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"Ich find' mich gut!" – Die große A‑Spieler-Illusion

Rechtzeitig zum Jahresendtheater der Zielerreichungsrunden: Warum nicht Technologie, sondern Selbstüberschätzung und Mittelmaß unsere Zukunft gefährden, erklärt Stefan Wenzel.
Stefan wenzel
Ste­fan Wen­zel

Mit sich selbst und dem eige­nen Per­so­nal ist es viel­leicht ähn­lich wie mit den eige­nen Kin­dern. Man sieht mehr Bega­bung und Geschick, als tat­säch­lich vor­han­den ist. Der Unter­schied zur Fami­lie ist jedoch, dass Unter­neh­men Zweck­sys­te­me zur Errei­chung wirt­schaft­li­cher Zie­le sind und die dar­in frei­wil­lig Mit­wir­ken­den einen mög­lichst gro­ßen Bei­trag dazu leis­ten soll­ten. In die­sem Kon­text spricht man des­halb oft von A‑Spielern, die – in Abgren­zung zu B- und C‑Spielern – den Unter­schied in Fir­men aus­ma­chen.

A‑Spieler sind selbst­in­iti­iert, lern­ori­en­tiert und lösungs­ge­trie­ben. Sie han­deln, bevor das Pro­blem eska­liert. B‑Spieler sind soli­de, loy­al und flei­ßig, aber sel­ten pro­ak­tiv. Sie erfül­len ihre Rol­le, inno­vie­ren aber nicht oder nur inkre­men­tell. Sie sind das Rück­grat, aber nicht der Motor. Und C‑Spieler? Sie brem­sen durch unsau­be­re Arbeit, gerin­ge Owner­ship und recht­fer­ti­gen­de Kom­mu­ni­ka­ti­on.

Die wis­sen­schaft­li­che Evi­denz ist ein­deu­tig: Die pro­duk­tivs­ten fünf Pro­zent einer Orga­ni­sa­ti­on sind laut McK­in­sey und Goog­le bis zu 400 Pro­zent leis­tungs­fä­hi­ger als der Durch­schnitt. Sie sind kei­ne mar­gi­nal bes­se­ren Per­for­mer, son­dern Pro­duk­ti­vi­täts-Mul­ti­pli­ka­to­ren. Umge­kehrt zei­gen Ana­ly­sen von Gal­lup, dass Low Per­for­mer Unter­neh­men jähr­lich bis zu einem Drit­tel ihres Jah­res­ge­halts in Form von ver­steck­ten Kos­ten ver­ur­sa­chen – durch Feh­ler, Ver­zö­ge­run­gen und die Demo­ti­va­ti­on ande­rer.

Die noch grö­ße­re Gefahr ist aber die Rekru­tie­rungs­dy­na­mik, die unbe­merkt und lang­fris­tig wirkt. Der gän­gi­ge Manage­ment-Merk­satz lau­tet: A‑Spieler stel­len A‑Spieler ein, B‑Spieler stel­len C‑Spieler ein. War­um? Weil B‑Spieler, gefan­gen in einer Mischung aus Unsi­cher­heit und Mit­tel­mä­ßig­keit, in A‑Spielern eine Bedro­hung sehen. Sie bevor­zu­gen die unge­fähr­li­che Loya­li­tät eines B- oder gar C‑Spielers, der ihre eige­ne Posi­ti­on nicht infra­ge stellt. Wenn B‑Spieler C‑Spieler ein­stel­len, ist es nur eine Fra­ge der Zeit, bis die Orga­ni­sa­ti­on durch Talent-Ero­si­on struk­tu­rell aus­ge­höhlt wird.

Daher die unan­ge­neh­me Fra­ge: Wie vie­le A‑Spieler arbei­ten tat­säch­lich in Ihrem Unter­neh­men? Und gehö­ren Sie selbst dazu?

Die ehr­li­che Ant­wort ist wahr­schein­lich: erschre­ckend weni­ge. Füh­rungs­kräf­te nei­gen dazu, sich qua Amt als A‑Spieler zu sehen. In Wahr­heit sind jedoch vie­le Top-Mana­ger ledig­lich äußerst erfolg­rei­che B‑Spieler: loy­al, flei­ßig und auf das bestehen­de Sys­tem opti­miert, jedoch sel­ten die radi­kal lern­ori­en­tier­ten und lösungs­ge­trie­be­nen Kräf­te, die es heu­te braucht.

Für die Mode- und Han­dels­bran­che ist das kein abs­trak­ter Kul­tur-Dis­kurs, son­dern ein kon­kre­tes, exis­ten­zi­el­les Pro­blem. Die Bran­che unter­liegt dem abso­lu­ten Zwang zur trans­for­ma­ti­ven Inno­va­ti­on: KI, Platt­form-Wett­be­werb, Sup­p­ly Chain – um nur drei der Umwäl­zun­gen zu nen­nen. Wenn Ama­zon, Zalan­do oder Shein schnel­ler, kun­den­nä­her oder inno­va­ti­ver agie­ren, dann liegt das vor allem am bes­se­ren Manage­ment, die bes­se­re Tech­no­lo­gie-Nut­zung ist nur ein Ergeb­nis dar­aus.

