Shein

Die nächsten Disruptoren

Mit Shein, Temu & Co sehen sich die hiesigen Disruptoren des stationären Handels nun selbst einer neuen, disruptiven Konkurrenz ausgesetzt, stellt Stefan Wenzel fest. Sind die asiatischen D2C-Player noch zu stoppen?
Stefan wenzel
Ste­fan Wen­zel

Dass der sta­tio­nä­re Mode­han­del im Jahr 2023 im Ver­gleich zu vor Coro­na 17% an Umsatz ver­lo­ren und der Online-Mode­han­del laut HDE/IfH zeit­gleich 37% hin­zu­ge­won­nen hat, ist eben­so bekannt wie die Tat­sa­che, dass Markt­plät­ze in Euro­pa rund 70% des gesam­ten E‑Commerce aus­ma­chen (laut ECDB). Dass euro­päi­sche Platt­for­men im glo­ba­len Maß­stab kei­ne Rol­le spie­len, ist auch bekannt. Dass sich aber unter den glo­ba­len Top 10 neben drei US-Unter­neh­men (Ama­zon, Walm­art, Ebay) sie­ben asia­ti­sche Play­er befin­den, ist des­halb span­nend, weil bekannt­lich eini­ge der asia­ti­schen Gigan­ten und sol­che, die es noch wer­den möch­ten, Euro­pa als Wachs­tums­vek­tor erkannt haben.

Neben aller­lei wirt­schafts­po­li­ti­scher Ther­mik bedeu­tet dies, dass sich auch unse­re loka­len Platt­for­men und ver­meint­li­che Dis­rup­t­o­ren des loka­len sta­tio­nä­ren Han­dels seit eini­gen Mona­ten selbst einer neu­en, dis­rup­ti­ven Kon­kur­renz aus­ge­setzt sehen. Das Aus­maß und die Geschwin­dig­keit die­ser Ent­wick­lung lässt sich an den Reich­wei­ten inner­halb der EU able­sen, die alle VLOPs (“Very Lar­ge Online Plat­forms”) im Rah­men des Digi­tal Ser­vices Act an die EU-Kom­mis­si­on mel­den müs­sen. Die­se Daten zei­gen neben der nach wie vor bestehen­den Domi­nanz von Ama­zon, dass Temu, Shein und Ali­Ex­press die west­li­chen Play­er – mit Aus­nah­me von Ama­zon – bereits nach die­ser kur­zen Zeit im Rück­spie­gel sehen.

Kon­kur­renz belebt das Geschäft, sagt bekannt­lich die Eck­bü­ro-Plat­ti­tü­den­samm­lung. Dass das aber bit­te idea­ler­wei­se immer nur für die ande­ren gel­ten soll, weiß der Han­del aus 30 Jah­ren schmerz­haf­ter Digi­ta­li­sie­rung. Für die deut­schen Online-Platt­for­men ist das aller­dings gänz­lich neu, hat doch die digi­ta­le Flut die meis­ten deut­schen Boo­te über Jah­re mit ange­ho­ben, und viel Ähn­li­ches konn­te par­al­lel zuein­an­der Markt­an­tei­le vom sta­tio­nä­ren Han­del über­neh­men. Die Inten­si­tät die­ses neu­en Wett­be­werbs ist eben­so hoch wie die Art und das Timing ungüns­tig: Im Spek­trum von bil­li­gen Lebens­hel­fern und Non­sens aus Plas­tik über ver­gleich­ba­re Ware nur ohne Logos bis hin zu iden­ti­schen Pro­duk­ten ist alles ab Werk und ohne Zwi­schen­händ­ler zu einem Bruch­teil unse­rer Prei­se ver­füg­bar – und das in einer Zeit, in der unse­re Nach­fra­ge sta­gniert und die Schnäpp­chen­sehn­sucht der Kun­den beson­ders blüht.

Während die Verbände um “level playing fields” für den Import von Einzelsendungen aus China in die EU kämpfen, bauen die kritisierten Plattformen im Westen Infrastruktur für ihre Distribution auf

Die Reak­tio­nen der west­li­chen Platt­for­men sind dabei so unter­schied­lich wie das Pro­dukt aus emp­fun­de­ner Bedro­hung und moti­va­tio­na­lem Selbst­ver­ständ­nis sein kann. In die­sem Kon­ti­nu­um gibt es Markt­teil­neh­mer, die in den neu­en Wett­be­wer­bern rei­ne Ramsch-Ram­pen ohne Kon­kur­renz zum eige­nen Ange­bot an west­li­chen Mar­ken sehen – wäh­rend ers­te Bestän­de von adi­das, Nike, Puma, Ray Ban & Co. durch die über­dis­tri­bu­ier­ten Who­le­sa­le-Rit­zen in die Apps der Asia­ten sickern. Ande­re hof­fen auf die Kraft der Regu­lie­rung und unter­schät­zen dabei die Reak­ti­ons­ge­schwin­dig­keit die­ser rein digi­ta­len Play­er und deren Inves­ti­ti­ons­be­reit­schaft. Denn wäh­rend bei­spiels­wei­se Ver­bän­de und Inter­es­sen­ge­mein­schaf­ten um “level play­ing fields” für den Import von Ein­zel­sen­dun­gen aus Chi­na in die EU kämp­fen, bau­en der­weil nicht nur die kri­ti­sier­ten Platt­for­men im Wes­ten Infra­struk­tur für ihre Dis­tri­bu­ti­on auf – unter­stützt von der chi­ne­si­schen Regie­rung (“Silk Road E‑Commerce”-Initiative) und im Ver­bund mit mehr als 20 ande­ren Län­dern.

