KMT, ABZ, Sütex, Hadeka – die Älteren werden sich erinnern – waren allesamt Verbundgruppen, die sich in den 90er und 00er Jahren vom Markt verabschiedet haben. Was hat die Katag anders gemacht, dass es sie nach hundert Jahren noch gibt?
Das ist eine gute Frage. Wir waren immer sehr vorsichtig und gleichzeitig immer sehr optimistisch. Vor allen Dingen haben wir sehr auf die Auswahl unserer Partner geachtet. Es muss beides passen: unternehmerische Dynamik und Bonität. Wir haben immer versucht, nach vorne zu denken. Aber immer mit beiden Füssen auf der Erde und zwei Barren Gold im Keller. Kontrollierte Offensive.
Wir haben uns Ende der 90er kennengelernt, als Sie mit dem damaligen Vorstand Marcus Cremer zum Antrittsbesuch bei der TW waren. Damals ging es der Katag nicht gut. Sie hatten ja davor als Banker gearbeitet und sich dann aber doch fürs Familienunternehmen entschieden. Was waren Ihre Motive damals?
Motive gab es nicht. Es gab wohl auch Naivität, vor allem aber den Willen, als junger Mensch zu gestalten. Traditionsbewusstsein und Freude am Familienunternehmen spielten sicher auch eine Rolle. Bei einer objektiven Analyse hätte ich es unter Umständen nicht machen dürfen. Damals hatten wir 20 Prozent Umsatz verloren, da musste man schon ein wenig aufräumen. Aber wissen Sie, wenn man immer nur analytisch vorgeht, dann muss man für ganz viele Dinge sagen, das lassen wir besser. Man braucht Herzblut, ohne naiv zu sein, und muss auch mal investieren, ohne immer nur den schnellen ROI im Blick zu haben.
Haben Sie den Einstieg jemals bereut?
Natürlich gibt es immer wieder Momente, wo man sich fragt: Musst Du Dir das jetzt wieder anhören? Gibt es nicht noch Branchen mit strukturellem Wachstum, wo du am Jahresanfang sagst: So jetzt planen wir mal ordentlich Plus? In der Mode kannst Du ja froh sein, wenn alles flat läuft. Aber das hat mich nie wirklich ernsthaft von dieser Branche abgehalten.
Sie haben in Harvard über Konflikte in Familienunternehmen promoviert. Konnten Sie in der Praxis noch dazulernen?
Ich kann nicht sagen, dass mich nichts mehr in Familienunternehmen überrascht hätte. Zugleich war dies stets eine Konstante in meinem Berufsleben: Alles ändert sich – die Mode, der Markt. Aber die Strukturen von Familienbetrieben – ihre Kraftfelder, ihre Untiefen – bleiben dieselben. 90 Prozent unserer Partner sind Familienunternehmen. Deren Dynamiken wirken sich in jedem einzelnen Fall mehr oder weniger intensiv auf das Geschäft aus: die Generationsfolge, die Väter-Kinder-Konflikte, die Geschwisterkonflikte, die Scheidung des Sohnes von der Schwiegertochter, Erbfragen, Eitelkeiten, Vermögensfragen und so weiter. Keines dieser Themen ist mir fremd, das hat mir sehr geholfen.
In den 20 Jahren hat sich die Branche massiv gewandelt. Was waren aus Ihrer Sicht die wesentlichen Entwicklungen und Veränderungen?
Das Wettbewerbsumfeld ist heute mit Zara und Zalando definitiv ein anderes als damals. Da waren die „Gegner“ Karstadt und Marks & Spencer. Wholesale als Geschäftsmodell ist noch stärker bedroht. Aus Verbrauchersicht muss man sich schon fragen, wo der Mehrwert eines Multilabel-Fachgeschäfts gegenüber dem Preis-Leistungs-Verhältnis eines Zara oder dem Service eines Amazon ist, der die Ware an jede Haustür bringt. Wettbewerb gab es immer, aber das Ausmaß der Konkurrenz ist heute schon ein anderes. Insbesondere die notwendigen Investitionen in Technologie sind für Mittelständler eine Herausforderung. Diese Invests musst du auf ein möglichst großes Umsatzvolumen verteilen, damit das rentabel wird. Das macht es schon anspruchsvoll.
"Die Schutzschirmverfahren tun uns allen nicht gut, auch was die Wirkung auf die öffentliche Meinung angeht. Nach dem Motto: Gestern kriegen sie Hilfen, und dann fahren sie ihr Ding vor die Wand und kippen uns die Lasten vor die Tür. Schwierig."
Lassen Sie uns über die aktuelle Situation sprechen: Was haben Sie gedacht, als Sie von der Planinsolvenz von P&C West gehört haben?
