Die Wahl in den USA, der Zusammenbruch der deutschen Regierung, der Krieg in der Ukraine, Klimawandel, demografischer Wandel – die Liste der Herausforderungen ist lang, das machte Stefan Genth deutlich. "Es ist dieses Jahr das erste Mal, dass wir unsere eigene Prognose zur Geschäftsentwicklung nach unten korrigieren mussten", so der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland HDE. Deswegen komme es auch künftig auf Kooperation an, vertikale und horizontale. Außerdem gehen es darum, alle Chancen zur Effizienzsteigerung wahrzunehmen.
HDE-Präsident Alexander von Preen lobte Noch-Wirtschaftsminister Habeck (der wegen eines Schadens am Regierungsflieger in Lissabon festhing und nicht in Berlin sein konnte) gleich zweimal: Habeck habe es im Unterschied zu den anderen Beteiligten geschafft, sein ehrliches Bedauern über den Bruch der Koalition zu vermitteln. Und von Preen dankte ihm für seinen Einsatz auf der europäischen Ebene gegen den unfairen Wettbewerber Temu."Ohne das Wirtschaftsministerium wäre das nicht passiert."
"Dieses Land hat strukturelle Probleme, nicht nur konjunkturelle Probleme", so Staatsekretär Sven Giegold, der seinen Minister vertrat. Er bedauere sehr, dass die 120 Maßnahmen aus dem Wachstumspaket nun wohl nicht in die Umsetzung kommen, so der Staatssekretär. Dies hätte wichtige Impulse gegeben. Und was kommt nach den Neuwahlen? "Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag wird sich in Deutschland kaum eine wirtschaftspolitische Denkschule komplett durchsetzen. Dieses Land lebt von Kompromissfähigkeit. Am Ende werden wir uns nur reformieren können, wenn wir uns weiterhin über die Parteigrenzen hinweg verständigen."
"Unklare politische Verhältnisse waren schon immer Gift für die Wirtschaft", so Gerd Chrzanowski, Chef der Schwarz-Gruppe (Lidl) und setzte zu einer Litanei der Probleme an, die zu massiven Abwanderungstendenzen der Industrie führten. "Wir im Handel machen das nicht. Wir investieren in Deutschland. Wir sind ein Stabilitätsanker." Und: "Lassen Sie uns wieder mehr 'Made in Germany' wagen."
Angela Titzrath (rechts) rechnet angesichts des aufflammenden Protektionismus und der anhaltenden Lieferkettenthemen mit einem weiterhin herausfordernden Umfeld: "Volatilität ist das New Normal", so die Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). "An Just in Time werden wir immer öfter ein Fragezeichen machen."
Mark Mathews vom amerikanischen Handelsverband NRF zeigte auf, wie robust die Lage des Einzelhandels jenseits des Atlantiks ist. Die Branche erwartet dort in diesem Jahr ein nominales Umsatzplus von 2,5 bis 3,5%, bei insgesamt rückläufigen Preisen liege das reale Wachstum sogar noch 1% höher. Die US-Haushalte seien noch nie so wohlhabend gewesen, deren Vermögen habe sich seit dem Jahr 2000 im Schnitt verdreifacht. Nach dem Inflationsschock seien sie zugleich unzufrieden wie nie, was auch ein Grund für den Wahlausgang gewesen sei. Die Leute wollten Veränderung.
"In den USA wird erst gemacht. Und dann reguliert", so On-Mitgründer Caspar Coppetti. Davon könne man lernen. "Europa muss ein bisschen mehr wagen."
"Wenn man dem Kongress als Zuhörer so folgt, dann bekommt man schon den Eindruck, Wohl und Wehe des Handels hängt allein von der Politik ab", so Marc O'Polo CSO Dirk Schneider. "Man kann als Unternehmen immer noch auch selbst was machen."
"Der deutsche Handel wartet gerne auf den Beweis, dass etwas auch klappt", so Sophie Florian (Google). "Da fehlt mir manchmal Mut und Agilität. Differenzierung heißt auch, mal anders zu denken."
Worauf kommt es jetzt an: Innovation oder Effizienz? "Innovation auf der Basis von Effizienz", sagt E‑Com-Experte Stefan Wenzel. "Wenn ich meine Fixkosten 5% senke, bringt mir das bottom line vielleicht 15%. Wenn ich meinen Umsatz 5% bei gleichen Kosten steigere, womöglich 50%."