Als Generation Z bezeichnet man bekanntlich alle, die nach 1995 geboren wurden. Und die sind folglich inzwischen zum Teil bereits 28 Jahre alt. Insofern kommt ihr Eintritt in die Berufstätigkeit nicht besonders überraschend. An vielen Stellen kommt er aber besonders abrupt. Denn in zahlreichen Modeunternehmen lässt sich derzeit beobachten, dass man bei der Neubesetzung von freigewordenen Schlüsselpositionen – insbesondere im Design und in den Medien – mit einem Schlag gleich drei Generationen weiter springt. Das heißt: Wenn ein Boomer in den Ruhestand geht, rückt nicht etwa ein Anwärter aus der Generationen X und Y nach. Vielmehr werden diese beiden Generationen in der Thronfolge übergangen, und der verantwortungsvolle Posten geht direkt an einen Gen-Z-ler. Ermutigt werden Unternehmen zu solch unkonventionellen Personalentscheidungen sicher auch durch Vorbildfiguren wie Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Billie Eilish oder Lorde, die der Welt gezeigt haben, dass man auch ohne reifes Alter reife Leistungen abliefern kann.
Entscheidender ist aber wohl, dass die meisten Arbeitgeber in der Mode gerade spüren, dass ihr Unternehmen den Anschluss an die sich exponentiell beschleunigende Digitalisierung verliert, weil die – überwiegend aus Digital Immigrants bestehende – Belegschaft den wachsenden digitalen Reformstau nicht beherzt genug angeht. Um sicher zu gehen, dass die digitale Transformation ihres Unternehmens in Zukunft schneller vorangeht, stellen sie daher immer dann, wenn mal wieder ein Mitarbeiter in Ruhestand geht, der sich seine E‑Mails noch von der Assistentin ausdrucken ließ, als Nachfolger lieber gleich einen Digital Native ein.
Das hat natürlich auch seinen Preis. Denn selbstverständlich kommt nicht nur zusätzliche digitale Kompetenz und Effizienz ins Unternehmen, wenn man alte Hasen gleich reihenweise durch Berufseinsteiger ersetzt. Es geht auch sehr viel Wissen und Knowhow verloren. Wenn man aus Schlüsselpositionen im Unternehmen ein Jugend-forscht-Projekt macht, arbeitet man in Bereichen, in denen man eigentlich bereits Erfahrungen gesammelt hatte, plötzlich wieder mit Trial-and-Error.
Die Aussicht, dass eventuell irgendwann ein bisschen von dem Glanz dieser Branche auf einen abfallen würde, war die Karotte, die einem vor die Nase gehängt wurde und einen antrieb, bis zur völligen Erschöpfung zu rennen.
Und das sieht man vielen Kollektionen dann auch an – im Negativen wie auch im Positiven. Denn Trial führt ja nicht nur zu Error. Unbefangenes Herumprobieren und Neu-Denken führt eben oft auch zu unerwarteten Entdeckungen und schönen Überraschungen. Insbesondere im Design kann es sehr erfrischend sein, wenn jemand einmal einfach drauf los schneidert – ohne die Schere im Kopf. Nur weil sich bauchfreie Oberteile vor zwanzig Jahren einmal nicht verkauft haben, heißt das ja nicht, dass es jetzt immer noch so ist.
Darüber, wie einschneidend die Generation Z das Design von Mode verändert, wird an anderer Stelle noch viel zu sagen sein. Noch viel einschneidender als das Design, verändert sie jedoch einen ganz anderen Aspekt unserer Branche, nämlich die Arbeitskultur.
Das Konzept der Work-Life-Balance zum Beispiel war der Modebranche vor dem Eintritt der Generation Z vollkommen fremd. Denn die Modeschaffenden früherer Generationen unterschieden meist gar nicht zwischen Work und Life. Ihre Arbeit war ihr Leben. In die Mode zu gehen, bedeutete, sein Hobby zum Beruf zu machen. Und wer sich dafür entschied, dem war von vornherein bewusst, dass das natürlich ein Ziel ist, das alle haben, aber nur diejenigen erreichen, die es mit maximaler Leidenschaft und Leidensbereitschaft verfolgen. Nur wenn man jahrzehntelang konstant härter und länger arbeitete, weniger Urlaub und mehr Überstunden machte, weniger verdiente und sich mehr gefallen ließ als alle anderen, konnte man darauf hoffen, vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht, eines Tages vom unbezahlten Praktikanten zum Assistenten der rechten Hand des Produktmanagers für Hosenstoßband in einem namhaften Modeunternehmen aufzusteigen. Die Aussicht, dass auf diese Weise eventuell irgendwann ein bisschen von dem Glanz dieser Branche auf einen abfallen würde, war die Karotte, die einem vor die Nase gehängt wurde und einen antrieb, bis zur völligen Erschöpfung zu rennen. Welch bizarre Blüten die Ausbeutung und Selbstausbeutung hauptberuflicher Fashion Victims zwischenzeitlich getrieben hat, wurde in Filmen wie „Prêt-À-Porter“, „Phantom Threat“ und „The Devil Wears Prada“ für die Nachwelt eingefangen.
Die Nachwelt wird jedoch höchstwahrscheinlich größte Mühe haben, die Abhängigkeitsverhältnisse nachzuvollziehen, die diesen Geschichten zu Grunde liegen. Denn das Machtgefälle zwischen Arbeitgeber:innen und ‑nehmer:innen ist gerade dabei, sich umzukehren. Das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge hinterlässt einen so flächendeckenden Mangel an Fachkräften, dass sich der Arbeitskräftemarkt von einem Nachfrage- in einen Anbietermarkt verwandelt.
