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Vom Silberrücken zum Silver Surfer

Jürgen Wolf entspricht wahrscheinlich nicht dem typischen Bild eines 65jährigen. Aber die typischen 65jährigen gibt es womöglich ohnehin nicht mehr. Über den Jugendwahn der Modebranche.
Juergen wolf me myself and i
Jür­gen Wolf

Ich fan­ge jetzt nicht damit an, dass das alles so schnell ging. Aber es ging wirk­lich schnell!

Gera­de hat­te ich mir vor 47 Jah­ren ein Surf­board gekauft und lern­te vor 44 Jah­ren die Sur­fle­gen­den Rob­by Naish und Björn Dun­ker­beck ken­nen, und schon ste­he ich im Robin­son Club Soma Bay am Strand und wer­de dafür gelobt, dass ich, trotz mei­nes Alters, ja noch gut sur­fen kön­ne. „Respekt“, höre ich dann, was nichts als die Umschrei­bung hier­von ist: „Also, dass so ein alter Mann wie du noch so sur­fen kann, ist schon ver­wun­der­lich.“ Ich schaue dann beläm­mert aus der Wäsche und weiß, was das heißt: Du bist alt!

Mei­nen 65. Geburts­tag habe ich im Zil­ler­tal ver­bracht. Mein schöns­tes Geschenk habe ich mir selbst gemacht. Ich stand auf dem Ski, wie ich mir mein gan­zes Leben gewünscht habe auf dem Ski zu ste­hen. Als ich auf einer ver­bu­ckel­ten und engen Pis­te einen 10er Zug Ski­leh­rer über­hol­te, war ich bis zur Ski­spit­ze vom Glück berauscht.

Rob­by Naish zeigt auf Insta­gram, dass er, als 61-jäh­ri­ger Mann, in den rie­si­gen Wel­len von Hawaii, noch voll den Style gepach­tet hat. Er ist dann auch in sei­ner Surfs­hort und sei­ner Red Bull-Cap vor sei­nem Truck ste­hend zu sehen, und kein Mensch auf die­sem Pla­ne­ten wür­de sagen, dass er so nicht mehr aus­se­hen dürf­te. Im Gegen­teil. Er wird nach wie vor gefei­ert. Auch von Red Bull, und die sind ja bekann­ter­wei­se sehr wäh­le­risch.

Mei­ne Groß­vä­ter sind bei­de nur 60 Jah­re alt gewor­den. Auf Fotos war zumin­dest einer davon gefühl­te 75. Der ande­re war, wie ich auch, Gerä­te­tur­ner, aber das hat in sei­nem Fall wenig gehol­fen. Mein 89-jäh­ri­ger Turn­kum­pan Win­ni macht mir da aller­dings Hoff­nun­gen.

Letz­tens habe ich gele­sen, dass man erst mit 75 alt ist. Aber bis es in zehn Jah­ren soweit ist, wird die Alters­gren­ze sicher­lich noch auf 80 hoch­ge­setzt.

Die meisten Marken wollen sich künstlich verjüngen. Es wird Zeit, diesen Komplex abzulegen.

Was heißt das für unse­re noto­risch jugend­süch­ti­ge Bran­che?

Statt die 50jährigen Kun­den zu bedie­nen, die sie nun mal haben, arbei­ten die meis­ten Mar­ken dar­an, sich künst­lich zu ver­jün­gen. Fal­sche Sicht der Din­ge. Es wird Zeit, die­sen Kom­plex abzu­le­gen. Der Mensch mit 50 ist ja jung!

Ich woll­te gera­de schrei­ben, was ich mit 50 alles noch gemacht habe, aber nach gründ­li­chem Nach­den­ken fällt mir nichts ein, was ich jetzt nicht auch noch mache. Ok. Einen Sal­to vor­wärts aus dem Bar­ren, mache ich nicht mehr, aber das ist wirk­lich nichts, was mich depres­siv stimmt.

