­prü­fen, ob unse­re Leis­tun­gen noch gefragt sind oder ob wir neue Leis­tun­gen anbie­ten soll­ten.

Wor­an den­ken Sie da?

Da ent­wi­ckelt sich immer wie­der Neu­es. Neh­men Sie unse­re Nach­hal­tig­keits­da­ten­bank. Auch unse­re Ser­vices im Logis­tik­be­reich haben enorm an Bedeu­tung gewon­nen. Oder neh­men Sie den Katag-Mar­ken­tag. Vor fünf Jah­ren gab es das noch nicht.

Wür­den Sie Ihren Kin­dern emp­feh­len, eines Tages in Ihre Fuss­stap­fen zu tre­ten?

Das ist noch etwas früh. Mei­ne Toch­ter geht noch zur Schu­le. Mein Sohn macht gera­de Abitur und beginnt dann sein Stu­di­um in St. Gal­len. Aber war­um nicht?

Ich fra­ge Sie jetzt nicht, ob es die Katag auch in 100 Jah­ren noch gibt.

Gehen Sie ruhig davon aus. Wir arbei­ten dran.

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