Das junge Mädchen hinter mir an der Kasse hält zwei Pakete à drei Socken in der Hand. Wir stehen beide in Washington im Nike Store, ich kaufe meinem Sohn nach drei Jahre Betteln seine ersten Nike-Sneaker, sie kauft Socken. Wie auch der Typ, der mehrere Kunden weiter hinten in der Schlange wartet.
Zurück in Paris, im Citadium, dem Einkaufsparadies der GenY- und GenZ-Generation ist es schwer, dem Thema Socken aus dem Weg zu gehen. Zwischen Shop-in-Shops von Carhartt und Obey begrenzen schlichte Metall-Ständer voller Socken die Verkaufsflächen: MotherSocker verkauft Modell mit Slogan „Fuck off“ oder „Fuck Monday“, Depiedferme hat Einhörner und kleine Füchse als Motiv, Suzette verbreitet Socken-Romantik mit roten Herzen und Adidas Sportlichkeit mit seinen klassischen drei Streifen. Das Angebot ist bunt, teils kindisch, teils peinlich – und wird gekauft. Dabei hatte die Jugend die vergangenen Jahre damit verbracht, selbst im tiefsten Winter die Eiseskälte ohne Fußwärmer zu durchleiden. Cool war, wer keine Socken trug. Uncool ist heute, barfuß in die Sneaker oder Plateau-Loafers zu steigen.
So ist sie halt die Mode, könnte man meinen. Trends kommen und gehen. Das stimmt auch für Miniröcke, Hüfthosen und transparente Blusen. Doch Socken? Wann waren die denn das letzte Mal „in“? Weiße Socken galten über Jahrzehnten als No-go. Gefühlt trugen wir alle die letzten 30 Jahre nur noch Exemplare in den Farben schwarz und grau. Dezent und bitte vor allem unauffällig. Socken, ein modisches Statement? Lange her. Von Kniestrümpfen ganz zu schweigen. Die trugen nur noch Menschen wie ich – aus der Generation, die in den 70ern aufgewachsen war. Damals ging nichts ohne Kniestrümpfe. In den 80ern wurden sie dann bei den Frauen durch eine Feinstrumpf-Version abgelöst. Ich habe noch so einige Relikte aus dieser Zeit im Schrank. Genau die kann ich jetzt alle wieder rausholen. Denn die Laufstege waren voll von Looks mit gut sichtbaren Nylon-Kniestrümpfen, bunten Socken, Tennissocken und den klassischen Baumwoll-Kniestrümpfen.
Woher kommt das Revival? Wie kam die Jugend auf der Straße auf die Idee, plötzlich Kniestrümpfe als modisch anzusehen? Meine Vermutung lautet: Es liegt an Stranger Things. Ich kenne kaum einen Jugendlichen, der die Netflix-Serie nicht gesehen hat. Die Story spielt in den späten 70ern und geht dann in die Mode der 80er hinein. Die Hauptfiguren sind Heranwachsende, die von Monstern aus einer unterirdischen Parallelwelt angegriffen werden. Sie alle tragen – ganz dem damaligen Modestil entsprechend – Kniestrümpfe und Socken. Die Looks von Maxine, Elfe/Eleven, Robin, Will, Fin, Steve und Dustin haben Preise fürs Kostümdesign eingeheimst. Die Medien sind voller Nachstyling-Tipps zur Serie, H&M und Konsorten haben lukrative Kooperationen abgeschlossen, kreative Händler Sonderflächen oder Events installiert. Diesem Hype kann sich auch die Luxusindustrie kaum entziehen. Stardesigner Nicolas Ghesquière, Kreativchef von Louis Vuitton, ist Stranger-Things-Fan der ersten Stunde und hat schon vor etlichen Saisons die Serie als Inspiration in seine Kollektionen eingebaut.
Sind TV-Serien bzw. deren Kostümdesigner also die neuen Trendsetter? Es spricht ziemlich viel dafür. Auch „Wednesday“, die vom Kultfilm „Adams Family“ inspirierte Serie über den weiblichen Adams-Sprössling im Gothik-Look, hinterlässt gerade seinen Stempel in vielen Kollektionen. Siehe auch die aktuelle Werbung von Dior. Dass Wednesday Socken und Kniestrümpfe trägt, versteht sich von selbst.
Das Socken-Thema ist also noch lange nicht durch, auch weil Netflix für beide Erfolgsserien weitere Staffeln am Start hat. Durch die Eingangspreislage dieses Accessoires eignen sich Socken und Kniestrümpfe als ideale Umsatzbringer, ähnlich den Lippenstiften für die Luxusindustrie. Wer sich keine Chanel-Tasche leisten kann, kauft sich erstmal einen Lippenstift. Ganz nach dieser Strategie könnte der Sockentrend ausgeschlachtet werden. Dies gilt sowohl für Hersteller wie auch Händler, die damit ein Mitnahmeprodukt für wenig Geld anbieten und auf einfachste Weise die Jugend in die Läden holen können. Es genügt ein Aufsteller mit bunten Socken. Aber bitte nicht die schwarzen Kniestrümpfe nicht vergessen, denn ausschließlich diese Farbe trägt Wednesday.