Bevogue

Der Triumph der älteren Herren

Die 19-jährige Billie Eilish ist kein Mädchen mehr, sondern eine Frau. Das hat sie mit ihrem Auftritt auf dem Cover der britischen Vogue überdeutlich klar gemacht. Doch zu wessen Gunsten, fragt sich Jeroen van Rooijen.
Jero­en van Rooi­jen

Okay, ich habe jetzt drei Wochen Zeit gehabt, die Sache sacken zu las­sen und die ers­te Auf­ruhr, wel­che die­ses Ereig­nis Anfang Mai aus­ge­löst hat, zu ver­ges­sen. Es haben sich wie­der ande­re The­men im Kopf Platz genom­men, Bil­lie Eilish beschäf­tigt mich nicht mehr so hef­tig. Und damit hat sich auch die quä­len­de Fra­ge fast ver­flüch­tigt, wie man ihr Auf­se­hen erre­gen­des Cover der Vogue wer­ten soll. Heu­te jedoch will das The­ma noch ein­mal an die Ober­flä­che, und ich wage es, mich quer zum gan­zen Jubel zu stel­len und sage:

Ich fin­de, sie hat sich damit kei­nen Gefal­len getan – vie­len ande­ren aber schon.

Damit wir uns rich­tig ver­ste­hen: Ich bin kei­ner, der Bil­lie Eilish pau­schal für über­schätzt hält. Bis vor kur­zem hät­te ich sogar gesagt: Bil­lie Eilish ist ohne Zwei­fel eines der inter­es­san­tes­ten neu­en Pop-Phä­no­me­ne der jün­ge­ren Zeit – und obwohl ich nicht ihre pri­mä­re Ziel­grup­pe bin, fin­de auch ich ihre Musik neu, span­nend und irgend­wie zu die­ser Zeit pas­send. Ich erken­ne in Eilish, auch wenn sie mich als Mann mitt­le­ren Alters mit ihrer Arbeit nicht direkt anspricht, eine erhöh­te Rele­vanz und fas­zi­nie­ren­de Aktua­li­tät.

Bil­lie Eilish hat eine eige­ne Stim­me, die sogar einem James-Bond-Song gerecht wird. Und sie sieht unge­wöhn­lich aus – so voll­kom­men anders als die gän­gi­gen Pop-Kli­schees, sei­en es auf­ge­ta­kel­te Hip-Hop-Girls, schwüls­ti­ge Soul-Diven oder jam­mern­de Folk-Hip­ste­rin­nen mit der akus­ti­schen Klamp­fe. Die­se Sän­ge­rin ist zu Recht ein Vor­bild für ihre Gene­ra­ti­on – sti­lis­tisch, inhalt­lich und per­sön­lich.

Anfang Mai prä­sen­tier­te sich Bil­lie Eilish nun aber, recht­zei­tig zum Launch ihrer neu­en Plat­te, als auf­ge­don­ner­te Sex-Göt­tin im alten Hol­ly­wood-Stil, mit blon­der Was­ser­wel­le, straff geschnür­tem Kor­sett, Latex­hand­schu­hen, Strap­sen, Sei­den­stümp­fen und High-heels. Das gan­ze Arse­nal kli­schee­haf­ter weib­li­cher Sexy­ness war zu sehen, arran­giert auf alt­ro­sa-far­be­nen Tep­pi­chen und Samt.

Der­art „ein­ge­packt“ (oder aus­ge­packt?) wur­de Bil­lie Eilish von einem Club älte­rer Her­ren, alle­samt hoch­do­tier­te Vete­ra­nen der Mode­welt – Edward Enn­in­ful (49), Chef­re­dak­tor der eng­li­schen Vogue, Ales­san­dro Miche­le (48) von Guc­ci, Dome­ni­co Dol­ce (62) und Ste­fa­no Gab­ba­na (58), Ric­car­do Tisci (46) von Bur­ber­ry und Craig McDe­an (57), Foto­graf der gefei­er­ten Bil­der. Immer­hin: Das Sty­ling auf dem Foto­shoo­ting mach­te mit Dena Neu­stad­ter Gian­ni­ni eine jün­ge­re Frau.

Da stand und lag sie nun: ent­blößt, ein­ge­schnürt und hin­dra­piert wie eine typi­sche Alt­her­ren­fan­ta­sie – Bil­lie Eilish, vor­mals bekannt für ihre coo­len wei­ten Pul­lis und Hosen, Hoo­dies und Boots, mit denen sie bis­her nach eige­nem Bekun­den jede Dis­kus­si­on über ihren Kör­per unter­bin­den und eine Aura der Selbst­be­stim­mung schaf­fen woll­te. Nun die 180-Grad-Kehrt­wen­de: so expo­niert wie nie. Sogar ihre Tat­toos im Len­den­be­reich, die sie ursprüng­lich ein Leben lang vor ihren Fans ver­ste­cken woll­te, waren zu sehen.