‚Ach Du Scheisse‘ habe ich gedacht. Für mich ist damit schon so etwas wie eine letzte Sicherheit gefallen. Dass Galeria und andere kippen könnten, das war absehbar. Aber P&C kam für mich auch überraschend. Das hat mich erneut in meiner Grundhaltung bestätigt, erstmal vorsichtig zu sein, nach dem Motto ‚Only the paranoid survive‘. Es kann eben überall und jedem passieren. Egal ob durch Pech, Fehlspekulation, bösem Willen oder Unfähigkeit.
Früher hat man Restrukturierungen anders gehandhabt.
Die Neuregelung des Insolvenzrechts war vom Gesetzgeber sicherlich gut gemeint. Wenn Unternehmer die Möglichkeiten anders nutzen als das von der Politik intendiert war, kann man es ihnen erstmal nicht vorwerfen. Ich kann mir schon vorstellen, dass der Gesetzgeber demnächst Korrekturen vornimmt. Es tut uns allen letztlich nicht gut, was da passiert. Im Hinblick auf Kapitalgeber und Mitarbeiter, und auch was die Wirkung auf die öffentliche Meinung angeht. Nach dem Motto: Gestern kriegen sie Hilfen, und dann fahren sie ihr Ding vor die Wand, kippen uns die Lasten vor die Tür und machen weiter. Schwierig.
P&C ist nicht der Einzige unter dem Schutzschirm. Nehmen Sie Galeria dazu und Klingel, in der Industrie Ahlers und Gerry Weber, im Schuhhandel Görtz, Reno, Salamander: Muss einem da auch als Marktteilnehmer nicht angst und bange werden?
Objektiv kann einem angst und bange werden. Aber wenn man den Job lange macht, hat man gelernt, mit so einer Situation umzugehen. Man muss vorsichtig bleiben, sich absichern und vor allem auf Partner setzen, bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie in fünf Jahren noch da sind. Es lohnt meist nicht, als Händler, als Lieferant, als Verbund in eine Beziehung zu investieren, die nach zwei Jahren vom Amtsgericht verwaltet wird.
"Die Schlussabrechnung bei den Überbrückungshilfen kommt in vielen Fällen erst noch. Da wird es sicher noch die eine oder andere Überraschung geben."
Sie haben ja guten Einblick in die Bilanzen der lokalen Platzhirsche. Wie sieht es dort aus?
Da könnte ich provokant sagen: Die Bilanzen sind gar nicht so wichtig, wie sie von manchen genommen werden. Das unterscheidet unsere Perspektive von der eines Bankers. Aber um eine klare Antwort zu geben: Die Bilanzen sehen besser aus, als wir es uns vor drei Jahren vorstellen hätten können. Aber wenn sie über das operative Geschäft oder die GuV reden, dann sieht die Welt häufig anders aus. Für die Zukunft ist die operative Performance entscheidend.
Und da liegen Dinge im Argen?
Mancherorts schon. Inwieweit zum Beispiel die Überbrückungshilfen den Unternehmen erhalten bleiben, das müssen wir erstmal abwarten. Die Schlussabrechnung kommt in vielen Fällen erst noch, und da wird es sicher noch die eine oder andere Überraschung geben. Die Frage ist, ob man das Staatsgeld genommen und ansonsten darauf gewartet hat, dass die Vergangenheit wiederkommt. Oder ob man die Situation genutzt hat, sein Unternehmen besser aufzustellen.
Trotzdem zeigten sich viele lokale Mittelständler in der Krise erstaunlich resilient.
Das stimmt. Die kleinen und mittleren Familienunternehmen sind grundsätzlich anpassungsfähiger und schneller als die großen Einheiten. Die Katag-Häuser sind an ihren Standorten verankert und können mit Kundennähe punkten. Die sind da, wo die Konzerne und großen Onliner erst hinwollen. Herr Hees in Bernkastel kennt seine Kunden genau und weiß, was sie wollen. Diese Stärke solcher Familienunternehmen hat sich in den letzten drei Jahren in herausragender Weise gezeigt.
Die großen Krisengewinner aus dem Internet schwächeln dafür jetzt. Grund zur Schadenfreude?
Schadenfreude natürlich nicht. Das war ja nun eher eine rhetorische Frage. Aber dass die Onliner mal eine Atempause einlegen, nachdem sie über Jahre Marktanteile gewonnen haben, das tut gut. Gleichzeitig wäre jede Art von Selbstzufriedenheit schlichtweg Dummheit. Die strukturelle Verschiebung hin zu Online und Omnichannel wird weitergehen, wenn auch radikal verlangsamt.
Warum verlangsamt? Weil der Markt ausgeschöpft ist? Weil Wachstumskapital nicht mehr so verfügbar ist?