Der demografische Wandel züchtet eine neue Spezies von unerfahrenen, aber mit Aufmerksamkeit, Wohlstand und Selbstvertrauen aufgepumpten Kandidat:innen, die der Branche ein komplettes Umdenken abverlangt.
Grundsätzlich hatte man das zwar kommen sehen. Tatsächlich ist die Lücke, welche die pensionierten Babyboomer hinterlassen, jedoch noch viel größer als erwartet. Denn bei den Berechnungen war man noch davon ausgegangen, dass die nachwachsenden Arbeitskräfte pro Kopf genauso viel arbeiten würden wie die ausscheidenden. Das ist aber gar nicht der Fall. Denn die jetzige Generation hat ganz andere Prioritäten als die Generationen ihrer Eltern und Großeltern. Für sie ist ihre Arbeit nämlich nicht ihr Leben. Vielmehr fängt das Leben für sie erst da an, wo die Arbeit aufhört. Und deshalb soll, wenn es nach ihr geht, beides in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen. Meine Damen und Herren, Sie wurden gerade Zeug:innen der Erfindung der Work-Life-Balance.
Wie unsere Zahlen bei DMI zeigen, ist der Generation Z diese Balance von Beruf und Freizeit (68% Zustimmung) viel wichtiger als Erfolg im Beruf (54% Zustimmung). Um Zeit für sich selbst und die eigenen Interessen zu haben (70% Zustimmung), will die Mehrheit von ihnen sogar nur noch Teilzeit arbeiten. Auf die Bewerbungsgespräch-Frage „Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?“ wäre also die ehrliche Antwort der meisten Gen-Z-ler nicht: „in einer Führungsposition“ (nur 34%), sondern: „auf einer Teilzeitstelle“. Entsprechend machen die unter 20-jährigen Arbeitnehmer:innen von Anfang an schon nicht einmal mehr halb so viele Überstunden wie ihre über 60-jährigen Kolleg:innen. All das verschärft den ohnehin schnell wachsenden Arbeitskräftemangel noch zusätzlich.
Bereits jetzt hat sich das Verhältnis von Nachfrage zu Angebot an Arbeitskraft so zu ihren Gunsten verschoben, dass auch Berufseinsteiger:innen nicht mehr in einer Friss-oder-stirb-Situation sind und zum ersten Mal in der Geschichte der Mode ihre Arbeitsbedingungen mitgestalten können. Zähneknirschend müssen Personalverantwortliche die Forderungen dieser Studienabgänger:innen erfüllen und ihnen zum Beispiel Homeoffice und flexible Arbeitszeiten zugestehen. So züchtet der demografische Wandel eine neue und bisher unbekannte Spezies von komplett unerfahrenen, aber mit Aufmerksamkeit, Wohlstand und Selbstvertrauen aufgepumpten Kandidat:innen, die der Branche ein komplettes Umdenken abverlangt.
Wenn junge Leute jetzt noch in die Mode gehen, dann nicht aus „passion for fashion“, sondern um Geld zu verdienen. In der Mode arbeiten bedeutet für sie nicht, einer Berufung folgen, sondern einem Beruf nachgehen.
Denn diese neue, höher entwickelte Spezies will zwar einen Job. Sie will ihn aber nicht mehr um jeden Preis. Wie unsere Zahlen bei DMI bestätigen, würde die Hälfte aller 18- bis 24-Jährigen ihren Job einfach kündigen, sobald dieser ihr nicht mehr zusagt. Rückstandslos befreit von den Existenzängsten der Kriegs- und Nachkriegsgenerationen wären 40 Prozent dieser Generation sogar lieber arbeitslos als einen Job zu machen, der ihnen nicht zusagt.
Genauso will diese neue, höher entwickelte Spezies zwar in der Mode arbeiten, aber eben auch das nicht mehr um jeden Preis. Denn während die private Beschäftigung mit Mode mit jeder neuen Generation an Akzeptanz gewonnen hat, hat die berufliche Beschäftigung mit Mode von Generation zu Generation an Prestige verloren. Der makellose Glanz, der das Fashion Business einmal umgab, hat durch die zahlreichen Enthüllungen um seine ökologischen und sozialen Schattenseiten leider viele hässliche Kratzer bekommen. Wenn junge Leute jetzt noch in die Mode gehen, dann nicht aus „passion for fashion“, sondern um Geld zu verdienen. In der Mode arbeiten bedeutet für sie nicht, einer Berufung folgen, sondern einem Beruf nachgehen.
Aus ihrer Sicht ist Arbeitszeit nun einmal grundsätzlich Zeit, die man lieber mit etwas anderem verbringen würde. Und insofern muss sie auch grundsätzlich anständig bezahlt werden. Und zwar von Anfang an und nicht vielleicht irgendwann einmal. Im Gegensatz zu früheren Generationen rennt die Generation Z deshalb auch nicht sofort los, wenn ein Arbeit- oder Auftraggeber ihr eine Karotte vor die Nase hängt, sondern setzt sich erst dann in Bewegung, wenn man ihr ein angemessenes Stück von der Karotte gibt.
Insofern könnten Bewerbungsgespräche demnächst tatsächlich ein bisschen so verlaufen wie in dem Meme, auf dem der Personaler sagt, „Anfangs verdienen Sie 600 €, später dann € 1.800“, und der Bewerber antwortet, „Ok, dann komme ich später“.
Carl Tillessen ist gemeinsam mit Gerd Müller-Thomkins Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts. Sein Buch “Konsum” geht der Frage nach, wie, wo und vor allem warum wir kaufen. www.carltillessen.com