Kaum zu glauben, dass man heutzutage noch auf analoge Weise zum Influencer werden kann. Indem man sich mit einem selbstgemalten Pappschild vor den schwedischen Reichstag setzt. Der Hype um Greta Thunberg steht in seltsamen Kontrast zu der ernsthaften, seltsam unmodernen Erscheinung der 16jährigen. Man mag kaum glauben, dass es tatsächlich noch möglich zu sein scheint, als junge Schwedin an H&M vorbei zu kommen. Wahrscheinlich ist es gerade das seltsam aus der Zeit Gefallene, Nerdige, Kindchenschemahafte, was die ikonische Ausstrahlung von Greta Thunberg ausmacht. Sie erscheint modisch indifferent. Aber seiner Wirkung kann halt niemand entkommen.
Natürlich kann man infrage stellen, ob Welt rettet, wer die Schule schwänzt. Und sich darüber aufregen, dass ein YouTuber die Politik zum Handeln ermahnt, während er selbst mit dem Flugzeug zur Talkshow von Maybritt Illner jettet und dort über seine Leidenschaft für Sportwagen spricht. Das Anliegen ist dennoch ernst zu nehmen. Da wächst eine Generation heran, für die der Schutz der Umwelt, Ökologie und Nachhaltigkeit unverhandelbar sind. Und die nicht wie ihre Eltern in den 80ern nur den Wald, sondern die eigene Zukunft retten möchte.
Das wiedererwachte ökologische Bewusstsein wird auch den Konsum verändern. Supermärkte und Discounter haben Bio längst aus der Reformhausecke geholt. Auch in der Kosmetik wird Natürlichkeit großgeschrieben. Die Modebranche tut sich dagegen schwer mit dem Thema. Bekleidung ist nun mal per se eine große Umweltbelastung. Das Material liefern die Ölindustrie und die industrielle Landwirtschaft. In der Produktion werden Chemikalien eingesetzt und enorm Wasser verbraucht. Die Ware reist quer über den Globus, per Schiff und mit dem Flugzeug. Gebrauchte und nicht verkaufte Klamotten türmen sich zu Müllbergen, Plastikstoffe verschmutzen die Ozeane. Und weil das alles vielfach unvermeidlich scheint, neigt die Industrie dazu, das Thema totzuschweigen.
Doch das ändert sich. Allein in diesem April gibt es etliche Kongresse und Veranstaltungen zum Thema. An diesem Wochenende finden in München die GreenstyleMUC, unterstützt von der Neonyt, und in Hamburg der Green Bazaar statt – Endverbrauchermessen, die Ökomode in den Mittelpunkt stellen. Auf dem World Footwear-Kongress, der gerade in Neapel läuft, geht es ebenfalls um Nachhaltigkeit. Ab dem 22. April läuft die Fashion Revolution Week. Am 24., dem Jahrestag der Rana Plaza-Katastrophe, sollen die sozialen Netzwerke erneut mit "Who Made My Clothes"-Selfies geflutet werden. Am 27. April läuft in Berlin der Fashion Revolution Move.
Viele Aktivisten werden es anders sehen, aber die vielleicht relevanteste Veranstaltung findet heute in Berlin statt: H&M lädt zum Change Makers Lab. Internationale Experten diskutieren dort in diversen Panels Fragen rund um Sustainability. Passend dazu haben die Schweden vorgestern die Gewinner ihres Global Change Awards gekürt. 300.000 Euro gehen u.a. an das deutsche Start-up circular.fashion, das Designer dabei unterstützt, nachhaltiger zu arbeiten. Natürlich stehen Initiativen von Fast Fashion-Anbietern wie H&M schnell unter Greenwashing-Verdacht. Dass es auch um PR geht, werden die Schweden nicht bestreiten. Auf der anderen Seite haben die Aktivitäten eines solchen Global Players zehnmal mehr Impact als alle idealistischen Bemühungen der Sustainabilty-Puristen zusammen. Der Rest der Industrie sollte sich ein Beispiel daran nehmen.
Anders als bei Lebensmitteln und Kosmetik sind Umwelt- und Sozialverträglichkeit bei Bekleidung für die Masse der Menschen nicht das entscheidende Kaufargument. Mode muss erst mal gefallen. Die Konsumenten sollten zugleich auf maximale Nachhaltigkeit vertrauen dürfen. First Movern bieten sich bei dem Thema Profilierungschancen. H&M hat das erkannt. Über kurz oder lang wird Sustainability aber zum Hygienefaktor. Deshalb sollte sich die gesamte Industrie damit befassen.
In anderen Worten: Das Bio-Thema ist in unserer Industrie immer noch in der Reformhaus-Ecke. Es muss in die Supermärkte. Und dort sexy verkauft werden.
100% Sustainability ist im Übrigen eine Illusion. Dann dürften wir nur noch Second Hand tragen und müssten unsere Waschmaschinen und Bügeleisen ausrangieren.