Homeboy

Alle haben die Hosen voll

Die schlechte Laune und allgemeine Mutlosigkeit gehen Jürgen Wolf gegen den Strich. Was können Handel und Industrie tun?
Juergen wolf me myself and i
Jür­gen Wolf

Sind denn plötz­lich alle ver­rückt gewor­den? Wobei ich das jetzt mal an unse­re Fashionbran­che adres­sie­re. Im Anla­gen­bau bin ich nicht zuhau­se. Das müs­sen dann ande­re bewer­ten.

Als aller­ers­tes emp­feh­le ich mal, weni­ger Nach­rich­ten zu schauen/lesen. Das Gute, das in der Welt pas­siert, wird man dort kaum ver­neh­men, und das Schlech­te bes­sert sich nicht von einem Tag auf den ande­ren. Wenn ja, bekommt man das so oder so mit. Jeder Hob­by-Psy­cho­lo­ge weiß, dass er nur mal kurz eine Minu­te lächeln muss, um bes­se­re Lau­ne zu bekom­men. Ist aber zu albern, und des­halb macht es kei­ner. Schlech­te Nach­rich­ten zu repe­tie­ren ist gesell­schaft­lich lei­der aner­kannt. „Der weiß was!“

Gera­de ist unse­re Bran­che im Auf­ruhr, weil Zalan­do About You ver­speist. So what? Wir blei­ben ja nicht an jedem Auto­bahn­un­fall ste­hen und glot­zen. Obwohl, wenn das poli­zei­lich nicht ver­bo­ten wäre.… Also machen wir es bes­ser wie beim Yoga: Du beob­ach­test dei­ne Gedan­ken lie­be­voll – auch die nega­ti­ven – und lässt sie wei­ter­zie­hen.

Die Jah­re über haben wir uns mit der Platt­form-Idee die Ner­ven rui­niert und den Geld­beu­tel gleich noch mit. Vor allem die Fach­pres­se hat uns erklärt, dass das ganz wich­tig ist. Als Wie­der­ver­käu­fer brau­che ich kei­nen Taschen­rech­ner, um zu errech­nen, dass das Murks war. „Omnich­an­nel“, auch eine gei­le Erfin­dung, die unter der Rubrik „Viel Rauch um Nichts“ zu ver­bu­chen ist. Cheech und Chong las­sen grü­ßen.

Temu und Shein sind jetzt die End­geg­ner, die uns angeb­lich den Gar­aus machen. Die soll­ten eher Ama­zon und Zalan­do Angst ein­flö­ßen. Bei Zalan­do hat es ja geklappt. Die haben reflex­ar­tig den Ren­di­te­ver­sa­ger About You gekauft und erzäh­len die lus­ti­ge Num­mer vom „Syn­er­gien heben“. Das hat­te damals Daim­ler auch mit Chrys­ler „sehr erfolg­reich“ umge­setzt (ein klei­ner Scherz sei erlaubt). Dass die­ser Taschen­spie­ler­trick heu­te noch funk­tio­niert.…

Aber jetzt! Trom­mel­wir­bel!!! Jetzt kommt KI! Jetzt bekom­men wir alle einen auf den Deckel. Glau­be ich zwar auch, aber mit mei­nen inzwi­schen 64 Jah­ren male ich mir aus, dass die KI mich älter als Johan­nes Heesters wer­den lässt. Ein Alter, was ich aller­dings, eben wegen der KI, wohl nicht mehr erle­ben wer­de. Oder doch? Sei´s drum. Auch hier gilt: Es sind eher Ama­zon und Zalan­do, die sich in die Hosen machen müss­ten. Der unab­hän­gi­ge Fach­han­del soll­te das mit der­sel­ben Hal­tung betrach­ten wie das neue iPho­ne 16: mit Inter­es­se und nicht mit dem Wahn, das jetzt auch auf die Schnel­le ein­set­zen zu müs­sen. Ok. Breu­nin­ger viel­leicht. Deren Han­dels­par­te ist ja, wie wir inzwi­schen wis­sen, schier unbe­zahl­bar (sor­ry, ich bin gera­de zum Scher­zen auf­ge­legt).