65 ist jetzt auch nicht das neue 50 oder 45. Es ist etwas ganz ande­res. Es ist 65 mit einer sehr ähn­li­chen Ein­stel­lung, wie ich sie mein gan­zes Leben schon hat­te. Bis auf die hef­ti­gen Nar­ben aus exakt 40 Jah­ren Selbst­stän­dig­keit. März 1985 bis März 2025. Da gab es natür­lich The­men, die mich ver­än­dert haben. So etwas kennt jeder. Das Alter hat mich aber eher locke­rer gemacht, weil ich so gut wie jedes Pferd schon in alle Apo­the­ken der Welt habe kot­zen sehen und trotz­dem nicht in der Klap­se gelan­det bin. Ich lebe im Grun­de genom­men genau­so wei­ter, wie ich immer gelebt habe. Mei­ne Inter­es­sen haben sich nicht wesent­lich ver­än­dert. Das fin­de ich bemer­kens­wert, aber viel­leicht lei­den wir Älte­ren heut­zu­ta­ge ein­fach nur am Peter Pan Syn­drom. Dann ist das aber so und muss auch aner­kannt wer­den.

Und genau­so, näm­lich locker, leben mei­ne Freun­de. Die sind zwi­schen 40 und 70 und alle fei­ern zusam­men, spre­chen über die glei­chen The­men und lachen über die glei­chen Wit­ze. Eine Unter­schei­dung in der Klei­dung gibt es kaum. Der eine ist sport­li­cher und der ande­re eher schick. Das liegt aber nicht am Alter, son­dern an den per­sön­li­chen Vor­lie­ben. Außer, dass selbst die For­ty some­things reflex­ar­tig über ihr Alter jam­mern, fühlt sich kei­ner alt. Angst vor dem Alter haben alle, aber aus eige­ner Erfah­rung weiß ich, dass es mit 50 oder 60 immer so wei­ter ging, wie es mit 40 auch war.

Bei Home­boy ist es mir voll­kom­men schnurz wie alt jemand ist. Klar, wir sind gefühlt eine Jugend­mar­ke, und zwar schon seit 37 Jah­ren, aber unse­re Fans aus den 80ern und 90ern sind heu­te irgend­wo zwi­schen 39 und 49 Jah­re alt. Die haben also mit unse­rem Style ihre Jugend durch­lebt und sind die ers­te Gene­ra­ti­on nach dem belieb­ten Hon­ecker-Beige. Wobei man aber erklä­rend hin­zu­fü­gen muss, dass ein heu­te 75-jäh­ri­ger noch gar kein bedruck­tes T‑Shirt ken­nen kann, weil die­ser Trend in Euro­pa erst Mit­te der 80er auf­kam, und er dafür gar nicht mehr emp­fäng­lich war. Der 50-jäh­ri­ge glaubt aller­dings, dass es die schon immer gab. Sur­fen und Ska­ten sei Dank.

Fashion und Sport defi­nie­ren sich immer noch viel zu sehr über die rei­ne Jugend­lich­keit. Im Sport mag das noch irgend­wie Sinn erge­ben, in der Mode aber nicht. Lou­is Vuit­ton hat doch schön gezeigt, dass man sich extrem jung auf­stel­len kann und wegen der Ton­nen von Money im Mar­ke­ting auch jun­ge Kun­den fin­det, die letzt­end­lich aber so schnell wie­der weg sind, dass der Effekt in einer grö­ße­ren Zeit­span­ne spä­ter mal gar nicht mehr mess­bar sein wird. Die­se Mar­ke kann gar nicht 25 sein. Wie soll das auch gehen? Klar ist LV alt, aber das ist ja kein Man­ko. Wer Geld hat, ist eher mal weni­ger jung. Auf den fet­ten Schif­fen in Mona­co hocken kaum 25jährige Yacht-Inha­ber und paf­fen Zigar­re.

Wahrscheinlich ist es so, dass glaubwürdige junge Brands nicht von Konzernen gemacht werden können, sondern in der Nische entstehen müssen.