Billie Eilish ist nun auch eine hübsche Vorführpuppe des neumodischen Fashion- und Pop-Business geworden. Zurecht geschnürt und vorgeführt von demselben Club der älteren Herren, die nun schon so lange überholte Bilder von Weiblichkeit entwerfen.

Die Mes­sa­ge des neu­en Looks war leicht zu ver­ste­hen: Aus dem im Ram­pen­licht auf­ge­wach­se­nen, andro­gy­nen Tee­nie-Girl ist eine Frau gewor­den, mit allen Attri­bu­ten. Dass Bil­lie Eilish auch die­sen Wan­del als Self-Empower­ment und femi­nis­ti­schen Akt erklä­ren wür­de, war klar – und man darf ihr glau­ben, dass sie es so meint, wenn sie sagt: „Ich kann tun und las­sen, was immer ich will.“ Da hat sie Recht, das kann ihr nie­mand neh­men.

Den­noch kann ich nicht umhin, mit Bil­lie Eilish jüngs­tem Akt der Selbst­be­stim­mung zwei eigen­ar­ti­ge Emp­fin­dun­gen zu haben: Ein­mal jene des Fremd­schä­mens – ich betrach­te die­se Bil­der nicht ger­ne, sie befrem­den mich. Und zum zwei­ten das Gefühl des Ver­lus­tes: Da ist uns etwas abhan­den gekom­men, das beson­ders und kost­bar war. Bil­lie Eilish ist nun auch ein­fach eine hüb­sche Vor­führ­pup­pe des neu­mo­di­schen Fashion- und Pop-Busi­ness gewor­den, fürch­te ich. Zurecht geschnürt und vor­ge­führt von dem­sel­ben Club der älte­ren Her­ren, die nun schon so lan­ge über­hol­te Bil­der von Weib­lich­keit ent­wer­fen.

Der Griff in die Hol­ly­wood-Kla­mot­ten­kis­te des Gla­mours ist drö­ge. Das Arse­nal an Bou­doir-Klei­dungs­stü­cken, das Bil­lie Eilish hier vor­führt, ist gänz­lich von ges­tern. Scha­de, dass sich die Zukunft der Pop­mu­sik schein­bar wider­stands­los sol­che alten Scha­blo­nen über­stül­pen ließ. Ich hät­te mir gewünscht, dass sie ein wirk­lich neu­es Fass auf­macht. Denn gewiss ist in der Mode auch zum The­ma Weib­lich­keit noch nicht alles gesagt?

Jetzt ist es also raus. Und ich muss mit einem Fäka­li­en­sturm rech­nen. Nun gut, ich wer­de es aus­hal­ten. Darf ja heu­te jeder sei­ne Mei­nung haben.

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8 Antworten zu “Der Triumph der älteren Herren

  1. Also, lie­ber Jero­en, zunächst mal beschreibst Du Dich selbst als Mann mitt­le­ren Alters, um dann alle ande­ren zitier­ten Geschlechts­ge­nos­sen in sehr ähn­li­chem Alter als älte­re Män­ner und Vete­ra­nen der Mode zu defi­nie­ren… Das ist schon mal etwas schräg.
    Und dann ver­bin­dest Du die viel­leicht voll­kom­men freie Ent­schei­dung einer jun­gen Frau, das zu tun, was sie da gera­de getan hat mit irgend­wel­chen Mut­ma­ßun­gen und beur­teilst das öffent­lich.
    Wir ken­nen ja den Hin­ter­grund nicht.
    Und viel­leicht will sie ja gar nicht DAS Vor­bild sein, von dem wir den­ken, dass sie sein soll­te.
    Kei­ne Ahnung, das weiß doch nur sie selbst am bes­ten.
    Ich glau­be, die­se Frau hat das Recht zu tun, was sie will. Und da braucht es kei­nen öffent­li­chen Kom­men­tar von uns älte­ren Her­ren dazu, wie wir das fin­den.
    Dreh das gan­ze mal um. Du woll­test wahr­schein­lich auch kei­ne Feed­backs die­ser Art.
    Also, ich woll­te sie im Alter von Bil­lie damals jeden­falls nicht von Män­nern oder Frau­en jen­seits der 40.
    Völ­lig unab­hän­gig davon, ob ich das per­sön­lich gut fin­de oder nicht, was sie da macht:
    Aber es ist das Pri­vi­leg der Jugend, das so zu tun, wie sie es tut.
    Für sie ist viel­leicht eine Art Reset, sie ist neu­gie­rig, will was aus­pro­bie­ren. Wha­te­ver. Das ist doch gut so.
    Soll sie jetzt mit nicht mal 20 ihr Leben kon­se­quent so wei­ter­le­ben, wie wir das viel­leicht ger­ne hät­ten?
    Das wäre anma­ßend und in der Tat über­grif­fig.
    Für Dich, für uns ist es viel­leicht die Wie­der­ho­lung eines Kli­schees, auch fein. In unse­rem Alter wie­der­ho­len sich die Din­ge.
    Aber ich den­ke, die Frau hat selbst ent­schie­den , was sie da tut. Die ist doch nicht “ein­ge­packt” wor­den von älte­ren Her­ren.
    Da spricht man ihr ja genau das ab, wofür sie immer noch steht: Eigen­stän­dig­keit.
    Man hat die Frau doch nicht ins Mie­der gesteckt und aufs Cover der Vogue gezwun­gen, .…..
    Die woll­te das wahr­schein­lich so. Ist ja alt genug. Und unab­hän­gig sowie­so.
    Viel­leicht hat­te sie da ein­fach Lust drauf. Viel­leicht bereut sie es.
    Thats what we call free­dom.
    Madon­na hat sich hun­dert mal neu erfun­den. Manch­mal hats mir gefal­len, manch­mal nicht.
    Gefal­len mir die Pho­tos von Bil­lie?
    Weiss ich noch nicht so genau. Irgend­wie schon.
    Wie find ich das, dass sie das so macht?
    Ich find s super.
    Es ist ihr frei­es und gutes Recht. Die Frau scheint neu­gie­rig zu sein.