Ama­zon, bei dem heu­te schon ca. 60% des Ange­bots von asia­ti­schen Anbie­tern stammt, klont Temu in einem dedi­zier­ten Bil­lig­kon­zept und tauscht Lie­fer­ge­schwin­dig­keit gegen Preis­nach­lass. Otto setzt auf sei­ne Rol­le als wei­ßer Rit­ter unter den Platt­for­men, bei dem Nut­zer auf ehr­ba­re Kauf­leu­te tref­fen. About You war der schnells­te in der Ankün­di­gung von Anleh­nun­gen wie der direk­ten Anbin­dung von Eigen­mar­ken­lie­fe­ran­ten oder der spie­le­ri­schen Akti­vie­rung sei­ner Nut­zer, sieht sich aber vor allem durch den Mar­ken­mix dif­fe­ren­ziert. Zalan­do setzt stär­ker auf sich selbst als Mar­ke und sucht die Dif­fe­ren­zie­rung über Con­tent und Expe­ri­ence sowie eine erwach­se­nere und wer­ti­ge­re Posi­tio­nie­rung.

Inwie­weit die­se Ansät­ze aus­rei­chen, darf dis­ku­tiert wer­den. In jedem Fall wer­den all jene Lügen gestraft, die glaub­ten, die Gro­ßen sei­en zu schwer­fäl­lig, um die über­fäl­li­ge Dif­fe­ren­zie­rungs­ar­beit zu leis­ten. Dabei soll­te jedoch klar sein, dass Dif­fe­ren­zie­rung etwas ande­res ist als Fea­tures, Logos oder PR-Sprech. Dif­fe­ren­zie­rung muss für Kun­den rele­vant, erleb­bar und vom Mond aus wahr­nehm­bar sein – und gleich­zei­tig müs­sen Ant­wor­ten auf die Fra­gen gefun­den wer­den, die sich aus der ver­än­der­ten Han­dels­tek­to­nik erge­ben. Zu die­sen Fra­gen gehö­ren unter ande­rem:

Wel­che Rol­le spie­len Shop­ping-Desti­na­tio­nen, wenn immer mehr Nut­zer ihre Zeit in ande­ren Desti­na­tio­nen ver­brin­gen und immer häu­fi­ger auch dort ein­kau­fen kön­nen?

Was muss (an)geboten wer­den, um den direk­ten Zugang zum Kun­den zu hal­ten?

Wie löst man das Pro­blem der Belie­big­keit und Aus­tausch­bar­keit des Sor­ti­ments, wenn der Anteil an glei­chen Dritt­an­bie­tern auf den Platt­for­men ste­tig steigt?

Wie ent­ste­hen wett­be­werbs­fä­hi­ge Ver­kaufs­prei­se und Reich­wei­te und wes­sen Mar­ge wird dar­in inves­tiert?

Wie sieht das Geschäfts­mo­dell aus, das für die Platt­form und ihre Ver­käu­fer aus­rei­chen­de Deckungs­bei­trä­ge erzielt?

Die Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen sind weder ein­deu­tig noch tri­vi­al und den­noch ent­schei­dend für die nächs­ten Run­den im Spiel. Die Kar­ten dafür wer­den aktu­ell neu gemischt, die Gewin­ner ste­hen noch nicht fest. Das erhöht die Span­nung und Ände­rungs­be­reit­schaft, setzt Ener­gie frei. Und wie wich­tig das wie­der­um ist, zeigt ein Blick in die Erkennt­nis­se der Evo­lu­ti­ons­for­schung: die Dau­er der bis­he­ri­gen Exis­tenz kor­re­liert nicht mit Zukunfts­fä­hig­keit. Let the games begin.

Ste­fan Wen­zel ist seit mehr als 20 Jah­ren im Digi­ta­len Han­del und einer der pro­fi­lier­tes­ten Köp­fe der Bran­che. Sei­ne Vita beinhal­tet unter ande­rem Sta­tio­nen als Geschäfts­füh­rer für Unter­neh­men wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tail­or Digi­tal. Ste­fan Wen­zel unter­stützt Fir­men, Grün­der und Geschäfts­füh­rer als digi­ta­ler Bei­rat, ist regel­mä­ßi­ger Spre­cher auf Fach­kon­fe­ren­zen, Inter­­­­­­view- und Pod­­­­­­cast-Gast. www.stefanwenzel.com

Bei­trä­ge von Ste­fan Wen­zel