Inter­es­sant fin­de ich auch die Akti­vi­tä­ten der Mar­ke BOSS. Da wird mit eben­so reich­lich mone­tä­rem Auf­wand einer auf jung gemacht, um dann eine noch jün­ge­re Ver­si­on hin­ter­her­zu­schie­ben: HUGO. Rich­tig über­zei­gend ist das nicht. Man sieht Bil­der, aber kei­ne Sto­ry, die eine Mar­ke ja haben soll­te. Wenn ich „Hugo“ bei Goog­le ein­ge­be, kommt das Getränk. Dann muss man erst einen tex­ti­len Zusatz hin­zu­tip­pen und wird schließ­lich fün­dig. Nur nicht bei einem wie­der­erkenn­ba­ren Logo. Die glei­che Schrift­art ver­wen­det auch „Karos­se­rie­bau Mei­er“ im benach­bar­ten Indus­trie­ge­biet. Und wo soll Hugo denn eigent­lich im Han­del hän­gen? Bei Young Fashion? Oder der HAKA? Oder bei den Eigen­mar­ken? Na ja. Haupt­sa­che es hängt irgend­wo. Online ist das ein­fa­cher. Bei Zalan­do gibt es im HUGO-Shop 3.291 Arti­kel. Breu­nin­ger hat auch einen HUGO-Shop, aber dort gibt es nur 1.743 Arti­kel. Das ver­ste­he einer.

Ich fra­ge mich, war­um man sich in Met­zin­gen nicht ein­fach eine jun­ge Mar­ke gekauft hat. Ein Brand, die ihren Fans eine glaub­wür­di­ge Mar­ken­welt ver­mit­teln kann. Mit einem trag­fä­hi­gen Fun­da­ment, auf die sich gro­ße Umsät­ze bau­en lässt. Aber bei Lich­te betrach­tet fra­ge ich mich vie­les. Nicht nur das.

Im Sport ist Amer Sports ein gutes Bei­spiel. Auch wenn sie beim The­ma Schnee ein gewis­ses Klum­pen­ri­si­ko haben, was ihnen sicher­lich aber schon sel­ber auf­ge­fal­len ist. Auch VF Corp. wur­de mit Über­nah­men gigan­tisch groß. Auch wenn sie Supre­me gekauft haben, als der Hype schon vor­bei war. Knapp vor­bei ist halt auch vor­bei. Aus der klei­nen Ska­ter Brand VANS haben sie jeden­falls eine Mar­ke mit meh­re­ren Mil­li­ar­den Dol­lar Umsatz geschaf­fen, was ich bewun­de­re, weil VANS immer noch für Skate steht und sich nie ver­hurt hat (was man wahr­schein­lich so nicht mehr sagen darf).

Wahr­schein­lich ist es tat­säch­lich so, dass Brands, die sich wirk­lich glaub­wür­dig an eine jun­ge Ziel­grup­pe wen­den, nicht von Kon­zer­nen gemacht wer­den kön­nen, son­dern in der Nische ent­ste­hen müs­sen. Das habe ich in den 90ern ver­sucht und Mar­ken wie Home­boy, Sis­taz Wear, OBG und Pyro Skates­hoes unter einem Dach ver­sam­melt. Die muss­te ich damals alle selbst grün­den, weil es nichts am Markt gab, aber das Sys­tem hat glän­zend funk­tio­niert. Ich hat­te für jede Brand Spe­zia­lis­ten gefun­den, die die­se Mar­ken mit mir zusam­men ent­wi­ckelt haben. Mit der geplatz­ten Inter­net-Bla­se Ender der 90er sind dann lei­der auch mei­ne Ambi­tio­nen geplatzt. Künst­ler­pech.

Jür­gen Wolf ist Grün­der und Mas­ter­mind von Home­boy. Er hob das Ska­­­­­te­­­­­wear-Label 1988 aus der Tau­fe und gehör­te damit zu den Stree­­­­t­­­­­wear-Pio­­­­­nie­­­­­ren in Deutsch­land. In den 90er Jah­ren erleb­te Home­boy einen rasan­ten Auf­stieg, in den ver­gan­ge­ne­nen Jah­ren war es fak­tisch vom Markt ver­schwun­den. 2015 hat Wolf die Mar­ke wie­der­be­lebt. Und star­tet mit sei­nem Sohn Juli­an damit durch.

Bei­trä­ge von Jür­gen Wolf 

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8 Antworten zu “Vom Silberrücken zum Silver Surfer

  1. hal­lo Ste­fan, das ist jetzt ein wirk­lich inter­es­san­ter Bericht von genau dort wo die Ent­schei­dun­gen wirk­lich getrof­fen wer­den.
    Am POS.