Aber jetzt mal im Ernst! Krie­ge wur­den noch nie an der Gulasch­ka­no­ne gewon­nen, son­dern an der Front (um mal im aktu­el­len Nach­rich­ten-Jar­gon zu blei­ben). Ohne Nach­schub geht es nicht, aber den kann man getrost den Logis­ti­kern über­las­sen. Der Gene­ral sitzt auf sei­nem Hügel und beob­ach­tet, was auf dem Schlacht­feld abgeht. Vor­ne wird über Sieg oder Nie­der­la­ge ent­schie­den. Wenn der Herr Gene­ral sich aber um jeden Scheiß küm­mert, wird er den Blick fürs Gesche­hen ver­lie­ren. Und die Schlacht ver­lie­ren.

Wer jetzt noch versucht, mit „Datenexzellenz“ den „Krieg“ gegen die Vertikalen zu gewinnen, wird scheitern.

Was pas­siert gera­de auf unse­rem „Schlacht­feld“ der Mode?

Zara reißt uns den Arsch auf und zwar noch deut­lich bes­ser als H&M. Mit Bersh­ka im Schlepp­tau haben die uns mal kurz gezeigt, wo der Ham­mer hängt. Ja genau! Für die tau­gen die gan­zen neu­en Tech­no­lo­gien näm­lich zu 100%. Weil sie ver­ti­kal sind! Wer jetzt noch ver­sucht, mit „Daten­ex­zel­lenz“ (das geils­te neue Mode­wort der Bran­che und mein Favo­rit für das Wort des Jah­res 2024!) den „Krieg“ gegen die Ver­ti­ka­len zu gewin­nen, wird schei­tern. In die­ser Kamp­fes­kunst sind sie über­mäch­tig. David gegen Goli­ath.

Goli­ath muss aber auch nicht noch den Ein­zel­han­del mit dem Who­le­sa­le gleich­schal­ten, wor­in übri­gens auch ein Grund für den lang­jäh­ri­gen Nie­der­gang von Esprit und S.Oliver liegt. Wer zwei Hasen jagt, wird kei­nen fan­gen. Die­ses The­ma muss auch per­fek­tio­niert wer­den, kei­ne Fra­ge, aber das gehört schon wie­der in die Kate­go­rie Gulasch­ka­no­ne.

Wo ist denn eigent­lich im Mode­han­del die Front?

Die beginnt an der Ein­gangs­tür. Und das ist genau der Ort, der uns zurecht Sor­gen machen muss. Es kom­men zu weni­ge Leu­te zur Tür rein. Es sind vie­ler­orts nur noch die Alten, die kom­men. Die Baby Boo­mer haben Geld, aber lei­der – so ist das zumin­dest bei mir – kei­nen rei­ßen­den Fluss von Wün­schen mehr. Ich besit­ze schon jeden Mist und tue mich schon mit Weih­nachts­wün­schen schwer. Als ich jung war, hat­te ich kein Geld, aber vie­le Wün­sche. Wobei ich lang­sam zum The­ma kom­me und mich gleich bei allen bedan­ke, die bis­her durch­ge­hal­ten haben.

Die Jugend hat Ideen und uner­füll­te Wün­sche! Die Jungs und Mädels schau­en natür­lich weni­ger Nach­rich­ten als wir Alten. Sie brau­chen die Zeit zum Leben. Es ist womög­lich eine Fra­ge der Bio­che­mie. Man kann sich die Hor­mo­ne künst­lich zufüh­ren, wird aber trotz­dem nie mehr in den Betriebs­zu­stand der Jugend kom­men. Wes­halb man sie auch nicht mehr ver­steht. Ent­we­der du gehörst dazu oder nicht. Sor­ry to say, aber die ver­ste­hen uns Alten ja auch nicht.

