
Mit sich selbst und dem eigenen Personal ist es vielleicht ähnlich wie mit den eigenen Kindern. Man sieht mehr Begabung und Geschick, als tatsächlich vorhanden ist. Der Unterschied zur Familie ist jedoch, dass Unternehmen Zwecksysteme zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele sind und die darin freiwillig Mitwirkenden einen möglichst großen Beitrag dazu leisten sollten. In diesem Kontext spricht man deshalb oft von A‑Spielern, die – in Abgrenzung zu B- und C‑Spielern – den Unterschied in Firmen ausmachen.
A‑Spieler sind selbstinitiiert, lernorientiert und lösungsgetrieben. Sie handeln, bevor das Problem eskaliert. B‑Spieler sind solide, loyal und fleißig, aber selten proaktiv. Sie erfüllen ihre Rolle, innovieren aber nicht oder nur inkrementell. Sie sind das Rückgrat, aber nicht der Motor. Und C‑Spieler? Sie bremsen durch unsaubere Arbeit, geringe Ownership und rechtfertigende Kommunikation.
Die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig: Die produktivsten fünf Prozent einer Organisation sind laut McKinsey und Google bis zu 400 Prozent leistungsfähiger als der Durchschnitt. Sie sind keine marginal besseren Performer, sondern Produktivitäts-Multiplikatoren. Umgekehrt zeigen Analysen von Gallup, dass Low Performer Unternehmen jährlich bis zu einem Drittel ihres Jahresgehalts in Form von versteckten Kosten verursachen – durch Fehler, Verzögerungen und die Demotivation anderer.
Die noch größere Gefahr ist aber die Rekrutierungsdynamik, die unbemerkt und langfristig wirkt. Der gängige Management-Merksatz lautet: A‑Spieler stellen A‑Spieler ein, B‑Spieler stellen C‑Spieler ein. Warum? Weil B‑Spieler, gefangen in einer Mischung aus Unsicherheit und Mittelmäßigkeit, in A‑Spielern eine Bedrohung sehen. Sie bevorzugen die ungefährliche Loyalität eines B- oder gar C‑Spielers, der ihre eigene Position nicht infrage stellt. Wenn B‑Spieler C‑Spieler einstellen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Organisation durch Talent-Erosion strukturell ausgehöhlt wird.
Daher die unangenehme Frage: Wie viele A‑Spieler arbeiten tatsächlich in Ihrem Unternehmen? Und gehören Sie selbst dazu?
Die ehrliche Antwort ist wahrscheinlich: erschreckend wenige. Führungskräfte neigen dazu, sich qua Amt als A‑Spieler zu sehen. In Wahrheit sind jedoch viele Top-Manager lediglich äußerst erfolgreiche B‑Spieler: loyal, fleißig und auf das bestehende System optimiert, jedoch selten die radikal lernorientierten und lösungsgetriebenen Kräfte, die es heute braucht.
Für die Mode- und Handelsbranche ist das kein abstrakter Kultur-Diskurs, sondern ein konkretes, existenzielles Problem. Die Branche unterliegt dem absoluten Zwang zur transformativen Innovation: KI, Plattform-Wettbewerb, Supply Chain – um nur drei der Umwälzungen zu nennen. Wenn Amazon, Zalando oder Shein schneller, kundennäher oder innovativer agieren, dann liegt das vor allem am besseren Management, die bessere Technologie-Nutzung ist nur ein Ergebnis daraus.
Viele Unternehmen stellen nicht die schärfsten Denker ein, sondern die mit den poliertesten Lebensläufen. Nicht die intellektuell unbequemsten, sondern die kulturell passfähigsten. Bei Amazon gibt es das „Bar Raiser“-Prinzip: Jede Neueinstellung muss das Durchschnittsniveau des Teams heben.
Und das Phänomen wird durch KI nicht etwa ausgeglichen, sondern verstärkt. Eine MIT-Studie zeigt, dass Top-Performer ihre Produktivität durch KI um bis zu 40 Prozent steigern, während Low-Performer nur 15 Prozent erreichen. A‑Spieler nutzen KI, um ihre Produktivität zu vervielfachen. B‑Spieler nutzen sie als Souffleur. C‑Spieler ignorieren KI. Die Schere öffnet sich weiter, Mittelmaß wird verdrängt.
Die Konsequenzen sind offensichtlich: Wir müssen aufhören, uns selbst zu täuschen. Lieber zehn A‑Spieler mit KI im Gepäck als hundert B- und C‑Spieler. Das ist kein elitärer Darwinismus, sondern eine unternehmerische Notwendigkeit. Das Problem dabei ist, dass die meisten Organisationen strukturell darauf ausgerichtet sind, B‑Spieler zu halten und damit unbemerkt A‑Spieler zu vertreiben. Die Gallup-Studie zeigt ebenso, dass nur 15 Prozent der Mitarbeiter wirklich engagiert sind. Nicht weil sie faul sind, sondern weil Strukturen, Prozesse und Führung sie ausbremsen. A‑Spieler ersticken in Konsens-Theater und Risikoaversion. Wenn eine Organisation mehr Zeit mit Meetings als mit Arbeit verbringt, ist das kein Effizienzproblem, sondern ein Symptom schlechter Führung und geringer A‑Anteile in der Organisation.
Die systematische Selbsttäuschung im Recruiting ist ein zusätzlicher Teil des Problems. Viele Unternehmen stellen nicht die schärfsten Denker ein, sondern die mit den poliertesten Lebensläufen. Nicht die intellektuell unbequemsten, sondern die kulturell passfähigsten. Bei Amazon gibt es das „Bar Raiser“-Prinzip: Jede Neueinstellung muss das Durchschnittsniveau des Teams heben. Wenn Sie beim nächsten Einstellungsprozess nicht nervös sind, weil der Kandidat deutlich besser ist als Sie, dann stellen Sie die falsche Person ein.
Und schließlich das unausgesprochene Problem der Toleranz gegenüber C‑Spielern. Die wird oft als soziale Kompetenz oder Loyalität verklärt, ist aber nichts anderes als organisatorische Feigheit. Jeder Tag, an dem ein C‑Spieler im Team bleibt, ist ein Signal an die A‑Spieler, dass Leistung nicht zählt. Das ist kein elitärer Darwinismus, sondern eine unternehmerische Notwendigkeit.
Die Personalqualität ist der entscheidende Wettbewerbsfaktor, vor allem in Zeiten größer Umwälzungen. Damit ist das kein Thema für die Personalabteilung, sondern für die Unternehmensleitung. Der Weg zu besserer Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit beginnt bei allen Mitwirkenden in einer Organisation mit einem kritischen Blick in den Spiegel. Vor allem in der Führungsetage, in der oft keine Spiegel, sondern Urkunden hängen.
Stefan Wenzel ist seit mehr als 20 Jahren im digitalen Handel und einer der profiliertesten Köpfe der Branche. Seine Vita beinhaltet unter anderem Stationen als Geschäftsführer für Unternehmen wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tailor Digital. Stefan Wenzel unterstützt Firmen, Gründer und Geschäftsführer als digitaler Beirat, ist regelmäßiger Sprecher auf Fachkonferenzen, Interview- und Podcast-Gast. www.stefanwenzel.com