  2. Vor allem haben die­se “Alten” Geld und Zeit für Shop­ping und ande­re Klei­nig­kei­ten Sie rei­sen viel wis­sen was Qua­li­tät betrifft und geben ger­ne auch Held dafür aus
    Jun­ge Men­schen kön­nen sich meis­tens doch gar nicht so ver­aus­ga­ben mit Freun­din Haus Kin­der etc
    Es ist nur die Mode die modern und sty­lish sein muss für die wil­den “Alten” das ist wich­tig 🚨 weil die wis­sen was Die wol­len 👍

  3. Recht hat er in allen Punk­ten die er ange­spro­chen hat.
    Als ich mit 63 Jah­ren nach 21 Jah­ren Peek&Cloppenburg und 25 Jah­ren Ansons aus­ge­schie­den bin, woll­ten mei­ne Nach­fol­ger das Unter­neh­men „ver­jün­gen“. Ansons hat­te neben dem Shop/Abteilung für Kun­den ab 20
    sei­nen Sor­ti­ments – Schwer­punkt bei den 35 – bis 50 Jäh­ri­gen. Natür­lich gab es auch vie­le Käu­fer die jün­ger und deut­lich älter waren. Schnell stell­te man fest, das die­ses „jün­ger wer­den“ vor­bei an der gesell­schaft­li­chen Rea­li­tät war und kei­nen Erfolg brach­te. Was zum Aus­tausch der neu­en Füh­rung führte.Tatsächlich konn­ten wir bei vie­len älte­ren Kun­den kei­nen Unter­schied bei der Mar­ken­prä­fe­renz und der Aus­wahl nach Stil fest­stel­len. Glei­che For­men, Far­ben, Mar­ken wur­den von Mit­te 30 Jäh­ri­gen genau so gekauft wie von Men­schen jen­seits von 60 Jah­ren. An mir selbst sehe ich das eben­so – war­um soll ich mei­nen Stil wech­seln nur weil ich die 70 über­schrit­ten habe?

    1. hal­lo Ste­fan, das ist jetzt ein wirk­lich inter­es­san­ter Bericht von genau dort wo die Ent­schei­dun­gen wirk­lich getrof­fen wer­den.
      Am POS.

  4. Typisch Jür­gen!
    Wenn Du Dei­nen Life­style pflegst und vor allem auch men­tal fit bleibst, wirst Du auch mit 70 und sicher auch mit 80 noch solch anre­gen­de Kolum­nen schrei­ben und Dei­ne Leser­schaft zunächst geis­tig anre­gen und dann zum Fit blei­ben kör­per­lich moti­vie­ren!
    Wei­ter so! Dein Job hält Dich ganz sicher auch „ jung“

    1. hal­lo Wolf Jochen, du bist mir ja bei vie­len ein Vor­bild. du hast mir vor sehr vie­len Jah­ren gezeigt, das es kei­ne Alters­gren­ze geben kann, um die Jugend zu ver­ste­hen.

  5. Tol­ler Arti­kel mit viel Empa­thie und Offen­heit. Unse­re Gene­ra­ti­on der sog. Boo­mer hat sich anders ent­wi­ckelt als Gleich­alt­ri­ge vor­her. Und das ist gut so… ist es doch eine sehr gro­ße Anzahl an zumeist finan­zi­ell gut auf­ge­stell­ten Kon­su­men­ten, die im Mar­ke­ting oft ent­we­der kom­plett ver­nach­läs­sigt oder falsch dar­ge­stellt wer­den. Die alten wei­ßen Män­ner sind wei­ser als vie­le glau­ben.

    1. Rich­tig, die kom­men in der Wer­bung nicht vor, haben kei­ne Anspra­che und wer­den total ver­nach­läs­sigt. Wir haben uns frü­her dar­um bemüht Modells mit ver­schie­de­nen Alters­grup­pen ein­zu­set­zen – es gab immer einen sehr jun­gen und einen grau­haa­ri­gen um das Spek­trum unse­rer Kun­den anzu­spre­chen. Heu­te endet die Gesell­schaft in der Wer­bung Mit­te 30.

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