Viele Unternehmen stellen nicht die schärfsten Denker ein, sondern die mit den poliertesten Lebensläufen. Nicht die intellektuell unbequemsten, sondern die kulturell passfähigsten. Bei Amazon gibt es das „Bar Raiser“-Prinzip: Jede Neueinstellung muss das Durchschnittsniveau des Teams heben.

Und das Phä­no­men wird durch KI nicht etwa aus­ge­gli­chen, son­dern ver­stärkt. Eine MIT-Stu­die zeigt, dass Top-Per­for­mer ihre Pro­duk­ti­vi­tät durch KI um bis zu 40 Pro­zent stei­gern, wäh­rend Low-Per­for­mer nur 15 Pro­zent errei­chen. A‑Spieler nut­zen KI, um ihre Pro­duk­ti­vi­tät zu ver­viel­fa­chen. B‑Spieler nut­zen sie als Souf­fleur. C‑Spieler igno­rie­ren KI. Die Sche­re öff­net sich wei­ter, Mit­tel­maß wird ver­drängt.

Die Kon­se­quen­zen sind offen­sicht­lich: Wir müs­sen auf­hö­ren, uns selbst zu täu­schen. Lie­ber zehn A‑Spieler mit KI im Gepäck als hun­dert B- und C‑Spieler. Das ist kein eli­tä­rer Dar­wi­nis­mus, son­dern eine unter­neh­me­ri­sche Not­wen­dig­keit. Das Pro­blem dabei ist, dass die meis­ten Orga­ni­sa­tio­nen struk­tu­rell dar­auf aus­ge­rich­tet sind, B‑Spieler zu hal­ten und damit unbe­merkt A‑Spieler zu ver­trei­ben. Die Gal­lup-Stu­die zeigt eben­so, dass nur 15 Pro­zent der Mit­ar­bei­ter wirk­lich enga­giert sind. Nicht weil sie faul sind, son­dern weil Struk­tu­ren, Pro­zes­se und Füh­rung sie aus­brem­sen. A‑Spieler ersti­cken in Kon­sens-Thea­ter und Risi­ko­aver­si­on. Wenn eine Orga­ni­sa­ti­on mehr Zeit mit Mee­tings als mit Arbeit ver­bringt, ist das kein Effi­zi­enz­pro­blem, son­dern ein Sym­ptom schlech­ter Füh­rung und gerin­ger A‑Anteile in der Orga­ni­sa­ti­on.

Die sys­te­ma­ti­sche Selbst­täu­schung im Recrui­ting ist ein zusätz­li­cher Teil des Pro­blems. Vie­le Unter­neh­men stel­len nicht die schärfs­ten Den­ker ein, son­dern die mit den polier­tes­ten Lebens­läu­fen. Nicht die intel­lek­tu­ell unbe­quems­ten, son­dern die kul­tu­rell pass­fä­higs­ten. Bei Ama­zon gibt es das „Bar Raiser“-Prinzip: Jede Neu­ein­stel­lung muss das Durch­schnitts­ni­veau des Teams heben. Wenn Sie beim nächs­ten Ein­stel­lungs­pro­zess nicht ner­vös sind, weil der Kan­di­dat deut­lich bes­ser ist als Sie, dann stel­len Sie die fal­sche Per­son ein.

Und schließ­lich das unaus­ge­spro­che­ne Pro­blem der Tole­ranz gegen­über C‑Spielern. Die wird oft als sozia­le Kom­pe­tenz oder Loya­li­tät ver­klärt, ist aber nichts ande­res als orga­ni­sa­to­ri­sche Feig­heit. Jeder Tag, an dem ein C‑Spieler im Team bleibt, ist ein Signal an die A‑Spieler, dass Leis­tung nicht zählt. Das ist kein eli­tä­rer Dar­wi­nis­mus, son­dern eine unter­neh­me­ri­sche Not­wen­dig­keit.

Die Per­so­nal­qua­li­tät ist der ent­schei­den­de Wett­be­werbs­fak­tor, vor allem in Zei­ten grö­ßer Umwäl­zun­gen. Damit ist das kein The­ma für die Per­so­nal­ab­tei­lung, son­dern für die Unter­neh­mens­lei­tung. Der Weg zu bes­se­rer Leis­tungs- und Wett­be­werbs­fä­hig­keit beginnt bei allen Mit­wir­ken­den in einer Orga­ni­sa­ti­on mit einem kri­ti­schen Blick in den Spie­gel. Vor allem in der Füh­rungs­eta­ge, in der oft kei­ne Spie­gel, son­dern Urkun­den hän­gen.

Ste­fan Wen­zel ist seit mehr als 20 Jah­ren im digi­ta­len Han­del und einer der pro­fi­lier­tes­ten Köp­fe der Bran­che. Sei­ne Vita beinhal­tet unter ande­rem Sta­tio­nen als Geschäfts­füh­rer für Unter­neh­men wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tail­or Digi­tal. Ste­fan Wen­zel unter­stützt Fir­men, Grün­der und Geschäfts­füh­rer als digi­ta­ler Bei­rat, ist regel­mä­ßi­ger Spre­cher auf Fach­kon­fe­ren­zen, Inter­­­­­­­­view- und Pod­­­­­­­­cast-Gast. www.stefanwenzel.com

Bei­trä­ge von Ste­fan Wen­zel