Beides. Fast jeder Konsument kauft heute online. Das heißt aus Anbietersicht: Es gibt wenig Neukunden. Auf der anderen Seite schauen die Kapitalgeber viel genauer hin, mit wem sie Geld verdienen können. Was nicht funktioniert wird radikal abgeschnitten. Nehmen sie als Beispiel Otto und Mytoys. Vor kurzem hätte der Konzern dieses Tochterunternehmen weiter unterstützt. Jetzt werden ein paar hundert Millionen Umsatz einfach aus dem Markt genommen bzw. neu verteilt. Das führt auch dazu, dass die anderen Marktteilnehmer – auch die Stationären – profitieren.
Was sind aus Ihrer Sicht die Entwicklungen, auf die wir uns künftig einstellen müssen?
Das sind grundlegende Themen wie: Wie halte ich meinen Standort und mein Geschäft so spannend, dass die Kunden weiter zu mir kommen? Wie gestalte ich das Verhältnis von Stationär und Online? Wie halte ich es mit dem Plattformgeschäft? Das gilt es vielfach neu auszutarieren. Welche neuen Zahlungssysteme gibt es? Ich glaube fest daran, dass in fünf Jahren Store Checkout-Systeme à la Amazon Go zum Standard gehören werden. Wie positionieren wir uns gegenüber großen Markenanbietern? Wir brauchen starke Marken, aber die neigen dazu, immer mehr Wertschöpfung selbst zu beanspruchen. Man sieht’s im Sport, man sieht’s im Luxus, das kommt auch im Mainstream immer mehr. Wie bleibt man attraktiv für den Nachwuchs und qualifizierte Mitarbeiter? Die Energiewende wirft Fragen auf, Mobilität ist gerade in ländlichen Regionen auch ein Thema des lokalen Handels. Und natürlich bleibt Sustainability auf der Agenda.
"Die Gefahr, das Übermorgen zu verpassen, weil man gestern was versäumt hat, ist aus meiner Sicht im Fachhandel sehr gering. Die Gefahr ist eher, das Heute zu verpassen, weil ich mich zu sehr mit dem Übermorgen beschäftige."
Viele Impulse kommen aus der technologischen Entwicklung. Vergangenes Jahr sprachen alle über das Metaverse. Heute geht es um KI. Inwieweit müssen sich die Katag-Partner mit solchen Themen beschäftigen?
So spannend ist das heute noch nicht. Ich rate unseren Partnern dazu, die letzten 100.000 Euro für Investitionen lieber aufs Konto für schlechte Zeiten zu legen als das Geld ins Metaverse zu pumpen. Der gute Unternehmer hat solche Entwicklungen im Blick, weiß aber zu priorisieren. Gerade für mittelständische Fachhändler ist die erste Priorität immer das Hier und Jetzt: bei den Kunden, beim Sortiment, bei den Mitarbeitern. Die Gefahr, das Übermorgen zu verpassen, weil man gestern was versäumt hat, ist aus meiner Sicht im Fachhandel sehr gering. Die Gefahr ist eher, das Heute zu verpassen, weil ich mich zu sehr mit dem Übermorgen beschäftige. Da wird man das Übermorgen womöglich gar nicht mehr erleben.
Sie sprachen eben vom zunehmenden Direktvertrieb und D2C-Trend. Würden Sie als Start-up-Unternehmer heute noch ein Multilabel-Business starten?
Das Bemerkenswerte an unserer Branche ist doch, dass es immer wieder zu Neugründungen kommt. Neue Läden, neue Marken, neue Konzepte. Jedes Jahr verschwinden Hunderte dieser Start-ups. Aber zwei, drei starten durch. Das sind unabhängig vom Geschäftsmodell diejenigen, die aus Kundensicht irgendetwas besser machen als die anderen. Es reicht dabei nicht, den besseren Algorithmus zu haben oder den besseren Geschmack. Da muss sehr viel mehr zusammenkommen. Alle haben Chancen, aber es bleibt extrem tough.
Welche Chance sehen Sie für ein Geschäftsmodell wie das der Katag in Zukunft?
Der Modemarkt ist gigantisch groß. An der Schnittstelle zwischen Markenwelt und Retail, sei es online oder stationär, ist und bleibt eine Menge Platz. Wir müssen es nur ordentlich machen und ständig überprüfen, ob unsere Leistungen noch gefragt sind oder ob wir neue Leistungen anbieten sollten.
Woran denken Sie da?
Da entwickelt sich immer wieder Neues. Nehmen Sie unsere Nachhaltigkeitsdatenbank. Auch unsere Services im Logistikbereich haben enorm an Bedeutung gewonnen. Oder nehmen Sie den Katag-Markentag. Vor fünf Jahren gab es das noch nicht.
Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, eines Tages in Ihre Fussstapfen zu treten?
Das ist noch etwas früh. Meine Tochter geht noch zur Schule. Mein Sohn macht gerade Abitur und beginnt dann sein Studium in St. Gallen. Aber warum nicht?
Ich frage Sie jetzt nicht, ob es die Katag auch in 100 Jahren noch gibt.
Gehen Sie ruhig davon aus. Wir arbeiten dran.