Trouser

Suchen wir das Weite!

Die Laufstege propagieren seit vielen Saisons neue Volumen, doch die Männer sind in der Mehrheit noch nicht reif für einen Silhouettenwechsel. Der Wandel in der Menswear dauert viel länger, als man gemeinhin denkt, stellt Jeroen van Rooijen fest.
Jeroen van rooijen
Jero­en van Rooi­jen

In der Män­ner­mo­de wer­den seit gerau­mer Zeit neue Volu­men pro­pa­giert. Die Jacken wer­den etwas kas­ti­ger, die Hem­den sind nicht mehr gar so tail­liert, die Hosen wer­den wei­ter, teil­wei­se sogar bag­gy. So will es die Ansa­ge der Lauf­ste­ge – alle rele­van­ten Mens­wear-Kol­lek­tio­nen (außer viel­leicht Celi­ne) sind in Rich­tung auf­ge­lo­cker­ter Schnit­te unter­wegs.

Wenn man nun aber in den Han­del geht, wo gera­de die neu­en Kol­lek­tio­nen für Herbst 2023 ein­ge­trof­fen sind, so bemerkt man eine erheb­li­che Dis­kre­panz zwi­schen der modi­schen Ansa­ge und der Rea­li­tät. Man sieht von den neu­en Volu­men noch prak­tisch gar nichts, außer viel­leicht ein etwas gera­der geschnit­te­nes Shirt Jacket oder eine Chi­no, die eine win­zig klei­ne Bund­fal­te bekom­men hat. Sonst bleibt alles beim alten: Slim Fit, wohin das Auge schaut. Zumin­dest, wenn man die Kol­lek­tio­nen für das mitt­le­re Markt­seg­ment anschaut, die sich an einen modisch zurück­hal­ten­den Mann rich­ten.

Kann es also sein, dass Desi­gner und Trend­for­scher die Stim­mungs­la­ge in die­ser Ziel­grup­pe doch erheb­lich anders ein­ge­schätzt haben als es die Ein­käu­fer und Store Mana­ger im Han­del tun? Ist der Mann nach andert­halb Deka­den Slim Fit viel­leicht noch nicht reif für eine neue Pass­form? „Wei­te Hosen ver­un­si­chern Män­ner zutiefst“, sagt Sil­van, mein liebs­ter Mode­be­ra­ter bei Alfer­ano in Zürich – die Fir­ma han­delt mit pro­gres­si­ver Män­ner­mo­de im geho­be­nen Markt­seg­ment. Er ver­sucht es immer wie­der, sagt Sil­van, doch bei den meis­ten Män­nern beis­se er auf Gra­nit. Eher wür­den die Typen mit Leg­gings durch die Stra­ßen lau­fen als in wei­ten Hosen.

Das ist tat­säch­lich genau das, was ich selbst erle­be, wenn ich Semi­na­re gebe oder Per­so­nal Shop­pings absol­vie­re: Alles ande­re als schma­le, eng am Bein sit­zen­de Hosen leh­nen neun­zig Pro­zent der Män­ner kate­go­risch ab. Sie wis­sen schlicht­weg nicht, wie man eine Hose mit mehr Bein­wei­te tra­gen oder kom­bi­nie­ren soll. Sie rezi­tie­ren etwas von MC Ham­mer und win­ken ab. Und wenn sie denn doch eine wei­te­re Hose kau­fen, aus Neu­gier auf das Neue, bleibt sie doch im Schrank lie­gen, weil die engen ein­fach viel ver­trau­ter sind.

Optimistisch darf man davon ausgehen, dass sich die neuen Weiten der Menswear erst so ab zirka 2035 wirklich in der Breite durchsetzen werden.

Der Wan­del der Sil­hou­et­te, von der Pres­se eif­rig her­bei­ge­schrie­ben und pro­pa­giert, ist etwas, was in der Mens­wear in Wirk­lich­keit erheb­lich lang­sa­mer von­stat­ten geht. Man erin­nert sich: In der zwei­ten Hälf­te der 1990er Jah­re lan­cier­te Raf Simons die neue, schma­le Sil­hou­et­te – eine schar­fe Abkehr von der gemüt­lich-ver­spiel­ten Pass­form der spä­ten 1980er Jah­re. Fünf Jah­re spä­ter kup­fer­te Hedi Sli­ma­ne den Look für Dior Hom­me ab und mach­te ihn zum neu­en Stan­dard, der im Ver­lauf der letz­ten zwan­zig Jah­re bis in den Kom­merz durch­si­cker­te.

Zwan­zig Jah­re! So lan­ge hat die Bran­che gebraucht, um sich nun wie­der an ein neu­es Bild der Männ­lich­keit her­an­zu­tas­ten. Opti­mis­tisch darf man also davon aus­ge­hen, dass sich die neu­en Wei­ten der Mens­wear, die jetzt so freu­dig bespro­chen wer­den, erst so ab zir­ka 2035 wirk­lich in der Brei­te durch­set­zen wer­den.

Jetzt kann man ein­wen­den: Moment, die jün­ge­ren Ziel­grup­pen zwi­schen 15 und 25, die tra­gen doch schon alle­samt Bag­gy Hosen? Ja, das ist so. Aber bis die­se Youngs­ter wirk­lich „rei­fe“ Kon­su­men­ten und auch für den kom­mer­zi­el­len Main­stream der Män­ner­mo­de greif­bar sind, dau­ert es noch ein­mal zehn Jah­re. In der Zwi­schen­zeit, viel­leicht etwa 2030, wird irgend­wo ein bis dato unbe­kann­ter Jung­de­si­gner eine neue Linie vor­schla­gen: sehr schmal. Bis sich sei­ne Idee dann wie­der durch­setzt, wird es 2050. Mann, bist Du lang­sam.

Jero­en van Rooi­jen hat ursprüng­lich Mode­de­sign stu­diert und die ver­gan­ge­nen 25 Jah­re viel Lebens­zeit an und mit Moden­schau­en in aller Welt ver­bracht. Er schrieb 15 Jah­re lang für die NZZ, war für Maga­zi­ne wie GQ, Harper‘s Bazaar, Bole­ro oder Anna­bel­le tätig, kolum­ni­er­te im Radio zu Stil-The­men und ist heu­te als frei­er Autor und Bera­ter tätig. So hält er regel­mä­ßig Trend­vor­trä­ge zu Män­ner­mo­de. Außer­dem betreibt er mit sei­ner Frau in Zürich einen Con­cept Store namens „Cabi­net“. www.vanrooijen.ch / www.cabinet-store.ch

Bei­trä­ge von Jero­en van Rooi­jen