Karl Lagerfeld ist ein Jahr tot und immer noch zur Selbstdarstellung gut. Bereits bei den Oscars hatten Penélope Cruz und Billie Eilish Vintage-Teile von Chanel getragen, gleichermaßen eine Verbeugung vor dem Verblichenen wie ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Diese Woche meldeten sich anlässlich des Todestages nun zahlreiche Wegbegleiter zu Wort.
"Lagerfeld war ein Ästhet", verriet Patricia Riekel der dpa. Das ist eine wenig überraschende Feststellung, was der ehemaligen Bunte-Chefin prompt eine sarkastische Breitseite vom SZ-Streiflicht eintrug. Vielleicht hilft es ja ihrer Kandidatur für den Münchner Stadtrat. Riekel lächelt zurzeit an jeder Kreuzung von den FDP-Wahlplakaten.
Interessanter ist da schon die Feststellung von Model und Muse Baptiste Giabiconi im 'Stern': "Manchmal war er wie ein Vampir." Jetzt wissen wir wenigstens, weshalb Lagerfeld immer diese Sonnenbrille trug…
Dass Karl am vergangenen Sonntag in Nizza eine Hauptrolle spielte, hätte ihm wohl gefallen. Dort eröffnete ein Lagerfeld-Wagen den berühmten Karnevalsumzug. Motto: „King of Fashion“. Zu befürchten ist andererseits, dass heuer wieder etliche Lagerfelds die Straßen und Sitzungen in den Karnevalshochburgen unsicher machen werden. Diese Kostümierung wäre im vergangenen Jahr pietätlos gewesen, billig war sie schon immer.
Aber auch in der Hochkultur hinterlässt der Meister Spuren. Im Augsburger Textil- und Industriemuseum eröffnete eine Ausstellung mit Lagerfeld-Fotografien von Daniel Biskup. Das Berliner Hotel de Rome zeigt gleichzeitig 20 seiner großformatigen Aufnahmen Lagerfelds in Berlin. In Halle (Saale) eröffnete gestern eine von Gerhard Steidl kuratierte Ausstellung von 300 Lagerfeld-Werken.
Alfons Kaiser befasste sich in der FAZ mit Lagerfelds Anfängen („Niemand konnte mit den Medien besser umgehen als dieser Vielredner“), und Volontärin Johanna Christner durfte die Bänder eines 2012 anlässlich der lit.Cologne geführten Gesprächs Lagerfelds mit Roger Willemsen nochmal abhören. Zitat: „Das Interessante an der Literatur ist die Sprache. Worum es darin geht, spielt keine Rolle.“
Überhaupt, die Sprüche gehen immer. Die 'Gala' lieferte eine x‑te Bestenliste. Meine Favoriten daraus: „Ich leide an einer Überdosis meiner selbst.“ „Wer Ellbogen zeigt, kann auch Knie zeigen“ und „Nichts macht einen älter, als wenn man versucht, jung auszusehen.“ Mehr davon im „letzten Interview“.
Mehrere Medien befassten sich mit Lagerfelds Erbe. Der Löwenanteil des angeblichen 800 Millionen-Vermögens geht demzufolge an seinen Assistenten Sébastian Jondeau sowie an sein Patenkind Hudson Kroenig. Und natürlich soll Katze Choupette ihr Luxusleben weiterführen. Madame logiert, wie es heißt, zurzeit auf Lagerfelds Landsitz in Südfrankreich, wo sie unter anderem von einer Haushälterin und einem Privatkoch umsorgt wird.
Das Handelsblatt befragte Pier Paolo Righi, der mit 'Karl Lagerfeld' ja eine Art kommerzieller Nachlassverwalter des Meisters ist. "Wir sind heute das einzige Modehaus, auf dessen Produkten Karl Lagerfeld draufsteht, und das einzige, in dessen Produkten Karl Lagerfeld drin steckt."
So gesehen ist eine interessante Frage, was aus Chanel und Fendi ohne Lagerfeld wird. Gestern Abend zeigte Silvia Venturini Fendi in Mailand, übernächste Woche Virginie Viard in Paris. „Lagerfelds Talent bestand nicht darin, einen Trend zu definieren, sondern im Aufbau einer Welt“, schreibt Lauren Sherman in BoF, „in seiner Fähigkeit, Träume in aufwändigen Modenschauen zu inszenieren, die dann ein wenig Couture, ordentlich Konfektionsware, viele Handtaschen und Sonnenbrillen und noch mehr Parfüm und Lippenstift verkaufen.“ Karl Lagerfeld habe das Drehbuch für modernen Luxus erfunden, seine langjährigen Mitarbeiterinnen Viard und Fendi müssten nun die notwendigen Neufassungen schreiben. „Sie wissen, was Frauen wollen – vielleicht, da sie selbst Frauen sind, besser als Lagerfeld konnte – und sie müssen dieses Wissen nun zu ihrem Vorteil nutzen.“
Die Frage ist freilich, was eine echte Weltmarke ausmacht: Dass sie sich nach den Kunden richtet oder die Kunden sich nach ihr?
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Und sonst?
… spendet Jeff Bezos 10 Milliarden für den Schutz des Klimas, das er mit Amazon selbst beschädigt. Ist es Zufall, dass die Otto Group in derselben Woche verkündet, bis in 10 Jahren klimaneutral arbeiten zu wollen? Angeblich nicht über Kompensation, sondern über die Optimierung der Logistik, die Mobilität der Mitarbeitenden sowie möglichst energiesparende Cloud-Services.
… bekommt die Zalando-Konzernzentrale erstmals einen Betriebsrat. Erstaunlich spät für einen 4500-Mitarbeiter-Laden. Willkommen in der Mitbestimmung! Das dürfte den Start-up-Spirit endgültig aus dem Unternehmen vertreiben.
… wenn früher in China ein Sack Reis umgefallen ist, hat das bekanntlich keinen interessiert. Heute berichtet der Guardian umfassend, wenn in einer Mülltonne im US-Bundesstaat Colorado hunderte Büstenhalter von Victoria’s Secret gefunden werden. Relevanter war da schon die Nachricht gestern: Finanzinvestor Sycamore übernimmt für 525 Millionen Dollar die Mehrheit an dem in die Krise geratenen Wäschefilialisten.