  2. Ein sehr guter Kom­men­tar. Die Stre­cke ist lei­der nicht inter­es­sant – Bil­lie Eilish bis dato aber schon sehr. Scha­de.

  3. Es soll tat­säch­lich vor­kom­men: ich ken­ne Men­schen, die in ihrer Jugend ent­we­der Kom­mu­nis­ten /Hippies oder Punks waren…, und Heu­te: Kapi­ta­lis­ten….

    War­um kann die­se Frau nicht selbst ent­schei­den was sie mit ihrem Leben macht, oder wollt ihr bes­ser wis­sen was gut ( oder auch nicht) für sie ist..
    Die Kom­men­ta­re fin­de ich über­grif­fig…

    1. Über­grif­fig? Ich habe mir gröss­te Mühe gege­ben, genau in die­sem Fal­le nicht zu tap­pen, und ich mas­se mir wei­ter­hin kein Urteil über Bil­lie Eilish’s phy­si­sche Eig­nung für die­se Art von Klei­dung an – das muss sie sel­ber ent­schei­den. Doch glau­be ich, dass sie vor die­ser „Ver­wand­lung“ durch die Vogue mehr und eigen­stän­di­ger ein Mode-Vor­bild war als dass sie es nun oder in Zukunft ist…

  4. Foto­gra­fisch ein Armuts­zeug­nis, ein Rück­griff auf Ver­gan­ge­nes und eine Musi­ke­rin die mit ihrer trot­zig rebel­li­schen art, dem Main­stream ent­flie­hend, neu­gie­rig und lau­nig mach­te, wur­de gezüch­tigt und will­fäh­rig für eine mäch­ti­ge Indus­trie gemacht.

  5. Ein sehr guter Bei­trag Jero­en! Mir gin­gen eben­falls eini­ge Din­ge durch den Kopf: Zum einen sind die­se Bil­der gera­de für Bil­ly Eilish natür­lich die maxi­ma­le Pro­vo­ka­ti­on, weil sie das genaue Gegen­teil zu ihrem bis­he­ri­gen Sack-Look dar­stel­len. Und auch zum ver­meint­li­chen Zeit­geist: man beden­ke, wofür das Mie­der steht! Auf­merk­sam­keit zum Start der neu­en Plat­te ist ihr damit garan­tiert, Anspra­che neu­er Ziel­grup­pen inklu­si­ve. Denn auch die Musik scheint weg­zu­ge­hen vom bis­he­ri­gen Sound, hin zum anschluss­fä­hi­ge­ren Ame­ri­can Main­stream, zumin­dest im neu­es­ten Video. All das ent­larvt im Nach­hin­ein womög­lich auch ihren frü­he­ren Auf­tritt, der zwei­fel­los den Nerv der Kids traf, als kom­mer­zi­el­les Kal­kül. Zumin­dest könn­te es ihre Glaub­wür­dig­keit erschüt­tern. Ande­rer­seits waren wir viel­leicht alle naiv zu glau­ben, ein Welt­star kön­ne mal eben so in einem Kin­der­zim­mer ent­ste­hen….

  6. Lie­ber Herr Jero­en van Rooi­jen,

    erst­klas­si­ger Kom­men­tar. Typi­sche Alt­her­ren­fan­ta­sie sieht ganz anders aus. Mit geflällt das gar nicht.
    Fra­ge: für wen und was soll das? Geht’s um Koh­le?

  7. Bil­ly Eilish hat die Chan­ce ver­tan, ein neu­es Frau­en­bild zu schaf­fen. Genau so wie vor ihr Madon­na ihre Rie­sen­chan­ce ver­tan hat, altern­de Frau­en neu zu posi­tio­nie­ren und nicht auf ewig einem uner­reich­ba­ren Jugend­lich­keits­ide­al hin­ter­her zu hecheln.

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