Lothar Schäfer darf heute an der Frankfurter Börse die Glocke läuten. Die Adler AG, deren CEO Schäfer ist, geht an die Börse. Finanzinvestor BluO macht Kasse, nur zweieinhalb Jahre nach der Übernahme des Bekleidungsfilialisten. Die ehemalige Adler-Mutter Metro hatte jahrelang versucht, einen Käufer für das in die Jahre gekommene Handelsformat zu finden. Am Ende überließ man Adler BluO. Angeblich gab es sogar eine millionenschwere Mitgift in Form von Schuldentilgung. Wie auch immer: Dass der einstige Ladenhüter jetzt eine börsenreife Wachstumsstory abgibt, ist eine bemerkenswerte und kaum glaubliche Wende. Man fragt sich, warum die Metro diese Story nicht selbst geschrieben hat. Vielleicht weil man als börsennotiertes Unternehmen unter anderer Beobachtung steht als ein anonymer Finanzinvestor?
Einer der ersten Entscheidungen des neuen Eigentümers BluO war seinerzeit, das komplette Adler-Management an die Luft zu setzen. Seitdem ist Lothar Schäfer am Ruder. Schäfer ist gelernter Maschinenbauer. 2006 heuerte er beim Starnberger Finanzinvestor Arques an. Die Gesellschaft hielt Beteiligungen u.a. an Golfhouse und geriet in der Finanzkrise in heftige Turbulenzen. Anfang dieses Jahres ist man in der börsennotierten Gigaset AG aufgegangen. Ehemalige Arques-Partner gründeten 2008 in Luxemburg die Beteiligungsgesellschaft BluO.
BluO-Mann Schäfer leitete bei Adler einen strengen Restrukturierungskurs ein. Das Unternehmen beschäftigt nach zwei Jahren über ein Drittel weniger Mitarbeiter (aktuell sind es gut 4000), der Personalaufwand sank massiv um über 40%. Die Logistiktochter Motex wurde ausgegliedert. Man nahm Abschied vom Verjüngungskurs und setzt mit Testimonials wie Birgit Schrowange und Rainer Calmund wieder voll auf die Zielgruppe 45+. Man installierte Markenshops von Steilmann, Tom Tailor, Street One, Cecil, One Touch und S.Oliver. Man unternahm erste Gehversuche im Teleshopping, seit März 2010 gibt es einen Online-Shop. Im Jahr davor hatte man zwölf österreichische Woolworth-Häuser übernommen. Der seit Jahren anhaltende Umsatzschrumpf ist jedenfalls gestoppt. 2010 stieg der Umsatz in den 134 Filialen nach eigenen Angaben um 10% (flächenbereinigt 3,4%) auf 445 Mill. Euro. Mitte der 2000er Jahre lag er noch um ein Viertel höher. Rechtzeitig zum Börsengang eröffnete man neue Läden, die man Journalisten auch gerne zeigt.
Wenig vertrauenserweckend war dann aber, dass kurz vor dem IPO die Commerzbank als Konsortialführer absprang und die französische Crédit Agricole die Organisation übernahm. Und dass der Start vergangene Woche noch einmal um ein paar Tage verschoben wurde, deutete ebenfalls nicht auf eine überbordende Nachfrage nach den Adler-Papieren hin. Die Eigentümer hofften ursprünglich auf einen Erlös von bis zu 145 Mill. Euro. Jetzt werden es wahrscheinlich nur rund 116 Mill. Euro. Aber auch, wenn sich der Kurs am unteren Ende der Erwartungen bewegt, sollte sich das Geschäft für BluO lohnen. An die 90 Mill. Euro steckt sich der Finanzinvestor in die eigene Kasse.
In den vergangenen Wochen hat die Börse geschwächelt, und wahrscheinlich schaut man nicht nur in Haibach auf die Kursentwicklung. Denn Adler ist nicht der einzige, der dieses Jahr an die Börse geht. Samsonite enttäuschte bei seinem IPO in der vergangenen Woche. Morgen ist Prada in Hongkong dran. Auch Ferragamo und Brunello Cuccinelli wollen Kasse machen. Moncler hat seinen IPO nach dem Einstieg eines Großinvestors abgeblasen. Spannend wird der Fall Schiesser – einen Börsengang aus der Insolvenz hat es selten gegeben, es wäre ein wahres Hasardeurstück, wenn das im Herbst wie vorgesehen gelänge.
Die Börse ist nicht nur als Exit-Option für Finanzinvestoren interessant, sie eröffnet den Unternehmen auch die Möglichkeit, durch frisches Kapital das Wachstum schneller vorantreiben zu können. Das geht freilich nicht zwangsläufig gut. Viele der Unternehmen, die sich aufs Parkett gewagt haben, sind darauf ausgerutscht. Wolfgang Ley hat den Börsengang von Escada einmal als den größten Fehler seines Lebens bezeichnet, und es mag sein, dass die heutigen Probleme des Münchner Luxusmodeanbieters mit dem Going Public ihren Anfang nahmen. Jean Pascale ist ein weiteres unrühmliches Beispiel: Der Modefilialist hat sich nach dem Börsengang 1989 zu einer kopflosen Expansion verleiten lassen, die in der Insolvenz endete. Ein weiteres Beispiel war Mariella Burani: Die Italiener gingen nach dem Börsengang 2007 auf Einkaufstour. Jetzt ist der Konzern pleite.
Auf der anderen Seite hat die Börse den Erfolg etlicher Unternehmen mit ermöglicht. Zum Beispiel H&M: Familie Persson ging bereits 1974 an die Börse; heute betreiben die Schweden über 2200 Läden in 40 Ländern. Oder Inditex: Zara-Gründer Amancio Ortega erlöste 2001 über 2,4 Mrd. Euro durch den Börsengang; Kapital, das ihm beim Aufstieg zu einem der weltgrößten Modefachhändler verhalf. In Deutschland zählt Gerry Weber sicher zu den positiven Beispielen. Ebenfalls 1989 ging Bijou Brigitte an die Börse; seitdem haben Friedrich und Roland Werner über 1000 neue Filialen eröffnet. In all diesen Fällen sind die Gründerfamilien bis heute präsent. Sie haben das Geld der Anleger verwendet, um ihre Unternehmen konsequent und nachhaltig zu entwickeln. Die Aktionäre haben davon profitiert. Sie selbst auch. Wie alle guten Unternehmer wissen sie, dass ihr Reichtum nicht von der Zahl der Läden, dem jährlichen Bonus oder dem Börsenkurs abhängt. Sondern letztlich von der Zufriedenheit der Kunden. Mal sehen, wie Adler den Spagat zwischen Aktionärs- und Kundeninteressen hinbekommt.
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