Was macht die Jugend, wäh­rend wir Alten der Fashionbran­che mit glü­hen­dem Kopf über den Pro­ble­men der Zeit grü­beln? Sie gehen zu Bersh­ka und kau­fen sich eine Bag­gy-Jeans. Zum Bei­spiel. Und wir rea­li­sie­ren das erst, wenn Heer­scha­ren von Kids in Bag­gy Jeans die Innen­städ­te des Lan­des bevöl­kern.

Industrie und Filialisten haben das Bauchgefühl in den Nullerjahren erfolgreich ausgemerzt. Übrigens sind das die, die jetzt entweder nicht mehr da sind oder ganz arg schwächeln.

Die KI könn­te mir viel­leicht erklä­ren, dass die Fre­quenz im Ein­zel­han­del zurück­ging, weil die Kids nicht mehr gekom­men sind, und womög­lich pro­gnos­ti­zie­ren, dass sie enorm nach oben gin­ge, wenn sie wie­der zurück­kä­men. Für mich reicht dazu gesun­der Men­schen­ver­stand. Schon mei­ne Groß­mutter Apol­lo­nia hat­te mich ermahnt, mir die­sen zu bewah­ren. Viel­leicht habe ich es also mei­ner Groß­mutter zu ver­dan­ken, dass mein Sohn Juli­an und ich 2016 auf die Rück­kehr der Bag­gy Jeans setz­ten. Schließ­lich zeig­te Home­boy die ers­ten Bag­gy Pants schon 1991, womit die­ser Look zur DNA der Mar­ke gehört. Die Logik war ein­fach: selbst die dicks­ten Bäu­che in mei­nem Bekann­ten­kreis tru­gen Skin­ny Jeans. Die Revo­lu­ti­on war damit abzu­se­hen und die Wie­der­kehr der Bag­gy nur eine Fra­ge der Zeit.

Lei­der haben Bersh­ka und Zara die Zei­chen der Zeit bes­ser erkannt als der kom­plet­te Fach­han­del. Was auch immer der Grund dafür ist. Ob es in der Mode­bran­che an Mut fehlt? Ohne Mut geht es nicht. Aber in der Fashionbran­che haben, wie es aus­sieht, alle die Hosen voll. Indus­trie und die gro­ßen Filia­lis­ten haben das Bauch­ge­fühl in den Nuller­jah­ren erfolg­reich aus­ge­merzt. Übri­gens sind das die, die jetzt ent­we­der nicht mehr da sind oder ganz arg schwä­cheln.

Was also tun?

Eine Mög­lich­keit ist, mutig nach vor­ne zu stür­men, um unse­re Kun­den mit fri­schen Ideen zu über­ra­schen. Mut wird belohnt! Man kann sein Leben nicht aus­rech­nen und die Mode auch nicht. Das kann die KI aber auch nicht. Zumin­dest noch nicht.

Was die KI aber auch künf­tig nicht kön­nen wird, ist Men­schen zu begeis­tern. Das kann aber ein Ver­käu­fer, wenn er etwas zum Begeis­tern hat. Dann kann ein Fun­ke über­sprin­gen. Und wenn vie­le Fun­ken über­sprin­gen brennt das Feu­er der Begeis­te­rung lich­ter­loh!

Jür­gen Wolf ist Grün­der und Mas­ter­mind von Home­boy. Er hob das Ska­­­­te­­­­wear-Label 1988 aus der Tau­fe und gehör­te damit zu den Stree­­­t­­­­wear-Pio­­­­nie­­­­ren in Deutsch­land. In den 90er Jah­ren erleb­te Home­boy einen rasan­ten Auf­stieg, in den ver­gan­ge­ne­nen Jah­ren war es fak­tisch vom Markt ver­schwun­den. 2015 hat Wolf die Mar­ke wie­der­be­lebt. Und star­tet mit sei­nem Sohn Juli­an damit durch.

Bei­trä­ge von Jür­gen Wolf